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Bloß keine Hektik beim Holzbootsbau

Die Bültjer-Werft in Ditzum liegt an der Mündung der Ems. Die fünfte Familiengeneration arbeitet hier bereits. Und Eile liegt dem Chef Jan Bültjer nicht - vielleicht auch, weil auch gutes Holz viel Zeit braucht: Pro Zentimeter muss es erst mal ein Jahr lagern.

Von Godehard Weyerer |
    "Es ist doch ein bisschen windig, haben wir noch andere Dinge gemacht. Der will nächste Woche weg mit dem Ding hier. Da muss man den Samstag noch mal mit einplanen."

    Jan Bültjer, Chef der Bültjer-Werft. In der vierten Generation bauen sie Boote. Holzboote. Oder reparieren sie, wenn es sein muss auch am Wochenende. Wie diesen Fischkutter aus Dänemark, 22 Meter lang, Baujahr 1960.

    "Hat sich jemand umgebaut, Masten haben wir draufgestellt, Segel angeschlagen, Winden draufgebaut."

    Die Bültjer-Werft in Ditzum liegt an der Mündung der Ems, am Ufer des Dollarts. Ditzum, ein altes Fischerdorf, hat ein wenig mehr als 600 Einwohner. Die neugotische Kirche ziert ein Kirchturm, der einem Leuchtturm zum Verwechseln ähnlich ist. Rotgeklinkerte, einstöckige Häuser, im selben Farbton sind die engen Gassen gepflastert. Ditzum liegt am Ende eines schmalen Landzipfels, dem Rheiderland, eingebettet vom Fluss, den man erst 16 Kilometer südlich queren kann, und von der deutsch-niederländischen Landesgrenze. Um so leichter ist die Werft von See zu erreichen.

    "Mindestens die Hälfte Arbeit haben wir von Niederlande sowieso. In der Sparte und in der Größe sind wir ziemlich alleine. Da sind in Norwegen, Dänemark und auch Holland noch vereinzelt welche, aber nicht in dieser Größe."

    Jan Bültjer spricht wie ein Ostfriese und sieht aus, wie man sich landläufig einen Bootsbauer vorstellt: festes Schuhwerk, weite Arbeitshose mit allerlei Taschen, kariertes Hemd. Die Ärmel sind hochgekrempelt, die breiten, dunkelblauen Hosenträger gemustert wie ein Zollstock. Das Gesicht ist sonnengebräunt und den Händen sieht man die alltägliche, harte Arbeit an.

    "Ich mach das hier noch fest, dann laufen wir ein Stückchen weiter."

    Mit uns, sagt Jan Bültjer, arbeiten 20 Bootsbauer auf der Werft – acht Lehrlinge, acht Gesellen, er und sein Bruder, beide leiten den Betrieb, sowie ihre ältesten Söhne. Auch sie haben schon den Meisterbrief. Die fünfte Generation. Angefangen hat es im Dorf, eine Stellmacherei – Speichenräder, Leiterwagen, Heurechen, Pferdedeichseln.

    "Da sind sie mit angefangen. Weil es mit den Pferden und den Wagen weniger wurde und die Maschinen eben mehr durchkamen, hat sich das so langsam verschoben. Und sind dann mit kleinen Booten angefangen und immer größer und größer. Und irgendwann ging es nicht mehr im Ort, dann sind wir hier zum Hafen, ich sag immer wir, gegangen. Da war ich noch nicht. Ich glaube, 1928 sind sie zum Hafen gezogen. Ein Teil ist noch im Ort geblieben, da sind die dann so hin und her. Im Ort haben einige noch Stellmacherei weitergemacht, was da noch anfiel, in der Mühle die Speichen für die Zahnräder und so. Das ist dann weniger geworden, irgendwann waren sie dann ganz am Hafen."

    Jan Bültjer zieht das Alu-Tor hoch und geht in die Halle. Hier, erzählt er, liegt die Geburtsstätte der Werft. Heute steht an selber Stelle die dritte Halle.

    "In dieser Vertiefung, da hat die zweite gestanden. Da konnten sie im Winter einen Kutter bauen. Die anderen Kutter wurden draußen gebaut. Wir haben zirka 250 neue Schiffe gemacht in den 50er-, 60er- und 70er-Jahre. Das ist jetzt weniger geworden. Die sind draußen um die Halle gebaut worden. Im Winter hatten sie dann mal ein, zwei Schiffe in der Halle. Die Halle, die dann hier war, die ist dann weggetrieben mit Hochwasser. Da ist das Schiff hoch und hat die Halle mitgenommen, die ganz flach war. Darum ist das jetzt die dritte. Die erste war eigentlich nur ein Geräteschuppen, wo sie ihr Werkzeug drin hatten, weil sie ja noch im Ort ihren Hauptsitz hatten."

    Anfang der 50er-Jahre muss es gewesen sein, als das Hochwasser die Halle wegschwemmte. Heute macht Jan Bültjer eher das in Sichtweite gelegene Ems-Sperrwerk Kummer, das angelegt wurde, um in der Ems immer genug Wasser zu haben, wenn die flussabwärts gelegene Meyer-Werft ihre Ozeanriesen Richtung Nordsee schleppt. Wird das Sperrwerk geschlossen, kann sich das Wasser wie früher nicht im Hinterland ausweiten und läuft in Ditzum um so höher auf.

