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Blut, Schweiß und T-Shirts

Für vierzig Prozent der jungen Menschen ist Fernsehen nur noch Hintergrundmedium und was für ältere Leute. Dieses Image scheint vor allem öffentlich-rechtlichen Sendern anzuhaften. Doch es geht auch anders, wie das Beispiel BBC Three aus Großbritannien zeigt. Seit fünf Jahren beweist dieses öffentlich-rechtliche Programm, dass Fernsehen für junge Zuschauer sehr wohl funktionieren kann.

Von Bettina Schmieding |
    Sechs junge Leute, so die Idee hinter der Dokumentarserie "Blood, Sweat and T-Shirts”, sollten am eigenen Leib erfahren, was eigentlich hinter den Fummeln steckt, die sie Hauptsache billig für ein paar Pfund auf der Londoner High Street kaufen. BBC Three schickte sie nach Indien. Die die schäbige, die arme Seite der Modeindustrie, das sollten sie kennenlernen. Die sechs jungen Briten lebten mit den mittellosen Baumwollpflückern, schufteten in Fabriken und fuhren mit vollgestopften Vorortzügen dritter Klasse zur Arbeit.

    BBC Three greift Themen auf, die die jungen Zuschauer zwischen 16 und 34 Jahren interessieren und erreicht in dieser Gruppe immerhin 35 Prozent. Der Sender will ein verantwortungsbewusstes, öffentlich-rechtliches Programm, aber ohne erhobenen Zeigefinger machen, sagt der Planungschef Dan McGolpin, selber gerade 33 Jahre alt.

    "Wir wollen die jüngeren Zuschauer nicht abstempeln, weil wir nicht der Meinung sind, dass sie so oder so sind. Wir glauben nicht, dass alle supercool sind. Das wichtigste ist, dass sie das Gefühl haben, dass das Programm von jungen Leuten gemacht wird und junge Leute daran beteiligt sind."

    In "Mum at 14” erzählt eine 14-Jährige, was es bedeutet, Mutter zu sein. Die Sichtweise dieses Mädchens ist, was die Reality-Serie so erfolgreich gemacht hat, meint Dan McGolpin. Der Titel einer Sendung, so das Credo von BBC Three, ist einer der wichtigsten Aspekte beim Programmmachen für junge Leute. Wobei wir auf keinen Fall Jugendsprache imitieren, versichert er.

    "Kürzlich lief bei uns eine Sendung namens "Großbritanniens wirklich widerliches Essen". Manche Leute könnten so einen Titel für sensationsheischend halten. Das bedeutet aber nicht, dass diese Sendungen nicht durchdacht sind. Für uns ist das wichtigste, dass die Titel ankommen. Und wenn wir sie dann erst mal für die Sendung interessiert haben, dann ist es natürlich wichtig, dass die Sendung von hoher Qualität und intelligent ist."

    TV-Attraktion Nummer zwei für fernsehmüde Teenager und junge Erwachsene sind eigene Inhalte. Bei BBC Three dürfen sich die Zuschauer mit eigenem Material beteiligen. "Be on TV" heißt das und ist eine besondere Form von User Generated Content, also Nutzer generierten Inhalten. McGolpin gibt zu, dass der Sender da sehr wählerisch sei und das Material, dass die Zuschauer über das Internet zur Verfügung stellen, vor allem dazu benutzt würde, eigene Sendungen zu bewerben. Ästhetik sei wichtig, sagt er und Material von Laien sei nun mal Material von Laien. Da wären auch junge Zuschauer sehr anspruchsvoll.

    "Junge Leute sind an ein gewisses Qualitätsniveau gewöhnt. Auch in ihren eigenen Programmen akzeptieren sie keine billig gemachten Sendungen. Wenn man ihnen keine hochwertigen Formate bietet, werden sie sich nicht für das Programm interessieren. Das wäre reine Zeitverschwendung. Junge Leute sind genauso für Politik zu interessieren wie Ältere. Sie gehen nur anders daran."

    Diese Erkenntnis macht sich auch der deutsche Sender RTL 2 zunutze.

    "Wir machen eine Mischung aus dem, was ich immer sage: What you want to know und what you need to know. Also eine Mischung aus dem was man zum Verständnis des Nachrichtentages braucht und dem, was man gerne wissen möchte."

