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Block'n'Roll
Kryptowährungen sollen Musikindustrie revolutionieren

Endlich unabhängig sein von der großen Musikindustrie. Dieser Wunsch vieler Musiker ist so alt wie die Branche selbst. Björk beflügelt ihn mit ihrem zehnten Album "Utopia" wieder neu: Mit der Blockchain-Technologie soll der Traum von der Fair-Trade-Musik wahr werden.

Von Ina Plodroch | 24.11.2017
    Die isländische Musikerin Björk steht am 02.08.2015 in der ausverkauften Zitadelle Berlin bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert auf der Bühne.
    Die isländische Musikerin Björk bei einem Konzert in Berlin. (picture alliance / ZB / Britta Pedersen)
    Nun also wirklich: Die isländische Musikerin und Multimedia-Künstlerin Björk blickt nach vorne. Keine Lust mehr auf Vergangenheit, Liebeskummer, Trennung wie auf dem letzten Album. Sie gibt sich der verheißungsvollen Zukunft hin.
    "Utopia" heißt ihr zehntes Album. Dabei hat sie sich schon immer stärker mit der Zukunft beschäftigt, als viele andere im Pop-Business. Sie produziert 2001 ihr Album mit dem Programm ProTools am Laptop, als sich noch kein Mensch vorstellen kann, dass bald eine ganze Generation ihre Musik auf diese Art im Schlafzimmer produzieren wird. Ihr zehntes Album wirkt nun fast konventionell: keine Virtual Reality, keine App, keine Wearables, mit der die Fans die Musik stärker wahrnehmen. "Einfach" ein Album. Das technische Experiment begegnet den Fans in ihrem Online-Shop: Sie können das Album nicht nur mit Euros, Dollars usw. bezahlen. Sondern auch mit Bitcoin oder Audiocoin, also Kryptowährungen. Die Technik dahinter heißt Blockchain.
    Belohnung für treue Fans
    "Viele Leute sind echt verwirrt momentan und halten die Blockchain für eine komplizierte Technologie."
    Stimmt. Ziemlich nah an der Zukunft, aber auch schrecklich kompliziert. Dabei ist es alles gar nicht so schlimm, erklärt Ken Foster von der britischen Agentur Blockpool. Das Internet nutzt auch jeder, technisch versteht es ja aber auch kaum ein Mensch, sagt er. Mit der Agentur Blockpool hat er Björk bei dem Projekt, die Musikindustrie mit der Blockchain zu verändern, beraten. Wenn Fans in ihrem Online-Shop "Utopia" kaufen, bekommen sie 100 AudioCoins geschenkt. Als Appetithäppchen auf Kryptowährungen, die fernab der großen Bankensysteme funktionieren. Dezentral.
    "Wir können die Technologie dafür nutzen, um limitierte Editionen oder andere Fan-Artikel zu verkaufen. Damit sehen wir, welche Fans sich richtig für einen Musiker ins Zeug legen. Und die können dann belohnt werden."
    Indem sie exklusiv Tickets kaufen können. Was sehr viel Sinn macht, damit nicht zwielichtige Ticketanbieter die Preise in unvorstellbare Höhen treiben. Eine Art Dankeschön für engagierte Fans.
    Für eine gerechtere Musikindustrie
    Nicht nur Björk experimentiert mit der Blockchain. Viele Start-ups wollen die Musikindustrie mit der Technologie verändern. Dezentraler, weniger Mittelsmänner.
    "Ein gestreamter Song bringt einem Musiker 0,01 Cent. Wenn 20 Leute an dem Song beteiligt sind, dann bekommt jeder von ihnen einen Bruchteil von diesem einem Cent. Jeder muss also ewig warten, bis Geld ausgeschüttet wird."
    Mit seinem Start-up Peertrack will auch der Kanadier Cédric Cobban die Musikbranche vereinfachen: Mit einem Bezahlungssystem, das auf der Blockchain aufbaut, würde jeder dieser 20 Menschen umgehend seinen Anteil bekommen, wenn ein Fan auf Play klickt. Daran arbeitet Peertrack – genau wie so viele andere Start-ups oder Musiker. Die Britin Imogen Heap zum Beispiel.
    Sie nennt es Fair Trade Music. Das scheint die Hoffnung aller Akteure, die sich irgendwie in dem Feld Blockchain für eine gerechtere Musikindustrie wenden. Mehr Kontakt zum Fan: wer sich richtig reinhängt, wird belohnt. Cédric Cobban hofft auf noch einen anderen Effekt:
    "Wenn durch die Blockchain jeder Musiker, Songschreiber oder Produzent seine Rechnungen bezahlen kann, wird sich auch etwas anderes verändern: wir werden viel mehr musikalische Experimente hören, die sich dann auch halten, weil sie finanziellen Support bekommen, auch wenn es nur von ein paar Fans sein wird."
    Technik noch zu kompliziert
    Das klingt verheißungsvoll. Weniger Mainstream, der nach dem Prinzip kleinster gemeinsamer Nenner funktioniert, sondern mehr Nische, die sich langfristig hält. Aber ist das nicht genau, was Plattformen wie Bandcamp heute schon anbieten, nur dass die Band selbst das Geld aufteilen muss?
    Blockchain für die Musikindustrie steht noch ganz am Anfang und lässt bisher die Köpfe der Hörer viel zu sehr rauchen vor lauter technischer Kryptowährungs-Wallets. In Zeiten, in denen Musik immer nur einen Klick entfernt ist, scheint das Potenzial für den Hörer aktuell noch viel zu kompliziert. Dachte sich wohl auch Björk, die in den letzten Wochen gar nicht so angetan davon schien, dass so viele Medien auf ihren Krypto-Vorstoß eingegangen sind – selbst darüber reden wollte sie nicht und die Agentur Blockpool durfte auch nicht mehr darauf eingehen. Doch nicht so überzeugt von der Blockchain-Utopie für die Musikindustrie?