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Bob Dylan und die Religion
Ich bin dann mal weg

Am Wochenende bekäme Bob Dylan den Nobelpreis, wenn er denn zur Feier ginge. Er hat abgesagt, aber vielleicht erscheint er doch. Der Mann legt sich ungern fest, erst recht nicht in religiösen Dingen. Ein singender Pilger sei er, sagen seine Exegeten.

Von Michael Hollenbach | 08.12.2016
    Bob Dylan und Papst Johannes Paul II. nach dem Auftritt des Folksängers beim Eucharistischen Kongresses 1997 in Bologna
    Bob Dylan und Papst Johannes Paul II. nach dem Auftritt des Folksängers beim Eucharistischen Kongresses 1997 in Bologna (picture-alliance / dpa / dpa - Fotoreport)
    "Es fängt schon damit an, dass er als gebürtiger Jude in dieser Tradition groß geworden ist, und dass er seine Bibel kennt. Also, von den ersten Platten Anfang der 60er-Jahre kommen immer wieder biblische Motive, Texte, Figuren in seinen Songs vor", sagt Matthias Surall.
    Der evangelische Theologe und Beauftragter für Kunst und Kultur der hannoverschen Landeskirche verweist auf frühe Songs wie "Blowin' in the Wind" mit vielen biblischen Anspielungen: Die Taube, die Noah den Weg weist; der Prophet Jesaja, der klagt, dass die Menschen nicht hören wollen.
    Bob Dylan, der als Robert Zimmerman zur Welt kam, wuchs in einer jüdischen Familie auf. Seine Eltern gaben ihm als gläubige Juden den hebräischen Namen Shabtai Zisel ben Avraham. Später, nach dem Tod seines Vater 1968, hat sich der Musiker intensiver mit seinen religiösen Wurzeln befassst. Dylan hat verschiedene, auch sehr religiöse Phasen durchlebt. Aber er lasse sich nicht auf eine Konfession oder Religion festlegen, sagt der katholische Fundamentaltheologe Knut Wenzel:
    "Aus der Sicht der Religionen ist es ja so, dass die Religion die Menschen formatieren möchte nach ihrem Maßstab, und was Dylan zeigt, ist, dass er dieses Verhältnis umkehrt: Er bewegt sich als souveränes Glaubenssubjekt und nimmt sich von den Religionen, was er möchte."
    Fromme Lieder und Predigten
    Doch als Dylan Ende der 70er-Jahre zum charismatisch-evangelikalen Christentum konvertiert, sind nicht nur viele Fans irritiert. Der Freigeist singt auf einmal fromme Lieder:
    "Ich denke, es passt zusammen", meint Matthias Surall. "Es passt nicht zuletzt deshalb zusammen, weil ja christlicher Glaube und Intellektualität sich weiß Gott nicht ausschließen müssen. Die Texte sind anders, aber nicht banal. Er setzt sich sehr tiefgehend mit Themen des christlichen Glaubens für sein eigenes Lebens auseinander und buchstabiert das durch."
    Knut Wenzel sagt: "Diese Texte sind durchaus interessant, eigentlich, weil sie sich zusammen mit der Musik gegen das anscheinend sichere Gewisssein in dieser Glaubenshaltung wenden. Die klingen dann gar nicht mehr so freudig gelöst, sondern haben etwas Getriebenes, etwas Zwanghaftes. Ich denke an ein Lied wie "Pressing on". Das klingt überhaupt nicht erlöst."
    Das Religiöse hat ihn immer wieder angetrieben: Literaturnobelpreisträger Bob Dylan
    Das Religiöse hat ihn immer wieder angetrieben: Literaturnobelpreisträger Bob Dylan (picture-alliance / dpa / Istvan Bajzat)
    Bob Dylan, der gewöhnlich bei seinen Konzerten kein Wort sagt, hält in dieser Phase zwischen 1979 und 1982 sogar Predigten zwischen den Songs. Knut Wenzel:
    "Tatsächlich mutet er seinem Publikum, das ja durchaus nicht so homogen christlich evangelikal war, hier solche Gottesdienste zu. Es gibt ein sehr schönes Foto aus einem solchen Konzert. Man sieht, wie jemand aus dem Publikum ein selbstgemachtes Schild hochhält. Darauf steht: Jesus loves your old songs, too, Bobby."
