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Blicke ins Land

Mit "Hotel Deutschland 2", "Wader Wecker Vaterland" und "Open Souls" laufen in dieser Woche drei Dokumentarfilme in den Kinos an, die ihre Kameraaugen auf unbeachtete, vergessene oder verdrängte Winkel deutscher Kulturgeschichte richten.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Gibt es das überhaupt noch: deutsche Heimatfilme? Drei einschlägige neue Dokus laufen heute an: Der Film "Open Souls" blickt am weitesten zurück - bis in die US-Besatzungszeit. Dem Regisseur Rudi Gaul geht es um die Suche vergessener sogenannter Mischlingskinder nach Heimat, nach Anerkennung und Identität. Der Dokumentarfilm "Wader Wecker Vaterland" zeigt zwei grundverschiedene westdeutsche Liedermacher, nämlich Hannes Wader und Konstantin Wecker. Der dritte Film heißt "Hotel Deutschland 2". 1989, als die Mauer fiel, fuhr der Tübinger Dokumentarfilmer Stefan Paul vom Westen zurück in den Osten, in seine Heimatstadt Leipzig, um an der Wende zuzuschauen. Resultat war damals der Film "Hotel Deutschland 1", könnte man sagen. - Frage an Rüdiger Suchsland: Jetzt, 20 Jahre später, ist Stefan Paul zurückgekehrt in die alte Heldenstadt. Was ist in dieser Zeit vergangen, was geblieben in "Hotel Deutschland 2", was hat Stefan Paul mitgebracht?

    Rüdiger Suchsland: Stefan Paul ist Jahrgang '46 und er ist eigentlich direkt nach der Wiedervereinigung zurück in seine Geburtsstadt Leipzig gegangen. Er lebte in Tübingen, im Westen, er ist auch Produzent nicht nur dieses Films, sondern ganz vieler Filme. Der Arsenal Filmverleih bringt viele Arthouse-Kinos heraus. Deswegen ist er jemand, der wirklich gute Kontakte hat, auch zu ostdeutschen Filmemachern, und er geht nach Leipzig und er hat 1989/90 bereits die Leipziger Kulturszene porträtiert. Jetzt in "Hotel Deutschland 2" geht er noch mal in diesen Ort und schaut, was aus einigen geworden ist, und vor allem, wie sich Leipzig weiterentwickelt hat. Es ist im Grunde eine Momentaufnahme der Leipziger Kultur, vor allem der Musik, auch des Films, auch der Kinolandschaft, ein bisschen auch der Literatur und des Tanzes heute. Es ist eine Reise, wenn man so will, durch dieses immer noch für einen Westdeutschen ein bisschen neue Deutschland, ein bisschen unerobertes unerschlossenes Terrain. Einfach alles, was im Osten jenseits von Berlin liegt, das ist vielen noch unbekannt. Dieser Film stellt das auf eine, wie ich finde, sehr interessante Weise vor. Es ist ein bescheidener, ein stiller Film, ein flanierender Film. Es ist also, wenn man so will, ein Heimatfilm mit einer Annäherung von außen und ziemlich viel Musik.

    Schossig: Das "Hotel Deutschland", das hieß ja zu DDR-Zeiten Interhotel, und von dort hat damals Stefan Paul gefilmt, seinen Film sozusagen hergestellt. Warum heißt der zweite Film immer noch "Hotel Deutschland", obwohl er ja unterwegs ist?

    Suchsland: Weil er diesen Film als direkte Fortsetzung angelegt hat. Es ist in einem gewissen Sinn so, dass er das als ein zusammengehöriges Stück, diese beiden Filme, betrachtet, wobei man kann "Hotel Deutschland 2" wirklich sehr gut sehen. Die Grundbotschaft, die Stefan Paul in diesem Film vermittelt, ist die, dass in der Ex-DDR seinerzeit vor 20 Jahren natürlich zunächst mal Bilanz gezogen wurde und aufgeräumt wurde auf eine gewisse Weise und alle möglichen Neuanfänge waren und dass wir jetzt, 20 Jahre später, wieder an einem Punkt sind, wo eine neue Reise beginnt, dass im Grunde die Wiedervereinigung erst jetzt wirklich abgeschlossen ist.

