Mittwoch, 17. April 2024

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BND-Spionageaffäre
"Politischer Schaden wesentlich größer als Informationsgewinn"

Für die Amerikaner sei die Spionageaffäre mit hohen politischen Kosten verbunden, sagte Karsten Voigt, Ex-Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, im Deutschlandfunk. Die Geheimdienste der USA und Deutschlands blieben aber enge Partner: "Wir sind mehr auf die Amerikaner angewiesen als sie auf uns."

Karsten Voigt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.07.2014
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    Der SPD-Politiker Karsten Voigt (picture-alliance/ ZB / Karlheinz Schindler)
    Voigt betonte, es sei nicht das erste Mal, dass ein Spion der US-Geheimdienste in Deutschland aufflog. Und: "Es wird auch in Zukunft so etwas geschehen." Amerikaner hielten die Ausspähung befreundeter Staaten für etwas, was alle täten. "Sie begreifen erst allmählich, welchen Schaden sie angerichtet haben". Er forderte, die Spionageabwehr müsse ausgeweitet werden, auch gegen die USA.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Normalerweise äußert sich eine Bundeskanzlerin im Ausland ja nicht zu Themen, die das Reiseziel nicht betreffen. Angela Merkel aber machte gestern eine Ausnahme. Bezogen auf den neuen Ausspähskandal sprach sie von einem „sehr ernsthaften Vorgang". Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, so stehe das für sie in einem klaren Widerspruch zu dem, was sie unter einer vertrauensvollen Zusammenarbeit verstehe. Bundesinnenminister Thomas de Maizière meinte, er erwarte eine schnelle, eindeutige Äußerung der Amerikaner, und Bundespräsident Joachim Gauck meinte schlicht, jetzt reicht's langsam. Die Amerikaner spielten mit ihrer Freundschaft zu Deutschland. Der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, der hat gestern übrigens versucht, die Wogen ein wenig zu glätten:
    O-Ton Josh Earnest: "Was ich sagen kann ist, dass das Verhältnis der Vereinigten Staaten mit Deutschland unglaublich wichtig ist. Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit mit einer breiten Palette von Themen, unter anderem in Sicherheits- und Geheimdienstfragen. Diese Partnerschaft baut auf gegenseitigem Respekt und Jahrzehnten der Zusammenarbeit und gemeinsamer Werte auf. Das sind hohe Prioritäten nicht nur für diese Regierung, sondern für das Land insgesamt. Wir werden mit den Deutschen eng zusammenarbeiten, um diese Situation angemessen zu lösen."
    Heckmann: Soweit der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest. Am Telefon ist Karsten Voigt von der SPD, ehemals Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Schönen guten Morgen, Herr Voigt.
    Karsten Voigt: Schönen guten Morgen.
    Heckmann: Die Empörung ist trotzdem groß in Berlin. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie folgenlos bleibt?
    Voigt: Sie hat ja schon Folgen. Das Spionieren der Amerikaner hier – übrigens nicht das erste Mal, dass so etwas auffliegt – zeigt ja, dass dieses Spionieren gegenüber einem Verbündeten für die Amerikaner mit hohen politischen Kosten verbunden ist. Der Vertrauensverlust der Amerikaner ist enorm. Das sei denen ins Stammbuch geschrieben, die sagen, wir sollten jetzt genauso in den USA spionieren. Ich halte das zwar nicht für unmoralischer, als dass die Amerikaner bei uns spionieren, aber man muss immer genau abwägen, ob der Ertrag einer solchen Spionageaktion in einem Verhältnis steht zu dem politischen Schaden, der entsteht, wenn das aufgedeckt wird. Und das gegenwärtige Beispiel der amerikanischen Spionage in Deutschland zeigt ja, dass das Verhältnis ganz offensichtlich zu Lasten der Amerikaner ausgeht. Der politische Schaden, den sie angerichtet haben hier für sich selber, ist wesentlich größer als die Informationen, die sie erhalten haben.
