Ein wenig verloren sah das Publikum gestern schon aus, auf den antiken Steinstufen des großen Epidaurus-Theaters. Um eine deutsche Version der Orestie vor griechischer Originalkulisse zu erleben, hatten sich 4000 vielleicht auch 5000 Zuschauer eingefunden. Mehr als je an einem Abend das Schauspielhaus in Frankfurt fassen würde, aber eben nur weniger als die Hälfte dessen, wofür das steinerne Rund einst erbaut wurde, zuerst von den Griechen, dann von den Römern erweitert. An diesem fast intim zu nennenden Abend söhnte sich Regisseurin Karin Neuhäuser nach drei Tagen Probe schließlich mit der Freiluftfassung ihrer sorgfältig geschliffenen Frankfurter Indoor-Inszenierung aus.
Denn wer in Epidaurus die Bühne stürmen will, ob Peter Stein vor einer Woche oder das Londoner National Theatre Ende August, der fragt erst einmal die Archäologen. Darf die weltberühmte antike Markierung, von der aus ein Sprecher ohne jegliche Hilfsmittel auf allen Plätzen zu hören ist, überbaut werden? Zumal, bei der Orestie, mit einem Bassin, vollgepumpt mit blutrotem Wasser? Darf die Musik in der Inszenierung gewisse Dezibelzahlen erreichen, wo dürfen die Schauspieler agieren und wo müssen Holzplanken die antiken Überreste schützen?
Alles Fragen, die Frankfurts Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger vor Monaten mit dem Präsidenten des Hellenic-Festivals Yorgos Loukos in Berlin diskutieren musste, nachdem dieser, von der Produktions-DVD begeistert, das Frankfurter Team zu sich eingeladen hatte.
Eines war vorab klar: Die diffizile Bühnentechnik von Franz Lehr würde auf dem bloßen Sandkreis, der traditionell die Bühne darstellt, keine Chance haben. Kein Schnürboden, keine Unterbühne, noch nicht einmal eine Hinterbühne - modernes deutsches Theater und seine Kulissenschieberei hat es da schwer. Der Kompromiss (im übrigen nur für zwei Tage): Unter archäologischer Aufsicht baute Bühnenbildner Lehr das bis aufs Kilogramm abgestimmte Bassin, umgeben von einem hüfthoher Laufgraben, dahinter eine schiefergraue Kulissenmauer mit Klappbrücke und Türen. Obenauf der Umgang für eine später ins Dunkel brüllende Cornelia Niemann, Wächterin von Mykene und Künderin der Rückkehr von Agamemnon aus Troja. Einem desillusionierten, siegreichen König, erwartet von Ehefrau Klytaimnestra (wunderbar hysterisch gespielt von Friederike Kammer). Wenig später ist der Held ermordet, ganz banal in der Badewanne.
Die Trilogie von Aischylos Orestie basiert auf den Überlieferungen vom Trojanischen Krieg und dessen blutigen Auswirkungen auf eine Familie wie die der Atriden von Mykene. Auf den Mord am Ehemann und Vater folgt der Rachakt an der Mutter, vollführt von dem einst ausgestoßenen Sohn Oresties - ein wenig blass gespielt von Christian Kuchenbuch. Die Erinnyen, bei Neuhäuser sechs blutverschmierte Rachegöttinnen, fordern daraufhin in einer glitterbunten Fernsehshow den Tod des Orestes.
Bereits im fünften Jahrhundert vor Christus verbindet Aischylos die Beschreibung von einem nahezu undurchschaubaren Geflecht von Krieg und Tod, Mord und Blutrache, in einigen Teilen Europas bis heute verbreitet, mit der Forderung nach einer Ablösung des archaischen Gottesurteils durch ein von Menschen geleitetes Gericht.
