Der wilde Eisack, der diesem Eisacktal den Namen gibt, stürzt sich hier direkt neben der alten Brennerstraße als Wasserfall einige Meter in die Tiefe. Der Brennerpass liegt drüben auf diesem Sattel, etwa fünf Kilometer Luftlinie von Gossensaß entfernt. Gossensaß, italienisch "Colle Isarco". Isarco heißt übersetzt: der Eisack. Viel älter als es uns Fotos zeigen könnten, müssen wir uns prähistorische Einzelgänger wie den "Ötzi" vorstellen, modisch in ein selbsterjagtes Tierfell gehüllt. Ötzi streifte hier vor 5000 Jahren in den schneefreien Sommermonaten als Jäger und Tauschhändler an der Passhöhe herum. Später zogen 66 Mal deutsche Kaiser und Könige, beispielsweise zur Krönung nach Rom, mit großem, auch mit militärischem Gefolge hier über diese Serpentinen abwärts, immer durch Gossensaß. Ab 1400 unterhalten die Nürnberger Kaufmannschaft und das Handelsimperium der "Augsburger Fugger" eine fast fahrplanmäßige Sommerverbindung über den Brenner und mitten durch Gossensaß nach Venedig. Der junge Albrecht Dürer kommt im Mai 1495, auf dem Rückweg von Venedig, macht hier eine kurze Rast, bevor der Brennerweg für ihn brutal ansteigt. Und ein anderer junger Wandersmann notiert sich über Gossensaß:
" Des Mondes Viertelbild leuchtet herab, der Abend ist im Sinken. Das felsige Alpengebirge schaut rings in hohe Talgründe. Der Turm des Kirchleins lugt bescheiden unter dem Mondbild hervor. Die Senner kommen von der Alpe. Wir jodeln hinüber, sie antworten. Und wir wandern an der Seite des Eisack die Brennerberge hinab. Eben läutet das Abendglöcklein das Alpenvolk zur Ruhe (Ende) "
Ein Bild in Worten, als wäre es von Dürer hier gezeichnet. Und da, wo der Wandersmann -damals - sich diese Idylle notiert, führt seit 1973, also gut 30 Jahren die Brennerautobahn auf neun hohen Stelzen in einem weiten Brückenbogen einhundert Meter hoch über Gossensaß hinweg. Und niemand jodelt mehr von da oben hinab. Man hört höchstens das Jaulen der Motoren. Früher mussten sich die armen Rösser mit viel Peitschenknall hier ab Gossensaß auf einer besonders dramatischen Steilstrecke über Serpentinen fast 200 Höhenmeter hoch murksen. Gossensaß quasi die letzte Krafttankstelle vor dem Pass. Dr. Günther Ennemoser
" Die Gossensaßer selber haben sich ihr Brot in der Hauptsache mit den Fuhrleuten, mit den Reisenden in der Kutsche verdient. "
Es wurde was gegessen.
" Ja, wir hatten ja Gasthöfe. Es gab damals sechs Hufschmiede, drei Wagner, auch Bremser, die an der Straße warteten, die Wägen dann geölt haben. Für die Pferderast haben sie einfach solche Holzklötze hinter die Räder geschoben, damit sich die Pferde auch ausruhen konnten. #
Mussten auch Pferde vorgehalten werden, wurden hier auch noch mal umgespannt, zugespannt?
" In Gossensaß gab es einen Pferdewechsel, dann weiter, nördlich von Gossensaß, zwei Kilometer cirka, gab es einen weiteren. Dann oben, wenn die Brennersenke langsam eben wird, gab es einen dritten Rosswechsel, je nach Steilheit der Straße.
"
Da sagt auch das beste Pferd, ich brauche jetzt eine Pause, auch von der Gewerkschaft her.
