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Böhmer fordert Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung der Gesundheitsreform

Heuer: Wenn’s dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, und wenn die Union im Umfragehoch ist, dann streitet sie öffentlich: erst über den Kündigungsschutz und jetzt über die Gesundheitsreform. Im Grundsatz einig scheinen CDU und CSU inzwischen zwar darüber, dass sie eine Gesundheitsprämie wollen, also einen vergleichsweise niedrigen Fixbeitrag für alle gesetzlich Versicherten. Doch die Kosten für den dann nötigen sozialen Ausgleich, fast 40 Milliarden Euro, will die CSU durch einen Zuschlag auf die Krankenkassenbeiträge decken. Die CDU hingegen will die Allgemeinheit dafür aufkommen lassen: über eine höhere Mehrwertsteuer zum Beispiel oder über einen steuerähnlichen Zuschlag auf die Einkommen. Am Telefon ist Wolfgang Böhmer, der christdemokratische Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Guten Morgen Herr Böhmer.

Moderation: Christine Heuer |
    Böhmer: Guten Morgen Frau Heuer.

    Heuer: Sie, Herr Böhmer, sind wie unter anderem auch Friedrich Merz dafür, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um den sozialen Ausgleich zu finanzieren. Wieso sollen eigentlich alle Bürger die Beiträge nur der gesetzlich Versicherten bezuschussen?

    Böhmer: Wenn wir davon ausgehen, dass wir mit einer Gesundheitsprämie, die zwar unabhängig vom individuellen Gesundheits- und Krankheitsrisiko ist, aber für jede Person gleich sein soll, die Leistungen des Gesundheitswesens finanzieren, dann werden die einen sich als über- und die anderen als unterfordert betrachten und es muss schon deswegen einen gewissen Sozialausgleich geben. Dazu kommt noch, dass diese Gesundheitsprämie der Höhe nach gedeckelt sein soll, und es muss dann ein Defizit, der soziale Ausgleich, finanziert werden. Da sind wir allerdings der Meinung, daran sollten sich nicht nur die GKV-Mitglieder, sondern alle in der Gesellschaft beteiligen. Deswegen haben wir den Vorschlag gemacht - von der Herzog-Kommission -, dass dies aus dem Steuersäckel praktisch finanziert werden soll. Da muss man überlegen, wie man zu diesen Einnahmen kommt. Da gibt es unterschiedliche Vorschläge. Die einen wollen zum Beispiel einen Gesundheits-Soli einführen, dass wir eine bestimmte Form von der Einkommenssteuer von der Einkommenshöhe abhängig machen, oder man kann durch Erhöhung der Mehrwertsteuer dieses Geld abschöpfen.

    Heuer: Es ist aber noch nicht lange her, Herr Böhmer, da hat die Union den Bürgern versprochen, die Steuern drastisch zu senken. Das ist ja nun das Gegenteil einer erhöhten Mehrwertsteuer?

    Böhmer: Das ist richtig. Wir haben aber gesagt, wir brauchen eine Steuerreform. Wenn wir bei den Kosten für die sozialen Sicherungssysteme die Abgaben reduzieren, muss das Geld ja irgendwo herkommen. Dann kann man natürlich sagen ist dies eine begrenzte Steuererhöhung, für den einzelnen Bürger im statistischen Durchschnitt aber keine größere Belastung. Man kann auch sagen, wir verzichten darauf und verlangen höhere Beiträge.

    Heuer: Die höhere Mehrwertsteuer, die Sie im Auge haben, würde aber ärmere härter treffen als Spitzenverdiener. Das können Sie zumal als Ministerpräsident eines ostdeutschen Bundeslandes doch nicht im Ernst wollen, Herr Böhmer?

    Böhmer: Es ist so, dass der Konsum und auch der persönliche Konsumbedarf bei denjenigen, die mehr zur Verfügung haben, auch höher ist. Demzufolge müssen die auch mehr Mehrwertsteuer bezahlen. Also zu behaupten, dass dies eine soziale Schieflage bedeutet, das kann ich nicht sehen.

    Heuer: Aber die CDU-Spitze argumentiert genau damit, es sei eine soziale Schieflage, die da entstehen würde, und sie erwägt deshalb eine Abgabe auf alle Einkünfte aller Bürger. Wären Sie denn damit auch einverstanden?

    Böhmer: Damit kann ich natürlich auch leben. Man muss es dann bloß so sagen und diese Abgabe für alle Bürger ist dann eine Art Gesundheitssteuer.

    Heuer: Fragt sich trotzdem, wieso eigentlich die privat Versicherten das mitbezahlen sollen. Es geht ja nur um die Krankenkassenbeiträge der gesetzlich Versicherten.

    Böhmer: Ja, weil der soziale Ausgleich in dieser Bevölkerungsgruppe - und die gesetzlich Versicherten sind ja im Allgemeinen nicht die mit höheren Verdiensten - von allen in der Gesellschaft geleistet werden soll und nicht nur von dem Kreis derjenigen, die GKV-pflichtig sind.

