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Blutjunge Vulkanketten

Geologie. Geologen haben vor der japanischen Küste eine neue Art von Vulkanen entdeckt. Die "Petit Spots", kleine Flecken, sind mit keiner der gängigen Theorien, wie sich Vulkane bilden, zu erklären.

Von Dagmar Röhrlich | 02.11.2006
    Tag für Tag, Seemeile um Seemeile zog ein Forschungsschiff des japanischen Meeresforschungsinstituts JAMSTEC vor der Küste seine Bahnen. Ständig zeichnete dabei das Sonar jede Erhebung am Meeresboden auf: Auf dem Computerschirm enthüllten sie eine ungewöhnliche Landschaft. So etwas hatten die Geophysiker noch nie gesehen: In 5000 Metern Wassertiefe reihten sich Zwergvulkane aneinander wie Perlen auf einer Schnur – jeder von ihnen nur etwa 50 Meter hoch. Das brachte ihnen den Namen "Petit Spots", kleine Flecken, ein:
    "Der Meeresboden, den die Vulkane durchschlagen, ist mit mehr als 130 Millionen Jahren uralt. Die Vulkane sind jedoch sehr viel jünger, wie die Datierung von Proben ergab, die wir mit ferngesteuerten U-Booten genommen haben. Der älteste ist fünf Millionen Jahre alt, der jüngste eine Million Jahre","

    schreibt Naoto Hirano vom Tokyo Institute of Earth Sciences auf Anfrage des Deutschlandfunks. Die "Petit Spots" liegen entlang der Schulter des Japanischen Tiefseegrabens. Dort sinkt alte und im Lauf der Zeit sehr kalt und schwer gewordene Meereskrustenplatte zurück ins Erdinnere, genauer: in den Erdmantel. Vor diesem Tiefseegraben wird dabei die Erdkruste verbogen: Sie wölbt sich auf, bevor sie nach unten wegtaucht. Damit, dass es auf dieser Wölbung junge Vulkane gibt, hatte niemand gerechnet:

    ""Wir haben einen chemischen Fingerabdruck dieser Lava angefertigt. Der verrät uns, dass dieser Basalt nicht tief aus der Erde kommt. Vielmehr hat er eine ganz eigenständige Zusammensetzung, so dass wir es mit einem neuen Typ von Vulkanen zu tun haben","

    so Naoto Hirano in einem schriftlich verfassten Interview weiter. Normalerweise liegt die Ursache für einen Vulkan tief im Erdinneren: in den Kräften der Plattentektonik, die die Platten der Erdkruste zerreißen oder kollidieren lassen. An den Grenzen zwischen den Platten entstehen dabei Vulkane wie der Stromboli auf Sizilien. Sie sind das äußere Anzeichen für die Prozesse tief unter unseren Füßen. Es gibt auch andere Vulkantypen wie den Mauna Kea auf Hawaii: Der liegt mitten in der pazifischen Platte, weit entfernt von jeder tektonischen Grenze:

    ""Er verdankt seine Existenz einem so genannten hot spot, einem heißen Flecken. Das ist ein eng umgrenztes Gebiet, in dem ein Strom aus ultraheißem Gestein an die Oberfläche trifft. Er stammt von der Kern-Mantel-Grenze in fast 3000 Kilometern Tiefe. Oben lässt der Druck nach, Magma entsteht, das diese Hot-spot-Vulkane speist."

    Und so wuchs beispielsweise der vom Meeresgrund aus mehr als zehn Kilometer hohe Mauna Kea heran. Die neu entdeckten Zwergvulkan" sind da ganz anderer Natur. Anscheinend liegt ihr Ursprung höher, und sie werden sie aus einer besondere Zone im oberen Erdmantel gespeist: einer Gleitschicht in rund 150 Kilometern Tiefe, die Asthenosphäre genannt wird. In der Asthenosphäre senken geringe Mengen an geschmolzenem Gestein den Reibungswiderstand, und deshalb können die Kontinente überhaupt wandern. Wo die Meereskruste am Japanischen Tiefseegraben in die Erde sinkt, wird sie so stark gebogen, dass sich tiefe Risse und Spalten bilden - wie bei einem Stück Käse, das man verbiegt.

    "Über diese aufgeplatzten Risse strömt in einem einzigen, kurzen Ausbruch Lava nach oben, deren Quelle eben diese geschmolzenen Stein in der Asthenosphäre sind. Weil der Nachschub gering ist, bleiben die Vulkane klein."

    Ein "Petit Spot" entsteht, ein Minivulkan. Die Frage ist, ob solche Effekte nicht auch für den einen oder anderen großen Vulkan mitten in einer ozeanischen Platte verantwortlich sein könnte, sprich, ob die hot spots als Erklärung Konkurrenz bekommen. Als nächstes wollen die Geologen aber zunächst einmal andere Tiefseegräben untersuchen, ob diese neue Art von Vulkanen auch dort zu finden ist.