    Die Erlösung bleibt aus
    Schon nach vier Jahren geht diese fromme Phase zu Ende:
    "So geht er durch ein radikales, hocherhitztes, evangelikales, pfingstlerisches Christentum, aber er kommt hinten wieder raus. Er bleibt nicht in diesem Format. Dieses Jahrzehnt nach seiner christlichen Phase, das gilt als sein kreativ-katastrophalstes Jahrzehnt, also erlöst war er nicht."
    1997 tritt Bob Dylan beim Eucharistischen Kongress der katholischen Kirche auf. Papst Johannes Paul II. hatte ihn eingeladen.
    "Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation war strikt gegen die Einladung. Er hielt ihn für einen Nihilisten. Das ist ein merkwürdiges Urteil, aber Joseph Ratzinger hat wahrscheinlich kaum eine Verbindung zu populärer Kultur gehabt."
    Dylan spielt dort unter anderem das Stück "A Hard Rain's a-Gonna fall".
    Knut Wenzel: "Das ist eines der düstersten und sich nicht trösten lassen wollenden Lieder, was er je geschrieben hat, und das legt er dem Papst vor. Das finde ich eine sehr interessante Geste."
    Sky versus Heaven
    Aber er spielt auch den Klassiker "Knockin' on heavan's door".
    Der Himmel taucht in vielen Liedern des Rockpoeten auf – kein Zufall, sagt der Frankfurter Fundamentaltheologe Knut Wenzel:
    "Mit dem Himmel hat er es. Da ist er auf der Gegenposition zu John Lennon." (der ja in seinem Lied Imagine eine Zeile drin hat: Imagine there is no heaven but only sky.)
    "Da wird die Semantik von Heaven und Sky gegeneinander ausgespielt. Heaven ist der religiös aufgeladene Himmel, Sky der natürliche Himmel. Dylan ist eindeutig auf der Seite von Heaven unterwegs. Heaven ist für ihn eine Metapher für die Absolutheitsdimension unserer Wirklichkeit und in Relation zu dieser Dimension bewegt er sich in seiner religiösen Identität. Und diese Identität würde ich am ehesten als die einer Pilgerschaft bezeichnen, nur dieser Pilger hat kein fixes Ziel, nicht Santiago de Compostela, er ist einfach unterwegs - am ehesten bezeichenbar durch dieses Bild vom Himmel, der schlechthin der Andersort ist, der nicht definierbar ist."
    Immer auf der Suche
    Für Knut Wenzel und Matthias Surall ist Bob Dylan so etwas wie der Prototyp des modernen Individualisten, der sich aus religiösen Zwängen befreit hat und doch immer auf der spirituellen Suche bleibt.
    Wenzel: "An dieser Gestalt zeigt sich auch, dass das moderne Subjekt gar nicht unfromm sein muss, sondern sehr wohl mit einer solchen Religionsdimension unterwegs sein kann, ja sogar von ihr getrieben sein kann."
    Surall: "Er steht auf dem Boden der biblischen Tradition – jüdisch wie christlich und er ist jemand, für den der Glaube eine Rolle spielt, unabhängig davon, ob er selber sagen würde: Ich bin ein gläubiger Mensch. Aber er ist ein Mensch, der weiß, welche Möglichkeiten der Glaube eröffnet und dass das, was man die spirituelle Dimension nennt, eine wesentliche Dimension des Lebens ist, die man nicht einfach ausklammern kann. Ich glaube, so kann man es für ihn formulieren."