    "Aber nun haben wir die Halle ein bisschen höher. Und das andere, was hier so rumsteht, die Geräte haben einen Kettenzug, da können wir das zwei Meter hochziehen, damit das nicht alles absäuft. 2006 hat es gestanden in dieser Höhe. Mir hätte es am Hals gestanden, da hätte ich fast im Stehen trinken können."

    Jan Bültjer ist hinüber gegangen in die zweite Halle. Ein wenig erhöht liegt sie, hochwassergeschützt auf dem Fuß des früheren Deiches. Die Boote werden auf Schienen und per Seilwinde aus dem Hafen herauf gezogen. 28 Meter lang und geschätzte 100 Jahre alt ist der frühere Heringskutter, der die Halle in ganzer Länge und Höhe ausfüllt und im Emdener Hafen als Museumsschiff zu begehen und zu bestaunen sein wird. Innenausbau, Lackieren, Elektroarbeiten, Schweißen. All das muss beherrschen, wer ein Bootsbauer ist. Und fräsen, hobeln, sägen, polieren, schleifen. Schleifen, schleifen und immer wieder schleifen. Gut geschliffen ist halb lackiert. Der Bootsbaumeister schmunzelt und nimmt ein Stück Hanf in die Hand. Es ist präpariert und konserviert, damit es nicht so schell verrottet, und wird in mühsamer Handarbeit zwischen die Holzplanken an der Außenhaut des Schiffes gepresst.

    "Da haben wir so ein Stück Eisen hier und Zentimeter für Zentimeter wird das in diesen Schlitz geschlagen. Das kann dauern, da kommen bei 27 Metern und 20 Nähten und auf der anderen Seite auch noch einige Meter zusammen. Das ist eine langwierige, aber auch eine gewissenhafte Arbeit. Wenn es nachher im Wasser ist, dann muss es natürlich dicht sein. Ist dann natürlich auch ziemlich langweilig irgendwann."

    Draußen im Hafen, der direkt an die Werft grenzt, steht Luitpold Handwerker, Vorsitzender der Ditzumer Hafen- und Kuttergemeinschaft.

    "Die ursprünglichen Holzkutter, die bei Bültjer gebaut worden waren, fuhren tagtäglich bei Hochwasser raus mit ablaufender Tide, haben gefischt und kamen mit auflaufendem Wasser wieder zurück. Es war also laufend Bewegung im Hafen. Der letzte Holzkutter wurde 2002 verkauft."

    Es wurde leer im ohnehin kleinen und überschaubaren Hafenbecken in Ditzum. Unter der Woche zumindest. Am Wochenende steuern die Fischer ihre neuen Metallkutter, die größer sind als die alten Holzboote und mit denen sie weiter und länger hinaus fahren können, zurück in den Heimathafen. Dort stehen sie dann dicht an dicht neben den Freizeit- und Sportbooten des örtlichen Segelvereins und schwanken sanft im Takt der Wellen hin und her.

    "Zu Hochzeiten hat die Bültjer-Werft sieben bis acht Kutter pro Jahr hergestellt. Wir hatten noch zwei Ziegelei hier. Beide Ziegeleien hatten auch viele Angestellte. Im Niederrheiderland hatten wir 33 Ziegelein, die die typischen roten Klinker fertigten, den harten Klinker, den wir brauchen, damit die Häuser sich gegen Kälte und Feuchtigkeit wappnen können."
    Heute ist die Bültjer-Werft größter Arbeitgeber am Ort. Obwohl die Werft so gut wie keine neuen Boote baut, um so mehr aber repariert sie. Der alten Kunst des Bootsbaus ist die Werft über all die Jahre treu geblieben. Jan Bültjer steht vor dem Holzofen, 8,5 Meter lang, einen Meter hoch und ebenso breit. Hierin werden die Holzbohlen, die an die geschwungene Form des Schiffsrumpfs angepasst werden, aufgekocht – mit heißem Wasserdampf. Nach 1,5 Stunden ist das Holz weich. Nun muss jeder Handgriff sitzen, erklärt der Werftchef. In zwei, drei Minuten ist das Holz abgekühlt und lässt sich nicht mehr biegen.

    "Mit dem Brett gehen wir direkt ans Schiff. Darum haben wir ihn ziemlich mittig hier, damit man nicht so lang rennen muss. Direkt ans Schiff und dort mit Zwingen angebracht, kühlt dann ab, kann man dann auch wieder abnehmen, um noch was nachzuarbeiten. Aber normalerweise passt das dann."

    Von Hektik hält Jan Bültjer nicht viel, allemal nicht beim Bau von Holzbooten. Gutes Bootsholz muss lange lagern und gut abgetrocknet sein. Die Faustregel gilt: pro Zentimeter ein Jahr. Ein sieben Zentimeter dickes Brett muss also sieben Jahre liegen. Minimum. Je länger desto besser. Einige Planken, die er verarbeitet, hat noch sein Vater gekauft. Der Schiffsrumpf ist seit jeher aus Eichenholz, das Deck und die Aufbauten aus tropischen Harthölzern – vorneweg Pitch-Pine und Burma-Teak. Manche der 25 Schiffe liegen hier seit einem Jahr, manche, deren Eigentümern das Geld knapp geworden ist, auch länger, erzählt der Chef. Jan Bültjer legt das Werkzeug aus der Hand, schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt ins Dorf nach Hause. Für heute ist erst einmal Feierabend.