" Ja, und etwas mit Furcht hat man dann der Eröffnung der Eisenbahn entgegen gesehen. "
1734 sind hier 37.000 durchziehende Pferde gezählt worden. 37.000! Umgerechnet wären das täglich etwa 90 Gespanne, die sich durch das enge Gossensaß gequält und gesoffen haben. Es hämmerten die Schmieden, es stank nach verbranntem Hufhorn, Hafersäcke und Wassereimer wurden gereicht. Im September 1786 steigt ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe oben im Posthaus auf dem Brenner, wo er übernachtet hatte, um 7 Uhr früh in eine Intercity-Kutsche und hält fest:
" Ja, und etwas mit Furcht hat man dann der Eröffnung der Eisenbahn entgegen gesehen. Der Postillon schlief ein und die Pferde liefen den schnellsten Trab bergunter, immer auf dem bekannten Wege fort. Kamen sie an einen ebenen Flecken, so ging es desto langsamer. Der Führer wachte auf und trieb wieder an. So komme ich sehr geschwind, zwischen den hohen Felsen an dem reißenden Eisack hinunter. "
Herr Goethe, da übertreiben sie. Wenn Ihr Postillon im schnellsten Trab vom Brenner gepennt hätte, dann muss ihre Kutsche mit 5 Schutzengeln einer himmlischen Versicherungsgesellschaft unterwegs gewesen sein. Sonst wäre Ihre Chaise mit den Rädern nach oben hier kurz vor Gossensaß zerschellt. Aber Goethes Schilderung deutet zwischen den Zeilen an, dass die Vierbeiner verdammt gut diese Steilstrecke und ihre Tücken gekannt haben mögen. 1830 folgt dann Heinrich Heine. Es regnet schauerlich...
" So war auch in mir schlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte ich den Kopf zum Wagen hinausstrecken, und dann schaute ich himmelhohe Berge. Dabei kreischten überall Waldbäche, die sich wie toll von den Höhen herabstürzten und sich in den dunklen Talstrudeln versammelten. Die Menschen stecken in ihren Häuschen, die an den schroffsten Berghängen und bis auf die Bergspitzen zerstreut liegen. Gewöhnlich mit einer langen balkonartigen Galerie, und diese wieder mit Wäsche, Heiligenbildchen, Blumentöpfen und Mädchengesichtern ausgeschmückt. "
Und nun erst lassen wir die Eisenbahnpioniere 1867 die Szene betreten. Ich habe ein altes Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt eine Eisenbahnbaustelle am Brenner. Damals eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von Nord- nach Südtirol, ein österreichisches Prestigeobjekt. Und dieses Foto zeigt eine wackelige Holzrampe zwischen Himmel und Erde, ohne jedes Geländer. Daneben werkeln welche ungesichert an einer Eisenbrücke, die in einen Tunnel führt. Ennemoser:
" Die normale Steigung zum Brennerpass war von der südlichen wie auch nördlichen Seite des Brenners nicht machbar. Und um diese Steigung zu umgehen hat Ingenieur von Etzel eine Schleife bei Gossensaß ins Pflerschtal gezogen. Dann wurde in einem Tunnel die Richtung wieder zum Brenner eingeschlagen. "
Mit zwei, drei Loks musste geschoben und gezogen:
" Ja zum Beispiel ist eine Lok mit einem Postwagen und einem Personenwagen über den Brenner gefahren, um zu sehen ob das alles so gut funktioniert. "
" Diese Dampfbahn über den Brenner war eine Sensation. Alte Fotos zeigen uns betuchte Familien, die damals zum Sonntagsspaziergang aus Innsbruck oder Bozen im gravitätischen Gehrock hier aussteigen. Dann mit dem stolzen Herrn Bahnhofsobervorsteher unter dem Schild "Gossensaß 1.098 Meter über dem Meeresspiegel" für den Fotografen posieren, dann den Ort besichtigen, der Kurkapelle lauschen. "
Heute spielt im Kurgärtlein eine Bürgerkapelle. Und dann sind damals diese Tagesgäste gegenüber im Speisesaal des Grandhotels oder in das Plazza eingekehrt. Gossensaß bleibt zwar ländlich, trotz Grandhotel mit 350 Betten, eine hochgelegene Sommerfrische.
" Es sind in jenen Jahren mit der Eisenbahn dann auch illustere Persönlichkeiten hier her gekommen. Ich darf nur den großen norwegischen Dramatiker Hendrik Ibsen nennen, der hier in Gossensaß sieben Sommer seines Lebens verbracht hat. Und die sind nicht etwa nur ein Wochenende geblieben. Sie sind sechs, sieben, acht Wochen hier geblieben. Es war natürlich damals der Nobeltourismus. Haben Gossensaß zum zweitmeistbesuchtesten Sommerkurort in den Alpen Tirols gemacht. Das gewöhnliche Volk, das Arbeitervolk konnte sich damals einen Urlaub, auch in den Bergen oder am Meer gar nicht leisten. "
" Eine Sozialgeschichte der Luftkurorte. Wir schauen uns hier im Ibsen-Museum im Rathaus um. Also, 10 Jahre nach der Eröffnung der neuen Eisenbahnlinie kommt Ibsen erstmals, insgesamt dann 7 Sommer lang, hierher. Er arbeitet hier auch an seinen durchaus radikalen-, die "biedermännlische" Bürgerwelt erschreckenden gesellschaftskritischen Stücken. Nora, ein Puppenheim, die Wildente. Wir sehen hier im Museum Fotos, Briefe. Und vor allem in der "Hedda Gabler" baut Ibsen in den Dialogen Anspielungen auf Gossensaß ein. "
Wir schlendern weiter durch den Ort. Diese frühere "KuK"-Hochsaison endete jäh mit den Schlachten des 1. Weltkrieges, wo Österreich Südtirol an Italien verliert. Der Brennerübergang wird Staatsgrenze. Die Dichter und Denker und die Industriebarone bleiben erst mal weg.
