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Böse Überraschung für DDR-Flüchtlinge

Eine schwierige Rentenfrage beschäftigt den Petitionsausschuss des Bundestages. Sie betrifft viele jener Menschen, die vor 1989 aus der DDR in den Westen gekommen sind und erst jetzt erfahren, dass ihre Rente nicht so berechnet wird, wie es damals zugesagt wurde.

Von Jacqueline Boysen |
    "Ich habe gemeinsam mit meiner Familie 1986 einen Ausreiseantrag gestellt und wurde am nächsten Tag fristlos entlassen. Und dann begann für mich und meine Familie ein ziemlich steiniger Weg."

    Gundhardt Lässig verlor seinen Posten als Betriebsleiter des Energiekombinats in Gera. Weil er mit seiner Familie die DDR verlassen wollte, wurde der Diplomingenieur zum Hilfsarbeiter degradiert, sein Sohn durfte kein Abitur machen.
    Auch Christa Ladendorf, Modegestalterin, wollte mit ihrer Familie die DDR auf legalem Weg verlassen:

    "Sowie man so einen Antrag abgibt, man weiß ab dem Tag nicht mehr, was einem passiert. Ich kann es nur von mir beurteilen, mir wurde gesagt, wir entlassen sie nicht, damit sie dann im Westen nicht sagen können, sie seien schikaniert worden. Gleichzeitig wurde gesagt: Wir behalten sie 24 Stunden lang im Auge."

    Drei Jahre dauerte es, dann durfte Christa Ladendorf im Jahr 1987 ausreisen. Und auch Lässigs konnten nach drei Jahren des Wartens in die Bundesrepublik übersiedeln. Die Neuankömmlinge wurden in die bundesrepublikanische Rentenversicherung eingeordnet. Das sogenannte Fremdrentengesetz akzeptierte ihre in der DDR geleistete Arbeit. Diese Regelung war nicht unumstritten: Sie stellte die Neuankömmlinge annähernd gleich mit den übrigen westdeutschen Rentnern.

    "Und das wurde auch uns zugesagt mit dem Eingliederungsverfahren in Gießen, man bekam da eine Broschüre, das stand alles da drin, und das ging seinen Gang bis zum Mauerfall."

    Gundhardt Lässig fand im Westen rasch Arbeit und seine Familie in Schwalmstadt eine neue Heimat. Was der heute 63-Jährige zunächst nicht bemerkte: Die Deutsche Einheit brachte ihm und vielen anderen Übersiedlern eine böse Überraschung. Ihre Rente wurde nun anders berechnet. Galt vor der Wiedervereinigung das Fremdrentengesetz, wurde für die der Bundesrepublik per Einigungsvertrag beigetretenen DDR-Bürger eine neue Form der Rentenberechnung eingeführt: das Rentenüberleitungsgesetz. Und das galt plötzlich auch für längst in der Bundesrepublik angekommene DDR-Flüchtlinge wie Ladendorfs oder Lässigs. Eine bloße Formalie? Nein, denn in vielen Fällen fällt nun die neu berechnete Rente erheblich niedriger aus.

    "Eine Großzahl derer, die jetzt erst in Rente gehen, wissen es ja noch gar nicht. Alle, die nun einen Leistungsbescheid bekommen, die merken es erst jetzt, dass da ein bis zu 50-prozentiger Absturz ihrer Erwerbsjahre im Osten stattfindet."

    Dem Ingenieur Lässig, der 25 Jahre lang in der DDR und 21 Jahre in der Bundesrepublik gearbeitet hat, gingen etwa 500 Euro monatlich verloren. Christa Ladendorf weiß noch gar nicht, wie viel die Differenz in ihrem Fall betragen wird - der Vorgang aber empört die 62-Jährige aus grundsätzlichen Erwägungen:

    "Ich fühl mich da auch doppelt bestraft: Erst der Zirkus mit dem Ausreiseantrag, das war ja nicht einfach, man wusste nicht, ob man abends im eigenen Bett oder auf einer Knastpritsche schläft. Wir haben alles zurückgelassen, haben sehr gern von vorn angefangen, und dafür gab es dies Fremdrentengesetz. Das wurde zugesagt und ist rechtstaatlich einzuhalten. Unbeachtet der ganzen Geschichte, das ist ja auch ein Politikum!"

    Deshalb hat sich ein Teil der Betroffenen in Interessengemeinschaften zusammengefunden. Sie legen bei der Rentenversicherung Widersprüche ein und klagen gegen die Neuberechnung ihrer Rente. Die Deutsche Rentenversicherung aber beruft sich auf die Rechtslage: Die sei eindeutig - wie die Gerichte in verschiedenen Fällen festgestellt hätten. Abgeordnete des Deutschen Bundestages allerdings erkennen durchaus einen Missstand:

    "Diese Menschen, die ja auch ein schweres Schicksal hinter sich haben, sind in ihren Ansprüchen belogen worden, so muss man einfach sagen, egal, wie man politisch dazu steht."

    Das sagt Martina Bunge, Sozialpolitikerin und Bundestagsabgeordnete der Linken: Sie plädiert für eine Rückkehr zum Fremdrentenrecht. Auch Anton Schaaf von der SPD sieht hier eine Ungerechtigkeit:

    "Rechtlich gibt es da keine Lücken, aber eine Gerechtigkeitslücke."

    Den Regierungsparteien schlägt der Sozialexperte deshalb eine Korrektur vor: Zum einen sollte als Flüchtling nur gelten, wer vor dem Mauerfall in den Westen übersiedelte oder floh. Wer von diesen Flüchtlingen ins Rentenalter kommt, sollte berechnen lassen, ob er mit der alten Fremdrente oder nach dem Rentenüberleitungsgesetz besser dasteht und dann wählen können:

    "Es gibt ein Teil, der wird merken, er wird mit dem Rentenüberleitungsgesetz besser fahren. Und das ist mein Vorschlag, ich hoffe, dass die Koalition, die SPD kann´s ja nicht allein, einsieht, dass man da eine sozialpolitische Lösung braucht, an der Stelle."

    Die Regierungsparteien wollen sich nicht festlegen, die Bundesregierung beharrt auf der gängigen Praxis - die Betroffenen aber, die den Petitionsausschuss des Bundestages zu Hilfe gerufen haben, erwarten zumindest, in ihrem Anliegen ernst genommen zu werden.

    Lässig und Ladendorf sagen:

    "Ich würde mir sehr wünschen, dass die Regierung sagt, da ist etwas falsch, wir revidieren das. Ich habe die Erwartung, dass sie die politische Seite die Biografien anguckt und die Versprechen gegenüber den Bürgern einhält."