    Heuer: Bert Rürup, wenn man so will der Erfinder der Kopfpauschale, über die wir ja gerade reden, nur unter einem anderen Namen, nämlich dem der Gesundheitsprämie, hält das Abgabenmodell auf Einkünfte für verfassungsrechtlich fragwürdig. Täuscht er sich?

    Böhmer: Ich bin kein Verfassungsjurist. Das weiß ich nicht. Das ist eine Frage der Darstellung im Steuerrecht. Letztlich ist das dann eine meinetwegen zusätzliche Gesundheitssteuer.

    Heuer: Der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer sagt, mit der Abgabe komme nicht genügend Geld zusammen.

    Böhmer: Das ist eine Frage der Höhe der Abgabe. Sie können jede Menge einspielen. Sie müssen dann nur die Abgabensätze entsprechend danach richten.

    Heuer: Wie hoch soll denn die Abgabe sein, damit es ausreicht?

    Böhmer: Das weiß ich nicht. Es ist auch unterschiedlich, wie viel Geld eingefahren werden muss. Da kursieren ja Zahlen, die schwanken zwischen 20 und 27 Milliarden. Das hängt davon ab, wie hoch man die Prämie macht und bei welcher Stelle man die Prämie deckelt. Wir werden die Probleme des Gesundheitswesens und der Finanzierung des Gesundheitswesens nicht lösen, wenn wir immer nur über die Einnahme von Geld und woher und wie wir das Geld bekommen reden und nicht darüber, wie wir die Ausgaben zügeln und in gewisser Weise auch deckeln.

    Heuer: Aber gerade die Zuständigkeit des Bürgers für die Eigenvorsorge wird doch etwas verwässert durch alle Modelle, die mit Abgaben oder Steuern zu tun haben. Zudem sind alle diese Modelle sehr kompliziert oder wirken zunächst einmal so. Wieso machen Sie es nicht einfach so wie die CSU es vorschlägt, nämlich dass Besserverdienende in der gesetzlichen Krankenversicherung schlicht eine höhere Prämie zahlen müssen?

    Böhmer: Das ist möglich und das kommt dann sehr nahe an das System der Bürgerversicherung, die jeden in eine allgemeine Versicherung hineinzwingen will und die Beiträge einkommensabhängig macht. Dann reden wir aber schon nicht mehr von einer Versicherung, sondern von einer neuen Gesundheitssteuer. Die Formulierung ist eine freundlichere; in der Sache wäre es eine Gesundheitssteuer.

    Heuer: Aber damit könnten Sie auch leben, mit diesem CSU-Vorschlag, wenn er umgesetzt würde?

    Böhmer: Also wenn er eine Mehrheit bekommt, könnte ich auch damit leben müssen. Das ist ganz klar. Aber bei diesem und allen anderen Vorschlägen sage ich: Solange wir nicht das eigene Interesse an der eigenen Gesundheit auch finanziell durch ein Bonussystem oder wie auch immer belassen, wird das Gesundheitswesen immer ein Fass ohne Boden bleiben.

    Heuer: Horst Seehofer, Herr Böhmer, hat sich dieser Tage beklagt, er werde von der CDU gemobbt. Was ist da los in der Union?

    Böhmer: Das weiß ich nicht. Ich mobbe ihn wenigstens nicht.

    Heuer: Eigentlich müsste aber in Ihrer Partei doch Eintracht und Optimismus herrschen?

    Böhmer: Optimismus hoffe ich schon. Eintracht muss nicht sofort sein. Wir sind eine Volkspartei, das heißt eine große Partei, die unterschiedliche Schichten repräsentiert. Da muss eine Meinungsbildung normal sein. Ich finde es schon echt merkwürdig, wenn jede völlig normale Diskussion im Stadium der Meinungsfindung sofort als interner Streit in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

    Heuer: Aber es fallen ja offenbar recht feindselige Worte innerhalb der Schwesterparteien?

    Böhmer: Ja gut, das sind allerdings persönliche Besonderheiten. Daran würde ich mich nicht gerne beteiligen. Ich fände es auch besser, man würde das mehr sachlich formulieren.

    Heuer: Auf jeden Fall, Herr Böhmer, füllen CDU und CSU jedenfalls bislang das Sommerloch in diesem Jahr mit ihren Diskussionen. Das hilft der SPD und es schadet der Union. Können Sie sich das leisten?

    Böhmer: Es wäre mir lieber, es wäre nicht so. Da haben Sie Recht. Die Journalisten brauchen etwas für ihr Sommerloch. Wenn sie andere Themen hätten, dann wären die wahrscheinlich wichtiger. Mangels anderer Themen müssen wir jetzt einen richtigen großen Streit daraus machen. Trotzdem denke ich sollten wir uns dort nicht allzu sehr zu unvorsichtigen oder unfreundlichen Formulierungen verleiten lassen.

    Heuer: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer im Interview mit dem Deutschlandfunk. Das Gespräch mussten wir vor der Sendung aufzeichnen.