Und mit einem anderen Foto machen wir einen Sprunge in die 50-er Jahre. Nun drängeln sich Stoßstange an Stoßstange überladene VW-Käfer, die damals mit knapp 30 PS-Pferdestärken über die Höhe kamen, wir sehen den Buckel-Taunus von Ford, Motorräder mit und ohne Seitenwagen. Alles staut sich im Ort auf der Fahrt in das Land, wo die Zitronen blühn. Erst seit dem Bau der Autobahn hat der Ort wieder an Beschaulichkeit gewonnen. Wir blicken in das Pflerschtal hinein, wo unter anderem in 2.000 Metern Höhe Wintersport vom Feinsten angeboten wird. Und wo dieses Pflerschtal beginnt, stehen wir hier direkt an der Barbarakappelle, der Schutzpatronin der Knappen. Und diese Kappelle erzählt uns von einer anderen großen Vergangenheit Gossensaß', zwischen 1300 bis 1800. Silber-Erz-Abbau. Die verschwendungssüchtigen Fürsten von Tirol, die prachtliebenden Fürstbischöfe von Brixen und die umtriebigen Fugger in Augsburg, alle stecken sich die Taschen voll. Denn sie besitzen die Abbaurechte, hier in diesem Seitental von Gossensaß
" In der Blütezeit dieser Bergbauperiode arbeiteten rund 1.200 Knappen in dieser Gegend Pflersch und Gossensaß. Dafür wurden sie aber gut bezahlt. Und vor allem sehr, sehr gesundheitsschädlich war diese Arbeit. Denn wenn sie auf den Friedhöfen,...die wurden durchschnittlich nie mehr als Mitte Vierzig. "
Und das war die 6-Tagewoche. War Gossensaß denn auch so etwas Silberbergbau-Wildwest- Verhältnisse?
" Nein, das darf man nicht sagen. Wohl aber war Gossensaß bis ins 16.-Jahrhundert auch Berggericht. "
" Die Bergknappen und die reichen Bergherren stiftet also diese Barbarakapelle, stiften auch einem opulent bebilderten Schnitzaltar, den man sich sogar aus dem teuren Wien leisten kann. Und hier finden wir auch das so genannte "Dürer-kreuz". "
" Einem spätgotischen Kreuz. Und da meinten früher manche, das Kreuz hätte mit dem Dürer künstlerisch was zu tun. Denn nach mehreren Recherchen hat sich herausgestellt, bei seiner Italienreise, als Dürer über den Brenner kam, hat er oberhalb von Gossensaß am Fuße dieses Kreuzes, das ja damals dort gestanden hat, eine Rast eingelegt. Und deshalb hat der damalige Pfarrer in sein Buch "Dürerkreuz" geschrieben. Aber mit seiner künstlerischen Fähigkeit hat dieses Kreuz nichts zu tun.
Und direkt neben der Kapelle der Bergknappen steht die Pfarrkirche. Ein Barockkleinod, innen mit Deckenfresken von Mathäus Günther ausgemalt. Diese Brenner-Verbindung, gleichzeitig Heer- und Handelsstraße und Silberstraße und Kulturschneise, das belegt sich auch im kleinen Beispiel dieser Kirche. Dieser Mathäus Günther ist ein Schüler der berühmten Barockbaumeister und Maler Gebrüder Asam, die-, wenn man etwas übertreiben darf, fast die Hälfte aller Klöster und Kirchen in Bayern ausgemalt haben. Die Asams haben ihre Kunst zuvor in Italien studiert und dann nach Bayern importiert. Und Mathäus Günther, der Schüler, wird dann wiederum mit seiner Werkstatt 1751 aus Augsburg, der Fuggerstadt, in das silberreiche Gossensaß engagiert. Also, süddeutsche Freskenkunst geht wieder über den Brenner in den südlicheren Kulturraum zurück. Und 250 Jahre zuvor wandert Albrecht Dürer, mit den Vorstellungen der neuen italienischen Renaissancemalerei aus Venedig in seinem Reiserucksack, auch über diese Brennerstraße. Dazwischen rollen die schwer überladenen Pferdewagen, die das Silbererz aus Gossensaß über den Brenner nach Innsbruck und weiter in die Silberschmelzen und Münzprägen der Fugger transportieren.
