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Blütenträume einer Waisen

Gioacchino Rossini war der eigentliche Star auf den Opernbühnen ab etwa 1810. Und er hatte seinen Abgott Mozart genau studiert. Wo Mozart in seinen Opern noch auf kommende Veränderungen hoffen konnte, hatte Rossini sich mit deren Folgen auseinander zu setzen, ohne dass das heute immer noch so genau zu erkennen ist. Auch seine 1817 in Rom uraufgeführte Oper, "La Cenerentola" (Aschenbrödel) gehört dazu.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Gioacchino Rossini war der eigentliche Star auf den Opernbühnen ab etwa 1810. Und er hatte seinen Abgott Mozart genau studiert. Wo Mozart in seinen Opern noch auf kommende Veränderungen hoffen konnte, hatte Rossini sich mit deren Folgen auseinander zu setzen, ohne dass das heute immer noch so genau zu erkennen ist. Auch seine 1817 in Rom uraufgeführte Oper, "La Cenerentola" (Aschenbrödel) gehört dazu. In Hannover hat die jetzt eine Regisseurin inszeniert, die man nach ihrem Debut vor einigen Jahren in Stuttgart für eine der Hoffnungen des Musiktheaters halten konnte.

    Ein bisschen flippig, ein bisschen gaga ist dies Märchen vom Aschenbrödel in der Version des Gioacchino Rossini beziehungsweise der Regisseurin Andrea Schwalbach in Hannover. Auf einer Art Misthaufen mit Hühnern und Schafen residieren die beiden bösen Schwestern Tisbe und Clorinda, der verschnarchte Vater darunter, und Cenerentola, alias Angelina eigentlich das Engelchen, am Rand davor.

    Bis der als sein eigener Diener verkleidete Prinz auftaucht samt dem als eine Art philosophischer Spielmacher, Bettler, Zauberer sich drapierenden Alidoro, der mit allerlei Filibusterei diese Versuchsanordnung dirigiert über das Glück, wie man es erzwingen oder verfehlen kann oder wie es einem einfach in den Schoß fällt.

    Das Glück, der Fahrstuhl von ganz unten nach ganz oben, war das Heilsversprechen der amerikanischen Gründerväter 1776 und dann auch das der Französischen Revolution. Bei Mozart musste der Diener Figaro noch ein Tänzchen mit dem Grafen wagen, um sein Glück gegen das Begehren des Grafen durchzusetzen.

    Bei Rossini, über 30 Jahre später 1817, muss der Prinz in die Rolle des Dieners schlüpfen, um unter den drei Halbschwestern die richtige für sein Glück zu finden. Rossini kannte seinen Mozart und er kannte seinen Beaumarchais. Für den lag das Glück im Zufall, in der Aufhebung der bestehenden Ordnung.

    Bei Rossini liegt die alle Ordnung aufhebende Revolution, die ihm vor allem in Gestalt marodierender Napoleon-Truppen entgegen kam, in schon ferner Vergangenheit. Zu spüren ist sie gleichwohl wie ein Donner oder wie eine in Akkord-Kaskaden heran rollende Tsunami-Welle, die alles unter sich hinweg spült.

    Das Glück ist verkommen zum Glücks-Spiel, von dem Italiens Opernhäuser damals ihren Unterhalt bestreiten mussten.

    Bei Andrea Schwalbach wird aus Rossinis "Cenerentola" eine Slapstick-"KlaMödie" mit depperten Dienern in blau-weißer Livree und gelackter Schmalzlocke. Die beiden bösen Stiefschwestern sind zu blöd, mit ihren Reifröcken durch die etwas schmalen Türen zu gehen.

    Ihr Papa macht Anstalten, die Hände der beiden abzusägen, damit der Armreif drauf passt, den der Prinz einzig als sicheres Zeichen erkennt, wer seine wirkliche Geliebte ist. Und immer wieder hoppelt ein weißes Kaninchen durch die Szene, das auch mal sein Schwänzchen verliert.

    Gewiss, es gibt mit der Ausstattung von Anne Neuser und Stephan von Wedel auch pfiffige Ideen. Etwa dass der Spielmacher Aldoro – eine beliebte Figur in jenen Zeiten des Übergangs – Angelina samt ihrem Misthaufen in die Bühnengrube kippt, als es zum Ball aufs Schloss geht und das Superstar-Roulette beginnt.

    Oder dass nach dem Ball, als die beiden Stiefschwestern sich die Gesichter reiben, diese sich Aschenputtel-grau schwärzen. Denn Diener Dandini weiß: eine Komödie für die einen kippt schnell in eine Tragödie für die anderen.

    Musikalisch ist die Aufführung durchwachsen. Mit Valentina Kutzarova hat man immerhin eine Sängerin, die die gefürchteten Rossini-Koloraturen der Titelpartie fast perfekt beherrscht. Und auch der Prinz Ramiro ist mit Sung-Keun Park trefflich besetzt. Andreas Wolf am Pult heizt das Tempo immer wieder an, auch wenn es dadurch zu sozusagen "Zeitverschiebungen" kommt zwischen Bühne und Graben.

    Zeit-Sprünge freilich gehören zu Rossinis Musik, zumal in den Romanzen der Angelina, wenn sie träumt vom Glück ferner, vergangener Zeiten – wie vielleicht auch mancher Besucher heute, wenn er in die Kontoauszüge seiner Fonds-Zertifikate sich vertieft. Der späte Rossini, der nur mehr für sich komponierte, vertiefte sich in die Welt Bachs. Aber von alledem weiß diese Inszenierung offenbar wenig oder nichts.