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Blockadepolitik

Ob diese Kunstwerke nach Italien zurückkehren oder nicht ist fast schon eine zweitrangige Frage. Wichtiger ist uns erst einmal zu wissen, ob sie und wo sie zu finden sind. Ob sie überhaupt noch existieren. Sie gehören schließlich zum allgemeinen Kulturgut. Ob sich ein Gemälde in Hannover oder Palermo befindet ist fast schon egal.

Thomas Migge |
    Nur zu gerne würde Mario Bondioli-Osio wissen, wo sich zum Beispiel eine hässlich grinsende Fratze befindet. Bondioli-Osio ist Präsident der italienischen Kommission für die Wiedererlangung von Kunstwerken. Es handelt sich, erklärt er, um den Kopf eines Fauns. Das aus Marmor gemeisselte Werk mit einer Höhe von 26 cm wird Michelangelo Buonarroti zugeschrieben. Es gehörte zu den Sammlungen des florentiner Bargello-Museums. Anfang 1943 wurde es aus Angst vor deutschen Übergriffen aus dem Museum in das Castello Poppi bei Arezzo gebracht. Doch am 23. August des gleichen Jahres wurde der Kopf des Faun verschleppt. Wie Dutzende von Gemälden und Skulpturen der italienischen Renaissance fiel er in die Hände von Soldaten der 305. Infanteriedivision. Nach einer kurzen Zwischenstation in Norditalien wurde die Skulptur nach Deutschland gebracht. Wohin genau ist unbekannt. Mario Bondioli-Osio sucht diesen Kopf und Tausende von anderen Kunstwerken verschiedenster Epochen. Er klopft ganz offiziell an die Türen europäischer und amerikanischer Politiker, Museen und Privatleute. Überall dort, wo er Raubkunst vermutet. Dass die Bundesrepublik eine Kommission zur Rückgabe von NS-Raubkunst einrichten will, findet er ausgezeichnet

    Meiner Meinung nach macht Deutschland zu viele Fehler. Zum einen, weil Ihr Land immer noch nicht die UNESCO-Konvention in Sachen Raubkunst unterzeichnet hat. Warum, ist mir wirklich unerklärlich. Zum anderen gibt es in Deutschland eine Regelung, die denjenigen, die einen geraubten Kunstgegenstand besitzen, mehr Rechte einräumen als denjenigen, die die ursprünglichen Eigentümer sind.

    Signor Bondioli-Osio legt eine Liste - in Form eines fast 400 Seiten dicken Katalogs - vor. Eine Liste mit Tausenden von Stücken: Kunstwerke aber auch wertvollstes Kunsthandwerk sowie Wandpaneele und Decken. Kostbarkeiten, die zwischen 1943 und 1945 verschwunden sind. Nur ein Bruchteil dieser Raubkunst tauchte in Europa oder in den USA wieder auf.

    Diese Objekte müssen zurückgegeben werden aufgrund des Deutschlandvertrages von 1952. Dieser Vertrag verpflichtet die Bundesrepublik alles zu tun, um Raubkunst zu suchen, und an uns zurückzugeben.

    Mario Bondioli-Osio findet es unerhört, dass die Bundesrepublik sich nicht an diesen Vertrag hält. Und das, obwohl Deutschland die EU-Konvention 793 zur Rückgabe von Raubkunst unterzeichnet hat.

    Deutschland hätte und hat immer noch die Pflicht, auch Werke zurückzugeben, die als Dauerleihgaben an deutsche Museen gingen. Warum kommen sie nicht als Dauerleihgaben zurück nach Italien, anstatt in deutschen Museen gezeigt zu werden.

    Im Gegensatz zu Deutschland, so der staatliche Kunstsucher, zeigen sich Russlands Behörden seinen Anfragen gegenüber weitaus auskunftswillige. Diese Zusammenarbeit mit Moskau begann zwar erst, so Mario Bondioli-Osio, vor wenigen Monaten, sei aber vorbildhaft.

    Ich habe den Eindruck, dass die Russen auf Anweisung von Putin alles veröffentlichen wollen, was sie als Raubkunst aus Italien besitzen. Die Russen beklauten ja die Nazis bei ihrem Vormarsch in den Westen. Ich bin sehr gespannt, was die Russen als Raubkunst ausmachen werden.

    Von so einer Zusammenarbeit auch mit Berlin kann der italienische Raubkunst-Fachmann nur träumen.

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