Es war schon immer so: ob die Straße trocken oder nass, alles rollt durch Gossensaß.
" Des Mondes Viertelbild leuchtet herab, der Abend ist im Sinken. Das felsige Alpengebirge schaut rings in hohe Talgründe. Der Turm des Kirchleins lugt bescheiden unter dem Mondbild hervor. Die Senner kommen von der Alpe. Wir jodeln hinüber, sie antworten. Und wir wandern an der Seite des Eisack die Brennerberge hinab. Eben läutet das Abendglöcklein das Alpenvolk zur Ruhe (Ende) "
Ein Bild in Worten, als wäre es von Dürer hier gezeichnet. Und da, wo der Wandersmann -damals - sich diese Idylle notiert, führt seit 1973, also gut 30 Jahren die Brennerautobahn auf neun hohen Stelzen in einem weiten Brückenbogen einhundert Meter hoch über Gossensaß hinweg. Und niemand jodelt mehr von da oben hinab. Man hört höchstens das Jaulen der Motoren. Früher mussten sich die armen Rösser mit viel Peitschenknall hier ab Gossensaß auf einer besonders dramatischen Steilstrecke über Serpentinen fast 200 Höhenmeter hoch murksen. Gossensaß quasi die letzte Krafttankstelle vor dem Pass. Dr. Günther Ennemoser
" Die Gossensaßer selber haben sich ihr Brot in der Hauptsache mit den Fuhrleuten, mit den Reisenden in der Kutsche verdient. "
Es wurde was gegessen.
" Ja, wir hatten ja Gasthöfe. Es gab damals sechs Hufschmiede, drei Wagner, auch Bremser, die an der Straße warteten, die Wägen dann geölt haben. Für die Pferderast haben sie einfach solche Holzklötze hinter die Räder geschoben, damit sich die Pferde auch ausruhen konnten. #
Mussten auch Pferde vorgehalten werden, wurden hier auch noch mal umgespannt, zugespannt?
" In Gossensaß gab es einen Pferdewechsel, dann weiter, nördlich von Gossensaß, zwei Kilometer cirka, gab es einen weiteren. Dann oben, wenn die Brennersenke langsam eben wird, gab es einen dritten Rosswechsel, je nach Steilheit der Straße.
"
Da sagt auch das beste Pferd, ich brauche jetzt eine Pause, auch von der Gewerkschaft her.
" Ja, und etwas mit Furcht hat man dann der Eröffnung der Eisenbahn entgegen gesehen. "
1734 sind hier 37.000 durchziehende Pferde gezählt worden. 37.000! Umgerechnet wären das täglich etwa 90 Gespanne, die sich durch das enge Gossensaß gequält und gesoffen haben. Es hämmerten die Schmieden, es stank nach verbranntem Hufhorn, Hafersäcke und Wassereimer wurden gereicht. Im September 1786 steigt ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe oben im Posthaus auf dem Brenner, wo er übernachtet hatte, um 7 Uhr früh in eine Intercity-Kutsche und hält fest:
" Ja, und etwas mit Furcht hat man dann der Eröffnung der Eisenbahn entgegen gesehen. Der Postillon schlief ein und die Pferde liefen den schnellsten Trab bergunter, immer auf dem bekannten Wege fort. Kamen sie an einen ebenen Flecken, so ging es desto langsamer. Der Führer wachte auf und trieb wieder an. So komme ich sehr geschwind, zwischen den hohen Felsen an dem reißenden Eisack hinunter. "
Herr Goethe, da übertreiben sie. Wenn Ihr Postillon im schnellsten Trab vom Brenner gepennt hätte, dann muss ihre Kutsche mit 5 Schutzengeln einer himmlischen Versicherungsgesellschaft unterwegs gewesen sein. Sonst wäre Ihre Chaise mit den Rädern nach oben hier kurz vor Gossensaß zerschellt. Aber Goethes Schilderung deutet zwischen den Zeilen an, dass die Vierbeiner verdammt gut diese Steilstrecke und ihre Tücken gekannt haben mögen. 1830 folgt dann Heinrich Heine. Es regnet schauerlich...
