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Blitzsaubere Super-Geister

Physik. - Sie sind die Geister des Teilchenzoos der Physik: Neutrinos. Denn sie interagieren kaum mit anderer Materie. Eine besondere Variante - sterile Neutrinos - könnte eine wichtige Rolle für das Universum spielen, so jedenfalls meint eine Aufsehen erregende Hypothese.

Von Hermann-Michael Hahn | 15.05.2006
    Definitiv nachgewiesen sind sie zwar noch nicht, diese "sterilen" Neutrinos, und das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn sie sollen noch weniger mit der restlichen Materie reagieren als ihre ohnehin schon als Geisterteilchen bezeichneten Verwandten, die üblichen Neutrinos. Aber auch solch hypothetische Teilchen beschäftigen die Forscher, denn mit ihrer Hilfe könnte man mit einem Schlag eine ganze Reihe astronomisch-kosmologischer Probleme lösen beziehungsweise aufklären. So glauben manche Forscher, dass sterile Neutrinos gute Kandidaten für die rätselhafte dunkle Materie darstellen.
    Einer dieser Forscher, Professor Peter Biermann, sucht zusammen mit seinen Mitarbeitern am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn nach einer Erklärung für die Entstehung Masse reicher Schwarzer Löcher im frühen Universum. Sie müssen offenbar sehr bald entstanden und sehr rasch angewachsen sein, denn schon rund 800 Millionen Jahre nach dem Urknall treten sie als Galaxienkerne von mehreren Milliarden Sonnenmassen in Erscheinung. Das Problem, das sich dabei stellt: Wenn normale Materie in ein schwarzes Loch stürzt, wird Energie freigesetzt, die das Nachrutschen weiterer Materie abbremst. Dies führt zu einer maximalen Wachstumsrate für Schwarze Löcher. Professor Peter Biermann:

    "Wenn ich einfach annehme, ich füttere mit dieser maximalen Rate die schwarzen Löcher, dann schaffe ich es niemals, von einem normalen, stellaren Schwarzen Loch von etwa fünf Sonnenmassen bis zu etwa drei Milliarden Sonnenmassen zu kommen in der wenigen Zeit, die mir die Daten erlauben, von ungefähr 800 Millionen Jahren."

    Anders, wenn dunkle Materie aus sterilen Neutrinos in ein Schwarzes Loch stürzt. Rechnet man nach, wie groß die Masse der sterilen Neutrinos sein muss, so kommt man auf einen Wert, der rund 50mal kleiner ist als die Masse eines Elektrons. Einen ganz ähnlichen Wert erhält auch Alexander Kusenko von der University of California in Los Angeles. Er versucht mit diesen vorerst noch hypothetischen Teilchen, eine beobachtete, rätselhafte Fluchtbewegung so genannter Neutronensternen zu verstehen. Solche Neutronensterne entstehen, wenn ein massereicher Stern am Ende seines kurzen Lebens als Supernova explodiert.

    Wenn es solche sterile Neutrinos gibt, dann wird sich ein Teil der bei einer Sternexplosion massenhaft freigesetzten normalen Neutrinos in diese Sonderform umwandeln. Und weil diese dann noch weniger mit dem kollabierenden Sternrest reagieren, behalten sie ihre zuvor vom starken Magnetfeld des entstehenden Neutronensterns aufgeprägte Richtung bei und wirken wie ein Raketentriebwerk, das den Stern in die Gegenrichtung weg katapultiert. Damit das funktioniert, so Kusenko, müssten die sterilen Neutrinos rund 50mal leichter sein als Elektronen.

    Die Erklärung bekannter Phänomene mit einem hypothetischen Teilchen reicht aber als Beweis für seine wirkliche Existenz nicht aus. Dazu sind vielmehr überprüfbare Vorhersagen noch unbekannter Effekte erforderlich, die anders nicht zu verstehen wären. Einen solchen Test können Biermann und Kusenko bereits benennen, denn auch sterile Neutrinos müssten sich umwandeln und dabei stets eine ganz bestimmte Energiemenge freisetzen, die als scharf begrenztes Signal beobachtet werden könnte:

    "Die Vorhersage hier ist ganz klar: Wenn die dunkle Materie wirklich aus diesen Teilchen besteht, dann muss natürlich jeder Klumpen dunkler Materie mit diesem geringen Anteil zerfallen, und das bedeutet, ich habe eine ganz scharfe Röntgenlinie im Kiloelektronenvolt-Bereich, also relativ normal für Röntgenteleskope."

    Das Problem ist allerdings, dass diese Röntgenstrahlung nicht von eng begrenzten Gebieten am Himmel stammt wie etwa die Strahlung eines Sterns. Vielmehr treten stets größere Dunkelmaterie-Wolken als Quellregion in Erscheinung, und für deren röntgenspektroskopische Untersuchung sind die gegenwärtig arbeitenden Satelliten in der Erdumlaufbahn nicht besonders gut geeignet.