"Play or Pay" heißt es bei den Mächtigen in Washington, wenn das Telefon klingelt und sich am anderen Ende der Leitung Bob Woodward meldet. Oder anders gesagt: Das Risiko, mit dem scharfsinnigen Watergate-Reporter nicht zu sprechen, ist höher, als seine Fragen zu beantworten. Durch Kooperation, so das Kalkül, besteht wenigstens die Chance, den eigenen Standpunkt in Woodwards Narrativ einfließen zu lassen. Deshalb öffnen sich für Amerikas berühmtesten Journalisten Türen, die für andere verschlossen bleiben. Diese Abwägung dürfte auch US-Präsident George W. Bush getroffen haben, als im Weißen Haus ein 21 Seiten langer Abriss des jüngsten Woodward-Vorhabens eintraf: ein Buch über die Vorgeschichte des Irak-Kriegs.
Bush zögerte nicht lange, zumal er schon einmal gute Erfahrungen mit Woodward gemacht hatte. In dem Buch "Bush at War" über den Afghanistan-Konflikt schilderte der Journalist den Präsidenten als zupackenden Führer, der Amerika entschlossen durch die Krise nach dem 11. September geführt hat. In Erwartung einer ähnlich positiven Darstellung gewährte Bush dem Reporter abermals unvergleichlichen Zugang. Woodward ging im Weißen Haus ein und aus, sprach mit 75 Offiziellen, darunter Vizepräsident Dick Cheney, Außenminister Colin Powell und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Schließlich stellte sich auch der Präsident selber den Fragen Woodwards - zwei Tage hintereinander, insgesamt für dreieinhalb Stunden.
Soviel Nähe zu einer Administration, die ansonsten für ihre Geheimniskrämerei bekannt ist, rief nicht nur Neider auf den Plan, sondern warf auch die Frage auf, ob die Ikone des investigativen Journalismus inzwischen zu sehr Teil des "Beltway"-Establishments geworden ist. Entsprechend groß fiel die Skepsis aus, die das Erscheinen des neuen Titels "Plan of Attack" begleitete.
Doch Woodward hat es wieder geschafft. Sein bei "Simon and Schuster" verlegtes Buch erobert die Bestsellerlisten im Sturm. Die Talkshows und Nachrichtenjournale stehen Schlange, um den Starjournalisten zu interviewen. Und im politischen Washington hat Woodward das ausgelöst, was man in den USA "Buzz" nennt - die aufgeregte Diskussion von Neuigkeiten. Der Autor selber gibt sich bescheiden:
Das war der beste Versuch, den ich unternehmen konnte, herauszufinden, was wirklich passiert ist.
Auf 443 Seiten rekonstruiert Woodward den Marsch zum Krieg gegen Saddam. Er beschreibt Bushs Fixierung auf den Irak, Cheneys Fieber für den Waffengang, die tragische Rolle des skeptischen Powell, geheime Kriegspläne und verdeckte CIA-Aktionen, die Diskussion um Massenvernichtungswaffen, Absprachen mit den Saudis, die Irreführung der Weltöffentlichkeit und die Motivation der Akteure. Woodward bleibt bei der Beschreibung, versucht ein möglichst dichtes Bild der Geschehnisse zu entwerfen. Durch die dialogische Form seiner Darstellung vermittelt er den Lesern den Eindruck, mit im Oval Office zu sitzen, dabei zu sein, wenn Geschichte gemacht wird. In einem Fernsehinterview vermittelt er Einblick in seine Arbeitsweise:
Der Präsident sagt zum Beispiel: "Das ist, was ich Colin Powell über den Krieg gesagt habe: ‚Zeit, dass Sie die Kriegsuniform anlegen.'" - So etwas lässt sich gut einprägen. Es gibt auch Notizen, Dokumente und Abschriften von Telefonaten. Bestimmte Zitate, etwa von Rumsfeld und Cheney, setzten sich mit drei Jahrzehnten Erfahrung gleich im Hinterkopf fest und bleiben da. Das sind die Momente, die ich einfangen wollte.
