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Blinder Punkt im Kopf

Medizin. - 1944 beschrieb der österreichische Kinderarzt Hans Asperger erstmals eine leichte Form von Autismus. Doch lange blieben seine Erkenntnisse unbeachtet, nur langsam dringt Licht in das Rätsel der entfremdeten Kinder. Eine deutsche Ärztin konnte jetzt erhellen, warum die Wahrnehmung von Autisten gestört ist.

Von Kristin Raabe |
    Auf den ersten Blick unterscheidet Sascha nichts von anderen Jugendlichen. Aber dann fallen doch ein paar Kleinigkeiten auf: seine Bewegungen sind etwas eckig, seine Sprache eher monoton, Augenkontakt meidet Sascha, eher kein Junge, den seine Mutter auf dem Bolzplatz suchen muss, so einen wie ihn findet man eher vor dem Computer. Mit dem PC beschäftigt er sich stundenlang, Freunde hat er nur wenige - und diese wenigen haben oft dasselbe Problem wie Sascha: Es sind Jugendliche, die unter dem so genannten Asperger Syndrom leiden, einer leichten Form von Autismus. An der Universitätsklinik des Saarlandes hat Christine Freitag eine Spezialsprechstunde für Kinder und Jugendliche wie Sascha. Dabei trifft sie immer wieder auf ein Problem:

    "Es wird von vielen berichtet, dass die so Geschwindigkeiten schlecht einschätzen können und was ich in der klinischen Untersuchung sehe, da müssen die Kinder und Jugendlichen bestimmte Bewegungsmuster nachmachen. Also Hüpfen, Hampelmann, oder sonst was und die haben oft Probleme, beim ersten Mal das direkt umzusetzen. Also man muss ihnen das häufig zeigen. Insbesondere Sachen, die sie vorher noch nie gemacht haben."

    Vor allem beim Erkennen so genannter biologischer Bewegungsmuster schneiden die jungen Asperger-Autisten schlecht ab. Um herauszufinden, warum ihre Bewegungswahrnehmung verändert ist, führt Christine Freitag ihren Patienten einen kleinen Film vor. Er zeigt einige tanzende weiße Punkte vor schwarzem Hintergrund. Manchmal ergeben die weißen Punkte einen gehenden Menschen.

    "Wir haben hinterher auch die Reaktionszeiten gemessen, wie schnell sie diese Person erkannt haben. Und da hat sich auch deutlich gezeigt, dass sie eben auch deutliche Probleme haben, die wahrzunehmen. Das heißt, es ist kein Problem des Sehsystems, sondern es ist ein Problem, das tiefer liegt, nämlich auf der Ebene der automatisierten Wahrnehmung von Bewegungsmustern. Also das ist offensichtlich bei autistischen Jugendlichen sehr viel schlechter ausgeprägt als bei den Kontrollen."

    Was genau bei der automatisierten Wahrnehmung von Bewegungsmustern bei den autistischen Jugendlichen schief läuft, zeigen Aufnahmen mit dem so genannten Kernspintomographen. Dieses bildgebende Verfahren erlaubt den Forschern einen Blick in das arbeitende Gehirn. Bei den Jugendlichen mit Asperger Syndrom waren einige Bereiche in der linken Gehirnhälfte nicht aktiv.

    "Diese Zentren, die normalerweise aktiviert werden, wenn biologische Bewegung verarbeitet wird, wurden bei den autistischen Jugendlichen einfach nicht aktiviert. Das heißt, offensichtlich nehmen die diese Bewegung aus dem Grund schlechter wahr, weil da in dem Schläfenlappen das Gehirn anders funktioniert als bei gesunden Jugendlichen. "

    Dieses Wissen hilft Christine Freitag auch bei der Arbeit mit den Jugendlichen in der Klinik. Außerdem erklärt es vieles, was Eltern und Verwandte schon häufig bei den Asperger-Jugendlichen beobachtet haben:

    "Es ist so ein Puzzlestück noch mal, in dem Gesamtverständnis vom Autismus. Es erklärt sicherlich nicht alle Schwierigkeiten, die die Jugendlichen haben, aber es erklärt so ein paar ganz grundlegende Dinge, die im Alltag immer wieder Probleme machen. Also dass sie einfach im Straßenverkehr oft Probleme haben, das erklärt es sehr gut und man muss einfach auch das sehr im Blick haben, wenn man mit den Jugendlichen bestimmte Dinge plant. Es erklärt auch in der Entwicklung vieles – dass die Kinder nichts abschauen, dass sie da auch Probleme haben, das richtig wahrzunehmen und das würde auch erklären, warum sie es nicht richtig umsetzen können und warum eben ganz schlecht von anderen Personen lernen."

    Immerhin kam bei der Studie von Christine Freitag auch etwas Positives heraus: Formen und Farben können autistische Jugendliche besser wahrnehmen als gesunde Gleichaltrige.