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Blix: Falsches Urteil mit schrecklichen Konsequenzen

Es wäre gut gewesen, wenn man vor dem Beginn des Irak-Kriegs den UNO-Waffeninspekteuren mehr Zeit gelassen hätte, sagt Hans Blix. Seiner Meinung nach hätten die Verbündeten 250.000 in der Wüste aufmarschierte Soldaten nicht länger hinhalten wollen.

Hans Blix im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Der Schwede Hans Blix war vor der Irak-Invasion 2003 einer der wichtigsten internationalen Gegenspieler von Tony Blair. Wochenlang hat er im Irak im Auftrag der UNO und gemeinsam mit seinem Team nach atomaren und chemischen Waffen gesucht, aber keine gefunden. Blix arbeitet heute als Politikwissenschaftler und Berater, und ich habe gestern Abend mit ihm über Tony Blairs Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss gesprochen.
    Mr. Blix, Tony Blair hat vor dem Ausschuss gesagt, Sie, Hans Blix, hätten die Wahrheit nie gefunden, auch nicht wenn Sie länger im Irak geblieben wären. Hat er recht?

    Hans Blix: Die Inspektoren hätten damals keine hundertprozentige Gewissheit über das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen erbringen können. Einige der ungeklärten Themen hätten sich klären lassen. Eben deswegen habe ich darauf bestanden, dass man an solchen offenen Fragen weiterarbeitet und sie vielleicht einer Klärung zuführt. Wenn wir dort länger geblieben wären, hätten wir in jedem Fall keine hundertprozentige Gewissheit über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von solchen Waffen erbringen können.

    Armbrüster: Hatte Tony Blair also einfach nicht genügend Geduld?

    Blix: Ja, das ist so. Ich meine, die Antwort hätte sein müssen, dass er länger hätte abwarten müssen. Wir als Inspektorenteams waren dreieinhalb Monate dort im Lande, wir haben 700 Inspektionen an etwa 500 Standorten durchgeführt, und wir haben keine Beweise vorgefunden. Wir haben drei Dutzend Orte untersucht, die uns von den Aufklärungsdiensten der Briten und der Amerikaner besonders als verdächtig mitgeteilt worden waren, und wir haben eben dort keine Beweise gefunden.

    Armbrüster: Tony Blair hat vor dem Ausschuss mehrmals gesagt, er habe damals aus tiefster Überzeugung gehandelt, er habe keine Zweifel an Massenvernichtungswaffen im Irak gehabt. Nehmen Sie ihm das ab?

    Blix: Ja, das war in der Tat mein Eindruck, dass Tony Blair damals in bestem Treu und Glauben gehandelt hat. Als ich ihm sagte, dass wir nicht besonders durch diese Hinweise beeindruckt seien, antwortete er: Nein, nein, ich bin mir sicher, dass es hier Massenvernichtungswaffen gibt, die Italiener, die Ägypter, alle sind davon überzeugt! So meine ich auch, dass er damals nach Treu und Glauben gehandelt hat. Das Entscheidende scheint mir aber zu sein, dass die Verbündeten damals 250.000 Mann in der Wüste hatten aufmarschieren lassen. Es war einfach nicht mehr möglich, die Soldaten länger hinzuhalten, sie warten zu lassen. Die Moral hätte das nicht hingenommen, und man musste irgendetwas tun.

    Armbrüster: Haben Sie denn geglaubt, dass Sie im Irak Massenvernichtungswaffen finden würden?

    Blix: Nun, wir hatten Irak damals in den 90er-Jahren natürlich unter Beobachtung, so wie das andere ja auch taten – damals, als ich noch bei der IAEO arbeitete –, und wir hatten aber den Eindruck, dass keine Atomwaffen mehr vorhanden seien, dass aber möglicherweise noch Anthrax vorhanden sei. Dann kam aber hinzu, dass Irak im Februar 2003 wirklich aktiv zu kooperieren begann, während sie in der vorhergehenden Zeit ja nicht geradezu die Kontrollen behindert hatten, aber eben nur passiv alles zugelassen hatten. Mitte Februar 2003 und Anfang März 2003 fingen sie dann wirklich an, aktiv zusammenzuarbeiten, und das wurde auch berichtet. Aber die Verbündeten sagten da zu einem bestimmten Zeitpunkt, jetzt reicht es uns aber, und es lässt sich einfach nichts mehr herausfinden, die Wahrheit war aber wohl, dass man eben die Truppen nicht länger hinhalten konnte.