Genau darin liegt auch eine der Stärken des Buches. Woodward verschafft seinen Lesern mit der detaillierten Schilderung dieser Schlüsselsituationen "Aha-Erlebnisse. Zum Beispiel der Umgang mit den Geheimdienstinformationen über die angeblich unmittelbare Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen des Irak. Woodward berichtet von einer geheimen Präsentation des CIA im Dezember 2002 im Weißen Haus. Der stellvertretende Chef des Geheimdienstes, John McLaughlin, führt auf Schautafeln vor, was die Schlapphüte über Saddams ABC-Waffen-Potential wissen. "Netter Versuch", kommentiert der Präsident anschließend und möchte wissen, ob das alles ist. Sein Einwand: "Joe Public" - auf Deutsch: Otto Normalverbraucher - werde das nicht überzeugen. Laut Woodward springt CIA-Chef George Tenet daraufhin auf, versichert gleich zweimal, es werde ein "Slam Dunk" oder "Volltreffer" sein, vor den Vereinten Nationen einen schlüssigen Fall zu präsentieren.
Er hätte seinem Instinkt folgen sollen. Als er bemerkte, dass etwas nicht richtig sein konnte, und meinte: "Halt mal, ist das alles, was Sie haben?", spätestens da hätte er sagen müssen: "Auszeit. Alles anhalten." Denn was Tenet präsentierte, war das, was der CIA praktisch schon immer über Massenvernichtungswaffen behauptet hatte. Hier wäre unabhängiger Expertenrat gefragt gewesen, wie der von Bob Gates, dem früheren Geheimdienstchefs seines Vaters. Er hätte sagen können: "Schauen Sie sich das einmal an. Irgendwie sieht mir das nicht richtig aus." Er hat es nicht getan, und nun haben wir nicht eine einzige Massenvernichtungswaffe gefunden.
Doch Zweifel gehören nicht zu den Grundtugenden des Präsidenten, den Woodward seinen Lesern vorstellt. Im Gegenteil.
Bush ist mehr als ein starker Führer. Sie fragen Bush nach Zweifeln, erzählen ihm von Tony Blair, der einräumt, von Zweifel beschlichen zu werden, wenn er Briefe von Leuten liest, die ihm sagen, sie hassten ihn, weil ihr Sohn im Irak ums Leben kam - Bush dagegen hegt keine Zweifel. Nichts. Gar nichts. Unter gar keinen Umständen. Als jemand, der Zeit hatte, gründlich zu recherchieren, bin ich herumgegangen und habe Leute gefragt: "Gab es private Momente, wo er sich den Kopf zerbrochen hat oder fragte: Huh, mache ich da wohl das Richtige?" Ich habe nichts dergleichen gefunden.
Laut Woodward war Bush seit Beginn seiner Amtszeit im Weißen Haus auf Irak fixiert. Bereits kurze Zeit nach den Terroranschlägen auf New York und Washington beauftragte er Verteidigungsminister Rumsfeld in einem Vieraugen-Gespräch, insgeheim Kriegspläne gegen das Zweistromland vorzubereiten. Im Dezember traf er dann mehrere Male mit dem Befehlshaber des zuständigen "Central Commands", General Tommy Franks, zusammen. Obwohl der General in Afghanistan alle Hände voll zu tun hatte, wollte Bush mit ihm über Details der Pläne für Irak beraten. Einmal ließ er den General dafür am 28. Dezember sogar auf seine Ranch in Crawford/Texas kommen. Der Presse versicherte Bush anschließend, er habe mit Franks "über Afghanistan" gesprochen. Tatsächlich ging es bei dem Treffen fast ausschließlich um Irak. Die Vorbereitungen des Krieges seien so geheim gewesen, dass Bush anfangs nicht einmal Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Außenminister Colin Powell oder CIA-Chef George Tenet eingeweiht hatte.