Im 21. Jahrhundert hieße das: Die Beendigung der religiös verbrämten Afghanistan-, Irak- und sonstiger Ost-Westkonflikte und Einsetzung eines unabhängigen Weltgerichtshofes. Ein aktuelles Thema also, das Karin Neuhäuser da nach Griechenland getragen hat. Nach fünf Stunden Aufführungsdauer, selbst für Griechen ungewohnt, hat die Regisseurin ein begeistertes Publikum an ihrer Seite. Wie sie die drei Teile des Werkes stilistisch wie auch optisch und akustisch voneinander absetzt, das erstaunt das aus Athener Theaterwissenschaftlern, griechischen Schauspielern, Intellektuellen aus Athens Künstlerszene und zahlreichen deutschen Touristen bestehende Publikum.
Und Festivalpräsident Yorgos Loukos, Teil eines siebenköpfigen Festivalgremiums, kann sich freuen: Sein neues Konzept, das archäologisch sensible Epidaurus-Theater für antike Stoffe in moderner Inszenierung fit zu machen, beschert seinem Hellenic-Festival beziehungsweise Greek-Festival - der endgültige Name scheint noch nicht festzustehen - ein neues, ein anspruchsvolles Publikum. Nicht unbedingt mehr Zuschauer, aber darum geht es dem eloquenten Mittfünfziger auch nicht. Sein diesjähriges Programm unter dem Motto "Aspekte von Tragik" konzentriert sich auf zwei Punkte:
Erstens die Einflüsse antiker Werke in Aufklärung und Moderne und zweitens: die antike Tragödie. Ganz klar steht für Loukos die aus London eingeladene Deborah Warner Inszenierung von Samuel Becketts "Happy days" in einer Reihe mit Sophokles Elektra, mit dessen Antigone und Euripides Iphigenie auf Tauris. Ganz abgesehen von dem Dauerbrenner, Luigi Cherubinis Oper Medea, in der einst Maria Callas 1961 hier auftrat.
Zehn Wochenenden wird das antike Theater von Epidaurus im Sommer bespielt, ein neuer Geheimtipp, begleitet von glutroten Sonnenuntergängen und lärmenden Zikaden. Als weit nach Mitternacht die rosarot gekleidete Göttin Athene den angeklagten Orestes freispricht und die riesigen Scheinwerfer ihre Lichtbündel herunterdimmen, haben sich die Reihen aufgrund der Uhrzeit zwar sichtbar gelichtet, Frankfurts deutsche Orestie ist aber auf jeden Fall gut in Griechenland angekommen.
Hellenic Festival / Greek Festival
Denn wer in Epidaurus die Bühne stürmen will, ob Peter Stein vor einer Woche oder das Londoner National Theatre Ende August, der fragt erst einmal die Archäologen. Darf die weltberühmte antike Markierung, von der aus ein Sprecher ohne jegliche Hilfsmittel auf allen Plätzen zu hören ist, überbaut werden? Zumal, bei der Orestie, mit einem Bassin, vollgepumpt mit blutrotem Wasser? Darf die Musik in der Inszenierung gewisse Dezibelzahlen erreichen, wo dürfen die Schauspieler agieren und wo müssen Holzplanken die antiken Überreste schützen?
Alles Fragen, die Frankfurts Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger vor Monaten mit dem Präsidenten des Hellenic-Festivals Yorgos Loukos in Berlin diskutieren musste, nachdem dieser, von der Produktions-DVD begeistert, das Frankfurter Team zu sich eingeladen hatte.
Eines war vorab klar: Die diffizile Bühnentechnik von Franz Lehr würde auf dem bloßen Sandkreis, der traditionell die Bühne darstellt, keine Chance haben. Kein Schnürboden, keine Unterbühne, noch nicht einmal eine Hinterbühne - modernes deutsches Theater und seine Kulissenschieberei hat es da schwer. Der Kompromiss (im übrigen nur für zwei Tage): Unter archäologischer Aufsicht baute Bühnenbildner Lehr das bis aufs Kilogramm abgestimmte Bassin, umgeben von einem hüfthoher Laufgraben, dahinter eine schiefergraue Kulissenmauer mit Klappbrücke und Türen. Obenauf der Umgang für eine später ins Dunkel brüllende Cornelia Niemann, Wächterin von Mykene und Künderin der Rückkehr von Agamemnon aus Troja. Einem desillusionierten, siegreichen König, erwartet von Ehefrau Klytaimnestra (wunderbar hysterisch gespielt von Friederike Kammer). Wenig später ist der Held ermordet, ganz banal in der Badewanne.