    "Nicht der erste Spionagefall, der auffliegt"
    Heckmann: Aber dennoch sind die Kosten, ist der Schaden ja nicht so hoch, als dass die Amerikaner einen Kurswechsel einleiten würden. Obama hat sich ja im Prinzip bei Angela Merkel entschuldigt dafür, dass ihr Handy abgehört wurde, aber abgestellt ist diese ganze umstrittene Praxis nicht.
    Voigt: Entschuldigen Sie! Dieser Spionagefall ist nicht der erste Spionagefall, der auffliegt. Einige sind sehr, sagen wir mal, zurückhaltend in der Öffentlichkeit diskutiert worden, einige sind auch überhaupt nicht breit diskutiert worden, aber es hat auch in der Vergangenheit amerikanische Spionage bei uns gegeben. Ich würde auch sagen, es wird auch in Zukunft so etwas geben. Auf jeden Fall würde ich mich nicht darauf verlassen, dass es sie nicht gibt. Das heißt, die Spionageabwehr muss insgesamt ausgebaut werden und natürlich auch sich gegen die Amerikaner richten – nicht in gleicher Weise wie gegen die Russen und Chinesen und gegen andere Staaten, aber man muss sich auch gegen Verbündete in dieser Frage schützen. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie nicht bei uns spionieren. Ich übrigens, wenn ich in unserer Botschaft in den USA war, habe bei den Fachleuten dort und auch früher in Pullach, jetzt in Berlin immer wieder gehört, dass man davon ausgeht, dass gelegentlich bei uns spioniert wird, dass man sich dagegen wehren muss und dass übrigens auch wir dort drüben überwacht werden.
    Heckmann: Das heißt, wir brauchen eine sogenannte 360-Grad-Perspektive. Wir sollten die Zurückhaltung auch gegenüber engen, ganz engen Partnern aufgeben, so wie es die Amerikaner eben auch tun?
    Voigt: Spionageabwehr braucht man in alle Richtungen. Man braucht sie nicht in gleicher Intensität, das muss man auch sagen. Nach allem, was ich weiß – und das ist natürlich begrenzt -, sind die Spionageaktivitäten der Russen und der Chinesen, um nur zwei Beispiele zu sagen, viel intensiver als die der Amerikaner, aber es gibt sie eben auch vonseiten der Amerikaner, übrigens wahrscheinlich auch von dem einen oder anderen europäischen Verbündeten, und da muss man sich natürlich dann dagegen wehren.
    "Amerikaner überrascht über deutsche Reaktionen"
    Heckmann: Joachim Gauck, der Bundespräsident, hat am Wochenende gesagt, die USA, die spielten mit der Freundschaft zu Deutschland. Weshalb tun die USA das, oder ist das gar nicht die Einstellung der amerikanischen Regierung, dass mit dieser Freundschaft gespielt wird oder diese Freundschaft aufs Spiel gesetzt wird?
    Voigt: Die meisten meiner amerikanischen Bekannten sind eigentlich überrascht über die deutsche Reaktion, weil sie eigentlich davon ausgehen, gerade die Politiker, dass wir genauso handeln wie sie. Das ist aber nicht wahr. Da gibt es eine Asymmetrie. Erst mal hat bei uns der Bundesnachrichtendienst andere Aufgaben als der CIA. Der CIA hat ja in einigen Ländern in der Vergangenheit auch zum Beispiel aktiv mitgewirkt am Sturz von Regierungen. Mir ist nicht bekannt, dass das die Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes ist, oder dass es dessen Praxis ist. Da gibt es also erhebliche Unterschiede in dem, was die Aufgabe von Nachrichtendiensten ist. Die Nachrichtendienste sind auf beiden Seiten, die Geheimdienste, wesentlich unterschiedlich im Umfang.
    Die Amerikaner haben viel, massenhaft viel mehr Leute, die für Geheimdienste arbeiten, als in Deutschland. Und sie halten das für etwas, was alle tun, und sind da ganz überrascht, dass die Deutschen, ich ihnen sage, nein, wir haben bisher in den USA selber nicht spioniert. Das überrascht sie. Das heißt, die Debatte in den USA - und nicht nur unter den Fachleuten, sondern auch unter den Politikern - ist anders als bei uns, und deshalb braucht es immer eine gewisse Zeit, bevor die Amerikaner verstehen, warum die Aufregung in Deutschland so groß ist. Und dass wir zum Beispiel in solchen Fragen viel sensibler sind als große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit, und dass der Schaden, den sie anrichten, so groß ist, das ist etwas, was sie erst allmählich begreifen und wo sie hoffentlich daraus ableiten, dass sie Deutschland gegenüber sich anders benehmen müssen als in der Vergangenheit.