    Auch der Privatsender RTL 2, der sich wie BBC Three vor allem an jüngere Zuschauer wendet, sieht sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, zu "sensationsheischend" zu sein. Chefredakteur Jürgen Ohls stellt sich ein gutes TV-Programm für junge Leute so vor:

    " Ich sehe es nicht unter dem Aspekt, dass ich irgendeinen Programmauftrag erledige, sondern ich sehe es unter dem Aspekt, dass ich junge Menschen mit Nachrichten versorge, dass ich sie da abhole, wo sie sind und nicht da, wo ich glaube, wo sie sein müssten. Wenn bei Rock am Ring 60.000 Leute drei Tage friedlich miteinander feiern, dann wird das zum Thema in den RTL-2-News."

    Man kann, so Ohls, sehr wohl über Russland und Georgien sprechen und trotzdem Jugendliche erreichen. Ein Kardinalfehler wäre es allerdings, so der RTL-2-Chefredakteur, die Sicht der Jugendlichen nur zu simulieren.

    " Für uns ist zum Beispiel der Parteitag der Demokraten in den USA ein Thema. Wie können wir das als Nachrichtensendung für Jugendliche so interessant machen, wie kann ich das ergänzen. Es gibt eine Band, die tritt mit Obama auf, die Flow Boards, die einen sehr politischen Inhalt haben. Wir koppeln diese beiden Dinge und schon wird aus einer drögen Nachricht ein Gesamtpaket einer Darstellung, was nicht weniger die Realität spiegelt als das reine Abbilden, dass man in einem Stadion gesprochen hat vor 75.000 Leuten."

    Einen eigenen öffentlich-rechtlichen Kanal, so wie in Großbritannien, der 16 bis 34-Jährige Zuschauer anspricht, den gibt es in Deutschland nicht. Dabei könnte gerade diese Zielgruppe für den Fortbestand von ARD und ZDF wichtig sein.

    "Wir waren in Deutschland einfach zu träge. Das deutsche öffentlich-rechtliche System, war über Jahrzehnte, was den Umgang mit Jugendlichen angeht, einfach zu träge."

    Hier und da finden sich zaghafte Versuche, die jungen Leute aus dem Internet wieder vor die Fernseher zu locken. "Südwild" ist so ein Versuch. Der Bayerische Rundfunk nimmt sich werktäglich eine Stunde Zeit für die jungen Zuschauer. Redaktionsleiter Wolfgang Mezger erläutert, welchen Fehler er dabei nicht begehen wollte.

    " Ich wollte auf gar keinen Fall eine Sendung von 35- bis 45-Jährigen machen, die aus ihrer persönlichen Sicht erzählen, was Jugendliche interessiert. Ich wollte von vornherein die Zielgruppe in die Programmgestaltung mit einbinden."

    Der Bayerische Rundfunk schickt das Südwild-Team in Doppeldeckerbussen durchs Bundesland. Jeweils für eine Woche wird Station gemacht. Trainer bereiten interessierte Jugendliche aus den Orten schon Wochen vorher auf ihre Auftritte als Moderatoren oder Reporter in der Sendung vor. Mezger versteht "Südwild" auch als Medienpädagogik.

    " Von unserem Programm-Content sind sechzig, siebzig Prozent von Jugendlichen gestaltet - zu so großen Teilen, die für öffentlich-rechtliche Sender eigentlich ungewöhnlich sind.""

    Dabei sind doch auch in der Zielgruppe der 16 bis 34-Jährigen viele Zuschauer dabei, die Rundfunkgebühren zahlen. Das ist zumindest der BBC schon seit längerem klar, sagt Dan McGolpin.

    "Alle BBC-Programme nehmen junge Leute ernst, und auch BBC One und BBC Two strengen sich an, für dieses Publikum attraktiv zu sein. Wir glauben fest daran, dass jeder, der Rundfunkgebühren bezahlt, auch einen Nutzen aus dieser Gebühr ziehen sollte. Wer das nicht berücksichtigt, wird die jungen Zuschauer verlieren. Und das Publikum wird nicht mehr länger die Notwendigkeit für öffentlich-rechtliche Programme sehen."