" So war auch in mir schlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte ich den Kopf zum Wagen hinausstrecken, und dann schaute ich himmelhohe Berge. Dabei kreischten überall Waldbäche, die sich wie toll von den Höhen herabstürzten und sich in den dunklen Talstrudeln versammelten. Die Menschen stecken in ihren Häuschen, die an den schroffsten Berghängen und bis auf die Bergspitzen zerstreut liegen. Gewöhnlich mit einer langen balkonartigen Galerie, und diese wieder mit Wäsche, Heiligenbildchen, Blumentöpfen und Mädchengesichtern ausgeschmückt. "
Und nun erst lassen wir die Eisenbahnpioniere 1867 die Szene betreten. Ich habe ein altes Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt eine Eisenbahnbaustelle am Brenner. Damals eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von Nord- nach Südtirol, ein österreichisches Prestigeobjekt. Und dieses Foto zeigt eine wackelige Holzrampe zwischen Himmel und Erde, ohne jedes Geländer. Daneben werkeln welche ungesichert an einer Eisenbrücke, die in einen Tunnel führt. Ennemoser:
" Die normale Steigung zum Brennerpass war von der südlichen wie auch nördlichen Seite des Brenners nicht machbar. Und um diese Steigung zu umgehen hat Ingenieur von Etzel eine Schleife bei Gossensaß ins Pflerschtal gezogen. Dann wurde in einem Tunnel die Richtung wieder zum Brenner eingeschlagen. "
Mit zwei, drei Loks musste geschoben und gezogen:
" Ja zum Beispiel ist eine Lok mit einem Postwagen und einem Personenwagen über den Brenner gefahren, um zu sehen ob das alles so gut funktioniert. "
" Diese Dampfbahn über den Brenner war eine Sensation. Alte Fotos zeigen uns betuchte Familien, die damals zum Sonntagsspaziergang aus Innsbruck oder Bozen im gravitätischen Gehrock hier aussteigen. Dann mit dem stolzen Herrn Bahnhofsobervorsteher unter dem Schild "Gossensaß 1.098 Meter über dem Meeresspiegel" für den Fotografen posieren, dann den Ort besichtigen, der Kurkapelle lauschen. "
Heute spielt im Kurgärtlein eine Bürgerkapelle. Und dann sind damals diese Tagesgäste gegenüber im Speisesaal des Grandhotels oder in das Plazza eingekehrt. Gossensaß bleibt zwar ländlich, trotz Grandhotel mit 350 Betten, eine hochgelegene Sommerfrische.
" Es sind in jenen Jahren mit der Eisenbahn dann auch illustere Persönlichkeiten hier her gekommen. Ich darf nur den großen norwegischen Dramatiker Hendrik Ibsen nennen, der hier in Gossensaß sieben Sommer seines Lebens verbracht hat. Und die sind nicht etwa nur ein Wochenende geblieben. Sie sind sechs, sieben, acht Wochen hier geblieben. Es war natürlich damals der Nobeltourismus. Haben Gossensaß zum zweitmeistbesuchtesten Sommerkurort in den Alpen Tirols gemacht. Das gewöhnliche Volk, das Arbeitervolk konnte sich damals einen Urlaub, auch in den Bergen oder am Meer gar nicht leisten. "
" Eine Sozialgeschichte der Luftkurorte. Wir schauen uns hier im Ibsen-Museum im Rathaus um. Also, 10 Jahre nach der Eröffnung der neuen Eisenbahnlinie kommt Ibsen erstmals, insgesamt dann 7 Sommer lang, hierher. Er arbeitet hier auch an seinen durchaus radikalen-, die "biedermännlische" Bürgerwelt erschreckenden gesellschaftskritischen Stücken. Nora, ein Puppenheim, die Wildente. Wir sehen hier im Museum Fotos, Briefe. Und vor allem in der "Hedda Gabler" baut Ibsen in den Dialogen Anspielungen auf Gossensaß ein. "
Wir schlendern weiter durch den Ort. Diese frühere "KuK"-Hochsaison endete jäh mit den Schlachten des 1. Weltkrieges, wo Österreich Südtirol an Italien verliert. Der Brennerübergang wird Staatsgrenze. Die Dichter und Denker und die Industriebarone bleiben erst mal weg.