    "Bei der Zusammenarbeit gegen den Terrorismus sind wir Partner"
    Heckmann: Herr Voigt, Deutschland hat ja bekanntlich beim Irak-Krieg nicht mitgemacht und sich öffentlich sogar ja auch dagegen gestellt. Die Terroristen vom 11. September, zum Teil jedenfalls, haben sich in Hamburg aufgehalten. Das hat man in den USA auch nicht vergessen. Und beim Thema Libyen hat sich Berlin auch aus Sicht Washingtons einigermaßen weggeduckt bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat. Wird Deutschland eigentlich noch als enger Partner gesehen?
    Voigt: Ja selbstverständlich wird es als enger Partner gesehen. Übrigens erinnere ich mich sehr genau, dass ich damals als deutsch-amerikanischer Koordinator im Auswärtigen Amt nach 9/11 und nach dem Beginn des Irak-Krieges gesagt habe, ja, ich bin ganz entschieden dagegen, dass wir uns am Irak-Krieg beteiligen, aber ich bin gleichzeitig dafür, dass wir unsere nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zum Beispiel bei der Bekämpfung von Terroristen intensivieren. Das ist zumindest öffentlich damals, soweit es meine eigene Person betrifft, erklärt worden und deshalb bin ich auch nicht überrascht darüber, dass das von der Regierung damals und auch später gemacht worden ist. Bei der Zusammenarbeit gegen den Terrorismus sind wir Partner, in anderen Bereichen sind wir zum Teil Konkurrenten.
    Heckmann: Über die Forderung, die jetzt erhoben wird, auch die USA mit einzubeziehen bei der Spionage - Sie haben sich ja gerade eben auch dafür eingeschränkt zumindest ausgesprochen -, gibt es eine weitere Forderung, die unter anderem von der SPD auch erhoben wird, von Frau Fahimi, aber auch vom CDU-Innenpolitiker Bosbach, und zwar, die amerikanischen Agentenführer auszuweisen. Ist das eigentlich eine realistische Forderung?
    Voigt: Wenn jemandem konkret nachgewiesen wird, dass er an der Führung von Agenten gegen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt war, dann hat es in der Vergangenheit auch schon Situationen gegeben, wenn ich mich recht entsinne, dass dann dieses Personal, das damit zu tun hatte, aus der Botschaft oder der US-Botschaft abgezogen wurde. Das würde in diesem Fall auch eine Möglichkeit sein. Es hat ja auch solche Zwischenfälle nicht nur zwischen Deutschen und Amerikanern gegeben; es hat ja zum Beispiel israelische Spionage gegen die USA gegeben, obwohl die USA mit den Israelis eng verbündet sind, und auch dort hat es sogar Gerichtsurteile gegeben. Das heißt, so etwas sollte man ganz unaufgeregt sagen. Wenn das herauskommt, dass eine konkrete Person daran beteiligt war, dann ist Ausweisung eine der Möglichkeiten, beziehungsweise dass man erklärt, dass diese Person bitte von der Botschaft oder dem Außenministerium der USA zurückgezogen wird. Aber das ändert nichts daran, dass in anderen Bereichen wir mit den Nachrichtendiensten engstens mit den Amerikanern weiter zusammenarbeiten werden. Wir sind auf die Amerikaner mehr angewiesen als die auf uns. Aber dass es dort immer auch wieder Konfliktfälle gibt und Grenzüberschreitungen gibt, fürchte ich, wird nicht nur in der Vergangenheit so gewesen sein, sondern auch in Zukunft wieder auftreten.
    Heckmann: Karsten Voigt war das live hier im Deutschlandfunk, der ehemalige Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Herr Voigt, danke Ihnen für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.