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Bohren im Dunkeln

Umwelt. - Der arktische Ozean wird einer der Schauplätze der Rohstoffjagd in diesem Jahrhundert sein. Firmen wie der norwegische Öl- und Gaskonzern Statoil sind bereits vor Ort und erschließen die Tiefsee. Norwegische Forscher haben sich deshalb bei der Untersuchung möglicher Risiken auf die Barentssee konzentriert und stellen ihre Ergebnisse auf der International Conference on Port and Ocean Engineering under Arctic Conditions vor, die zurzeit im finnischen Espoo stattfindet.

Von Monika Seynsche | 13.06.2013
    Glaubt man der Firma Statoil, so wohnt Schneewittchen etwa 140 Kilometer nordwestlich von Norwegen inmitten der Barentssee. Der Norwegische Öl- und Gaskonzern hat die Märchenfigur zur Namensgeberin seines ersten Gasfeldes in der Arktis gemacht. Seit 2007 wird hier in 300 Meter Wassertiefe Erdgas gefördert und per Pipeline zur Küste geschickt. Das alles in einem ökologisch sehr wichtigen Meeresgebiet, wie Masoud Naseri von der Universität Tromsø sagt.

    "Die Region ist sehr sensibel und von enormer Bedeutung für die norwegische Fischerei. Deshalb brauchen wir Vorsichtsmaßnahmen, wenn dort nach Öl und Gas gebohrt werden soll. Schneewittchen - auf norwegisch: Snøhvit - ist schon in Betrieb. 2014 soll die Produktion im Öl- und Gasfeld Goliat beginnen, und ab 2018 ist die Förderung in den beiden Ölfeldern Skrugard und Havis geplant."

    Der Forscher am Institut für Ingenieurwissenschaften und Sicherheit hat gemeinsam mit Kollegen untersucht, welche besonderen Herausforderungen die Öl- und Gasförderung in der Barentssee darstellt.

    "Da haben wir das harsche Klima mit extrem tiefen Temperaturen, die das Arbeiten auf den Bohrinseln erschweren. Denn zu den Außentemperaturen von minus 20 Grad Celsius kommt oft noch starker Wind hinzu, der die am Körper gefühlte Temperatur auf minus 40 Grad fallen lässt. Dieser Windchill-Effekt vermindert die menschliche Leistungsfähigkeit."

    Dazu kämen in der Barentssee mehrere Monate kompletter Dunkelheit. Diese Polarnacht sei nicht nur psychisch anstrengend für die Arbeiter, sie erschwere auch die Rettungseinsätze im Falle einer Explosion oder eines Ölunfalls.

    "Außerdem tritt in dieser Region immer wieder ein Phänomen namens Polartief auf, eine Art Wirbelsturm, der sich bis heute kaum vorhersagen lässt. Diese Polartiefs verursachen sehr hohe Wellen, die im Wasser schwimmende Bohrinseln stark beanspruchen."

    Darüber hinaus ist die nordnorwegische Küste nur spärlich besiedelt, es gibt nur wenige Straßen, Flugplätze und Häfen. Im Falle einer Katastrophe würde Hilfe also lange auf sich warten lassen. Nach Ansicht Masoud Naseris sind deshalb Präventivmaßnahmen umso wichtiger. Die schon bestehende Förderanlage Snøhvit ist tief unter der Wasseroberfläche am Meeresboden installiert und damit geschützt vor Wind und Wellen. In einigen der zukünftigen Fördergebiete aber werden Halbtaucher zum Einsatz kommen. Ölbohrinseln also, die im Wasser schwimmen.

    "Hier sollten wir die Aufbauten so konstruieren, dass sie winterfest sind. Das bedeutet, dass die Außenbereiche in denen Menschen arbeiten müssen, durch eine spezielle Ummantelung vor den Elementen geschützt werden. Solche Bereiche könnten dann auch geheizt werden. Das kostet allerdings sehr viel Energie. Und durch die Ummantelung steigt das Explosionsrisiko im Falle eines Gasleck."

    Außerdem müssten nach Ansicht des Forschers die zukünftigen Arbeiter geschult werden, um zum Beispiel das richtige Verhalten während eines Polartiefs oder eines Schneesturms zu lernen. Genauso wichtig sei eine psychologische Vorbereitung auf das wochenlange Arbeiten in extremer Kälte und Dunkelheit., um Depressionen vorzubeugen.All diese Maßnahmen könnten helfen, menschliches oder technisches Versagen zu vermeiden. Verhindern aber lässt es sich nicht, sagt Masoud Naseri.

    " Niemand kann ein Scheitern verhindern. Ganz egal was wir machen, wir können nicht ausschließen, dass etwas passiert."