Und mit einem anderen Foto machen wir einen Sprunge in die 50-er Jahre. Nun drängeln sich Stoßstange an Stoßstange überladene VW-Käfer, die damals mit knapp 30 PS-Pferdestärken über die Höhe kamen, wir sehen den Buckel-Taunus von Ford, Motorräder mit und ohne Seitenwagen. Alles staut sich im Ort auf der Fahrt in das Land, wo die Zitronen blühn. Erst seit dem Bau der Autobahn hat der Ort wieder an Beschaulichkeit gewonnen. Wir blicken in das Pflerschtal hinein, wo unter anderem in 2.000 Metern Höhe Wintersport vom Feinsten angeboten wird. Und wo dieses Pflerschtal beginnt, stehen wir hier direkt an der Barbarakappelle, der Schutzpatronin der Knappen. Und diese Kappelle erzählt uns von einer anderen großen Vergangenheit Gossensaß', zwischen 1300 bis 1800. Silber-Erz-Abbau. Die verschwendungssüchtigen Fürsten von Tirol, die prachtliebenden Fürstbischöfe von Brixen und die umtriebigen Fugger in Augsburg, alle stecken sich die Taschen voll. Denn sie besitzen die Abbaurechte, hier in diesem Seitental von Gossensaß
" In der Blütezeit dieser Bergbauperiode arbeiteten rund 1.200 Knappen in dieser Gegend Pflersch und Gossensaß. Dafür wurden sie aber gut bezahlt. Und vor allem sehr, sehr gesundheitsschädlich war diese Arbeit. Denn wenn sie auf den Friedhöfen,...die wurden durchschnittlich nie mehr als Mitte Vierzig. "
Und das war die 6-Tagewoche. War Gossensaß denn auch so etwas Silberbergbau-Wildwest- Verhältnisse?
" Nein, das darf man nicht sagen. Wohl aber war Gossensaß bis ins 16.-Jahrhundert auch Berggericht. "
" Die Bergknappen und die reichen Bergherren stiftet also diese Barbarakapelle, stiften auch einem opulent bebilderten Schnitzaltar, den man sich sogar aus dem teuren Wien leisten kann. Und hier finden wir auch das so genannte "Dürer-kreuz". "
" Einem spätgotischen Kreuz. Und da meinten früher manche, das Kreuz hätte mit dem Dürer künstlerisch was zu tun. Denn nach mehreren Recherchen hat sich herausgestellt, bei seiner Italienreise, als Dürer über den Brenner kam, hat er oberhalb von Gossensaß am Fuße dieses Kreuzes, das ja damals dort gestanden hat, eine Rast eingelegt. Und deshalb hat der damalige Pfarrer in sein Buch "Dürerkreuz" geschrieben. Aber mit seiner künstlerischen Fähigkeit hat dieses Kreuz nichts zu tun.
Und direkt neben der Kapelle der Bergknappen steht die Pfarrkirche. Ein Barockkleinod, innen mit Deckenfresken von Mathäus Günther ausgemalt. Diese Brenner-Verbindung, gleichzeitig Heer- und Handelsstraße und Silberstraße und Kulturschneise, das belegt sich auch im kleinen Beispiel dieser Kirche. Dieser Mathäus Günther ist ein Schüler der berühmten Barockbaumeister und Maler Gebrüder Asam, die-, wenn man etwas übertreiben darf, fast die Hälfte aller Klöster und Kirchen in Bayern ausgemalt haben. Die Asams haben ihre Kunst zuvor in Italien studiert und dann nach Bayern importiert. Und Mathäus Günther, der Schüler, wird dann wiederum mit seiner Werkstatt 1751 aus Augsburg, der Fuggerstadt, in das silberreiche Gossensaß engagiert. Also, süddeutsche Freskenkunst geht wieder über den Brenner in den südlicheren Kulturraum zurück. Und 250 Jahre zuvor wandert Albrecht Dürer, mit den Vorstellungen der neuen italienischen Renaissancemalerei aus Venedig in seinem Reiserucksack, auch über diese Brennerstraße. Dazwischen rollen die schwer überladenen Pferdewagen, die das Silbererz aus Gossensaß über den Brenner nach Innsbruck und weiter in die Silberschmelzen und Münzprägen der Fugger transportieren.
Es war schon immer so: ob die Straße trocken oder nass, alles rollt durch Gossensaß.