    Armbrüster: Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit Hans Blix, dem ehemaligen Waffeninspekteur der Vereinten Nationen. Herr Blix, kurz vor dem Einmarsch 2003 haben Sie mit Tony Blair telefoniert. Was hat er Ihnen gesagt?

    Blix: Nun ja, er sagte mir, er sei überzeugt davon, dass dort Massenvernichtungswaffen vorhanden seien.

    Armbrüster: Was haben Sie da erwidert?

    Blix: Dass er keinerlei Zweifel hege, alle Nachrichtendienste seien derselben Meinung, sogar die Ägypter hätten sich dem angeschlossen. Mir war damals schon klar, dass diese Beweise auf recht dürftigen Quellen beruhten, auf Überläufern und anderen Quellen. Wir waren davon einfach nicht überzeugt.

    Armbrüster: Aber Sie haben akzeptiert, was er gesagt hat?

    Blix: Nein, ich habe nicht zugestimmt, ich habe ihm meine Zweifel zu bedenken gegeben. Ich erklärte ihm, dass ich den Nachrichtendiensten nicht vollkommenes Vertrauen schenken könnte. Natürlich hätte ich niemals beweisen können, dass es dort keine Massenvernichtungswaffen gab, aber es wäre doch ein Grund dafür gewesen, noch einige Monate länger nachzuforschen. Entscheidend war meiner Meinung nach damals, dass eben diese 250.000 Mann auf den Einsatz warteten. Die Mehrheit des Sicherheitsrates bei den Vereinten Nationen teilte meine damalige Auffassung.

    Armbrüster: Wären Sanktionen eine bessere Alternative gewesen?

    Blix: Nun, Sanktionen waren ja damals in Kraft, aber durch dieses Programm "Oil for Food" hatte Saddam Hussein tatsächlich die Erlaubnis, Erdöl zu verkaufen und dafür dann diejenigen Waren, die die UNO genehmigt hatte, zu importieren. Aber nach zehn Jahren Sanktionen war das Land eigentlich am Boden. Dann wurde mir eingewendet, ja, Saddam Hussein hätte ja nach diesen Inspektionen wieder beginnen können, diese nukleare Bewaffnung oder Massenvernichtungswaffenprogramme auszurollen, und selbst dieses Argument konnte ich nicht teilen. Ich stimmte Blair und Bush zu, dass Saddam Hussein ein schrecklicher Diktator war und dass dies vielleicht der einzige Grund war, um einzumarschieren, nämlich diesen Diktator zu stürzen. Aber ich bezweifle doch, dass es ihm möglich gewesen wäre, diese Waffenprogramme wieder aufzunehmen, denn es gab keinerlei Erklärung vonseiten des UNO-Sicherheitsrates, dass die Inspektionen aufhören sollten. Saddam Hussein und Irak war damals unter sehr scharfer Beobachtung, und es wäre außerordentlich schwierig gewesen, solche Programme wieder aufleben zu lassen.

    Armbrüster: Viele Leute haben am Rande dieses Untersuchungsausschusses wieder gesagt, Tony Blair gehöre eigentlich vor Gericht. Haben die recht?

    Blix: Nun, ich habe diesem Vorschlag nie viel abgewinnen können. Ich glaube nicht, dass das viel Sinn machen würde, zumal ja ein Forum für eine derartige Übung fehlt. Ich würde doch dabei bleiben, Tony Blair hat wirklich nach Treu und Glauben gehandelt. Er hat sich geirrt, sein Urteil war falsch, und das hat auch zu schrecklichen Konsequenzen geführt, aber davon abgesehen, wird man ihn nicht belangen können.

    Armbrüster: Herr Blix, Sie sind nicht vor den Irak-Untersuchungsausschuss geladen, aber würden Sie dort gerne aussagen?

    Blix: Nun, diese Frage ist mir mehrfach schon vorgelegt worden. Ich würde sagen, der Irak ist eigentlich ein Kapitel, das hinter mir liegt. Ich bin im Moment sehr viel stärker an Iran interessiert, obgleich ich es natürlich nicht ablehnen würde. Wenn ich etwas zur Klärung beitragen könnte, dann würde ich mich dem nicht verweigern. Aber ich stelle mich nicht hin und erhebe jetzt den Anspruch, dass ich unbedingt gehört werden müsste.

    Armbrüster: Hans Blix, thank you very much for speaking to us! Hans Blix, der ehemalige Waffeninspekteur der Vereinten Nationen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

    Übersetzung: Johannes Hampel