    Schossig: Der Drehbuchautor und Dokumentarfilmer Rudi Gaul hat einen ganz anderen Film gedreht, nämlich über zwei mittlerweile sehr gealterte und außerdem noch grundverschiedene Liedermacher: Hannes Wader und Konstantin Wecker, die beide gemeinsam sozusagen unterwegs waren. Was verbindet und was trennt diese beiden deutschen, ja man muss schon auch sagen westdeutschen Liedermacher voneinander?

    Suchsland: Ja, genau. Es ist sicher ein westdeutscher Film, und ich glaube, es wird ein Ostdeutscher ähnlich erstaunt auf diesen Film blicken, wie ein Westdeutscher zum Teil auf "Hotel Deutschland 2". Man traut sowieso auch als Westdeutscher seinen Augen nicht, wer hier plötzlich zusammenkommt: der spröde, Barde Hannes Wader, der sehr politisch ist, der sehr genau ist, der alte Gedichte der Linken vertont, und dann Konstantin Wecker, der viel mehr so ein bisschen ein Volkstribun ist, der auch eine ganz andere Art hat, auf der Bühne zu sein. Man weiß aber, dass die beiden sich gut verstehen, die sind schon öfter zusammen aufgetreten, und im Grunde geht es um so eine Tournee, wo beide zusammen auftreten. Es geht da, wenn man so will, auch um eine bestimmte Alterskohorte, um eine Generation. Ähnlich wie bei Stefan Paul, der 1946 geboren ist, sind ja auch Hannes Wader und Konstantin Wecker in den 40er-Jahren geboren, und jetzt ist es Zeit, Bilanz zu ziehen, ein bisschen Zeit auch zu schauen, was aus ihrer Kunst geworden ist. Und man erinnert sich auch daran, welche Bedeutung die in den 70er-Jahren in Westdeutschland hatten. Das ist ein bisschen verloren gegangen, und insofern merkt man auch, dass die eigentlich nicht so richtig Nachfolger gefunden haben. Das verbindet sie dann auch mit einigen dieser Ex-DDR-Künstler, die in Leipzig auch älter werden und da sogar ein paar ganz junge Nachfolger haben, aber so zwischendrin klafft doch eine große Lücke.

    Schossig: Zum Schluss noch ein Blick auf den dritten Film. Der heißt "Open Souls" und der geht nun zurück in die Zeit vor der deutschen Teilung. Es geht um jene "Kinder der Schande", die von deutschen Müttern und afroamerikanischen Besatzungssoldaten gezeugt wurden. Was macht der Regisseur Volker Meyer-Dabisch da, Spurensuche oder Rehabilitation?

    Suchsland: Von beidem ein bisschen. Das ist vor allem erst mal eine Spurensuche. Es geht ja dann auch darum, dass wir in einer Frauenhaftanstalt im bayrischen Aichach sind und dass es hier auch um den Makel geht, hinter Gittern geboren zu sein. "Open Souls" verfolgt vor allem den Lebensweg von zwei Kindern, dieser sogenannten Kinder der Schande. Auch das ist wie die beiden anderen Filme, wenn man so möchte, ein bisschen ein schräger Heimatfilm, also ein Heimatfilm mit einem Blick, den man erst mal nicht gewohnt ist, der uns aber auch etwas Neues, etwas Unbekanntes zeigt, der es uns grundsätzlich mit einer sehr warmherzigen Haltung zeigt, mit einer, die Partei nimmt für die Protagonisten. Das kann man sehen, und es ist sicher von Volker Meyer-Dabisch ein sehr überraschender Film, der auch eine Geschichte erzählt, von der ich vorher noch gar nichts gewusst habe. Es geht, wenn man so will, um die letzten Tabus der deutschen Nachkriegsgeschichte.