Als Außenminister Powell von den Plänen Wind bekam, versuchte er Bush davon zu überzeugen, das Regime Saddam Husseins auf nicht-militärischem Weg unter Druck zu setzen. Dabei geriet der besonnene Außenminister wiederholt mit Cheney und seinem Büro aneinander. Woodward berichtet, die Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern sei so bitter gewesen, dass Powell die Falken um Cheney wiederholt als "Gestapo" beschimpft hätte. Powell ist Woodwards tragischer Held, dessen Loyalität mit Nichtbeachtung belohnt wird. Amerikas Chef-Diplomat verfügt über so wenig Einfluss in der Administration, dass er erst zwei Tage nach dem saudischen Botschafter, Prinz Bandar bin Sultan, über Bushs Kriegsbeschluss erfährt. Es war Sicherheitsberaterin Rice, die den Präsidenten drängte, "Colin anzurufen". Woodward schildert die Begegnung am 13. Januar 2003 im Oval Office - ein weiterer dieser einprägsamen Momente:
Ein Zwölf-Minuten-Treffen, eines der denkwürdigsten Treffen im Oval Office seit langer Zeit. Der Präsident sagt: "Ich habe entschieden, es sieht nach Krieg aus!" Powell entgegnet: "Sind Sie sicher?" Er stellt einige Fragen. "Ihnen wird dieser Ort anschließend gehören. Sind Ihnen die Konsequenzen vollständig klar?" Der Präsident sagt: "Ich möchte, dass Sie dabei sind. Unterstützen Sie mich?" Powell, der bisher gegen den Krieg war, dachte, dies sei eine Entscheidung, die der Commander in Chief zu treffen habe, und sagte: "Ich bin dabei." Der Präsident sagte: "Dann wird es Zeit, dass Sie die Kriegsuniform anlegen."
Woodward entwirft in dem Buch das Bild eines Präsidenten, der das Heft des Handelns in der Hand hält und von seiner Mission fest überzeugt ist. Woodward versucht der Motivation auf den Grund zu gehen.
Die Massenvernichtungswaffen sind wichtig. Aber wenn Sie weiter graben, um das "Warum" herauszufinden, dann sagt er ausdrücklich, er glaube eine Pflicht zu haben, Menschen zu befreien. Ich denke, er möchte Sachen in Ordnung bringen. Das ist eine moralische Entschlossenheit, die wir im Weißen Haus seit vielleicht hundert Jahren nicht mehr gesehen haben. Er hat es öffentlich gesagt und für mich in Erinnerung gerufen, dass er glaubt, Freiheit sei das Geschenk Gottes an die Menschheit. Und dass wir als Instrumente dafür den Menschen helfen müssen, wenn wir können.
Viel sagend auch die Antwort Bushs nach dem Rat seines Vaters. Der sei dafür nicht der richtige Ansprechpartner gewesen, erklärt Bush dem verdutzten Woodward. Die Stärke für sein Amt hole er sich "von einem höheren Vater".
Der Präsident ging bei dieser Frage vor und zurück. Ich würde erwarten, dass selbst John Kerry - falls er Präsident wird und in den Krieg ziehen wollte - George Herbert Walker Bush um Rat fragte. Denn hier ist jemand, der es getan hat, der weiß, welcher Weg einzuschlagen ist, welche Fehler man machen kann, worauf zu achten ist. Dieser Präsident Bush hier hielt das nicht für nötig.
In "Plan of Attack" verzichtet Woodward weitgehend auf die Kommentierung des Geschehens, was manche Leser als unbefriedigend empfinden mögen. Das ermöglicht jedem politischen Lager, aus dem Zeitdokument herauszulesen, was ihm als nützlich erscheint. Insofern verwundert es nicht, dass sowohl die offizielle Webseite der Bush-Wahlkampagne als auch die seines Herausforderers John Kerry die Lektüre empfehlen. Umgekehrt lässt sich genau darin die Stärke des Buches erkennen. An Meinungen mangelt es dieser Tage nicht in Washington, wohl aber an faktischem Wissen über die Entscheidungsprozesse im Weißen Haus. Woodward nutzte seinen exklusiven Zugang, diese Lücke zu füllen. Dabei herausgekommen ist ein Referenzwerk, an dem keiner vorbei kommt, der sich ernsthaft mit der Regierung Bush beschäftigt. "Plan of Attack" ist das gelungene "Comeback" eines leidenschaftlichen Beobachters, der mit diesem Buch daran erinnert, warum er zu dem geworden ist, was er ist: eine Washingtoner Institution, mit der man besser spricht, wenn das Telefon klingelt.
Thomas Spang über Bob Woodward: Plan of Attack. The Road to War. Die englischsprachige, bei Simon & Schuster erschienene Ausgabe umfasst 480 Seiten und ist in Deutschland als Import für etwa 24 Euro erhältlich; die deutsche Übersetzung unter dem Titel "Der Angriff" erscheint Anfang Juli zum Preis von 24 Euro und 90 Cent bei der Deutschen Verlags Anstalt Stuttgart.