Die Trilogie von Aischylos Orestie basiert auf den Überlieferungen vom Trojanischen Krieg und dessen blutigen Auswirkungen auf eine Familie wie die der Atriden von Mykene. Auf den Mord am Ehemann und Vater folgt der Rachakt an der Mutter, vollführt von dem einst ausgestoßenen Sohn Oresties - ein wenig blass gespielt von Christian Kuchenbuch. Die Erinnyen, bei Neuhäuser sechs blutverschmierte Rachegöttinnen, fordern daraufhin in einer glitterbunten Fernsehshow den Tod des Orestes.
Bereits im fünften Jahrhundert vor Christus verbindet Aischylos die Beschreibung von einem nahezu undurchschaubaren Geflecht von Krieg und Tod, Mord und Blutrache, in einigen Teilen Europas bis heute verbreitet, mit der Forderung nach einer Ablösung des archaischen Gottesurteils durch ein von Menschen geleitetes Gericht.
Im 21. Jahrhundert hieße das: Die Beendigung der religiös verbrämten Afghanistan-, Irak- und sonstiger Ost-Westkonflikte und Einsetzung eines unabhängigen Weltgerichtshofes. Ein aktuelles Thema also, das Karin Neuhäuser da nach Griechenland getragen hat. Nach fünf Stunden Aufführungsdauer, selbst für Griechen ungewohnt, hat die Regisseurin ein begeistertes Publikum an ihrer Seite. Wie sie die drei Teile des Werkes stilistisch wie auch optisch und akustisch voneinander absetzt, das erstaunt das aus Athener Theaterwissenschaftlern, griechischen Schauspielern, Intellektuellen aus Athens Künstlerszene und zahlreichen deutschen Touristen bestehende Publikum.
Und Festivalpräsident Yorgos Loukos, Teil eines siebenköpfigen Festivalgremiums, kann sich freuen: Sein neues Konzept, das archäologisch sensible Epidaurus-Theater für antike Stoffe in moderner Inszenierung fit zu machen, beschert seinem Hellenic-Festival beziehungsweise Greek-Festival - der endgültige Name scheint noch nicht festzustehen - ein neues, ein anspruchsvolles Publikum. Nicht unbedingt mehr Zuschauer, aber darum geht es dem eloquenten Mittfünfziger auch nicht. Sein diesjähriges Programm unter dem Motto "Aspekte von Tragik" konzentriert sich auf zwei Punkte:
Erstens die Einflüsse antiker Werke in Aufklärung und Moderne und zweitens: die antike Tragödie. Ganz klar steht für Loukos die aus London eingeladene Deborah Warner Inszenierung von Samuel Becketts "Happy days" in einer Reihe mit Sophokles Elektra, mit dessen Antigone und Euripides Iphigenie auf Tauris. Ganz abgesehen von dem Dauerbrenner, Luigi Cherubinis Oper Medea, in der einst Maria Callas 1961 hier auftrat.
Zehn Wochenenden wird das antike Theater von Epidaurus im Sommer bespielt, ein neuer Geheimtipp, begleitet von glutroten Sonnenuntergängen und lärmenden Zikaden. Als weit nach Mitternacht die rosarot gekleidete Göttin Athene den angeklagten Orestes freispricht und die riesigen Scheinwerfer ihre Lichtbündel herunterdimmen, haben sich die Reihen aufgrund der Uhrzeit zwar sichtbar gelichtet, Frankfurts deutsche Orestie ist aber auf jeden Fall gut in Griechenland angekommen.
Hellenic Festival / Greek Festival