Donnerstag, 18. April 2024

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Bluttests für Schwangere
"Jeder Mensch ist in sich drin behindertenfeindlich"

Wenn die Krankenkassen für die Bluttests zahlten, werde die gezielte Suche nach Behinderungen zum normalen Teil der Schwangerenvorsorge, kritisiert Kirsten Achtelik vom Gen-ethischen Netzwerk. Frauen, die diese Tests ablehnten, bekämen das Gefühl, eine "Rabenmutter zu sein, bevor man Mutter ist".

Kirsten Achtelik im Gespräch mit Christiane Florin | 10.07.2018
    Bei der Firma Lifecodexx wird die Blutprobe einer schwangeren Frau von einer medizinisch-technischen Assistentin analysiert. Das Unternehmen hat den "PraenaTest" entwickelt.
    Das Blut einer schwangeren Frau wird überprüft, darin findet sich Erbgut des Kindes. (picture-alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Kirsten Achtelik vom Verein "Gen-ethisches Netzwerk" kritisiert scharf Bluttests für Schwangere. "Wir kritisieren, dass das Tests sind, mit denen gezielt nach der Behinderung gesucht werden kann." Zudem gebe es mehr Unsicherheit wegen immer mehr Tests, sodass das Versprechen von Sicherheit an die schwangeren Frauen "überhaupt nicht funktioniert".
    Frauen stünden unter hohem gesellschaftlichen Druck, alles für ihre Kinder zu tun, auch schon vor der Geburt: Selbstoptimierung sei hier spürbar und der Wunsch, alles richtig zu machen. Es sei erklärungsbedürftig, wenn man keine Tests einsetzen wolle. Die Suche nach Behinderungen werde als normaler Teil der Schwangerenvorsorge gesehen. "Wenn man das nicht macht, ist man ja schon eine Rabenmutter, bevor man Mutter ist", sagte Achtelik im Deutschlandfunk.
    Schwer bestimmte gesellschaftliche Normen abzulegen
    Das Gen-ethische Netzwerk vermisst eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Pränataldiagnostik: "Was ist an den Bluttests behindertenfeindlich? Verstärkt das die Behindertenfeindlichkeit – das ist ein großer Komplex, der diskutiert gehört", so Achtelik.
    Diese Diskussion sei jedoch schwer zu führen, weil weder Krankenkassen noch Regierung den Eindruck erwecken wollten, behindertenfeindlich zu sein oder den betroffenen Frauen Behindertenfeindlichkeit vorzuwerfen.
    "Ich würde sagen, dass jeder Mensch in sich drin behindertenfeindlich ist", sagte Kirsten Achtelik. Bestimmte gesellschaftliche Normen, wonach Menschen, die nicht der Norm entsprechen, als fremd empfunden würden, seien schwer abzulegen. "Alle Menschen gleichwertig zu behandeln, ist ein Zustand, den man sich überhaupt erst erarbeiten muss", sagte die Sozialwissenschaftlerin.
    Kassen prüfen derzeit Kostenübernahme
    Derzeit wird geprüft, ob die Krankenkassen die Tests finanzieren sollen. Eine Entscheidung wird 2019 erwartet. Würden die Kassen diese Leistung übernehmen, sei eine Normalisierung dieser Art der Pränataldiagnostik zu befürchten, meint Achtelik.
    Eine Zusammenarbeit mit christlichen "Lebensschützern" lehnt das Gen-ethische Netzwerk ab. Diese Gruppen stünden politisch meist weit rechts und seien frauenfeindlich, so Achtelik. Selbst wenn es gelänge, das Rechts-Links-Schema in diesem Punkt zu überwinden, sei es schwer, die Gesellschaft davon zu überzeugen, auf diese Art der Pränataldiagnostik zu verzichten. Das Problem sei, dass Kinder als Erfüllung der eigenen Wünsche der Eltern gesehen würden. Behinderte Kinder hingegen würden als das ganz Andere wahrgenommen, als Kinder, die man nicht in der eigenen Familie haben möchte.
    "Menschen mit Behinderungen sind bedauernswert und schutzbedürfig, Menschen ohne Behinderungen sind normal, kommen klar und haben ein gutes Leben – schon das ist eine behindertenfeindlich Denkart", sagte Kirsten Achtelik.