Die Moskauer selbst kennen ihr prominentes Unternehmen von dem Blick durch ein schweres Metallgitter, das den riesigen Verwaltungstrakt vom Großstadtleben abschirmt. Wer hinein will, muss ein mehrstufiges Sicherheitssystem aus Durchlassgenehmigungen, Ausweisprüfungen und Röntgen-Gepäckkontrollen durchlaufen. Das Foyer ist ein hohes Gewölbe, ganz in sandfarbenem Marmor gehalten. Freundliche Damen weisen den Weg zum Lift, der den Besucher durch 32 Etagen in die Höhen des Bürotraktes trägt.
Hier hat Gasprom-Sprecher Sergej Kupriánov sein Büro. Von seinem Fenster aus erscheint die 12-Millionen-Metropole als kleinteiliges Stadtrelief aus Stalin-Prunk und Plattenbau. Tatsächlich ist der Konzern im Höhenflug: Er ist Europas wichtigster Gaslieferant, ihm gehören 17 Prozent der weltweiten Gasvorräte. Jetzt buhlen auch noch China und die USA um die knapper werdenden Bodenschätze. Das stärkt Russlands Position in der internationalen Energiediplomatie ungemein. Die Deutschen können sich den Wettstreit vom Logenplatz aus anschauen. Sie sind Gasproms Lieblingskunden, das sagt Kupriánovs freundlicher Blick.
"Unser Land - wie auch die Gasprom - wollen ein Gaslieferant für die ganze Welt sein, für Europa, für Asien und Amerika. Unsere Beziehung mit Deutschland im Gassektor ist die stabilste von allen, und jetzt hat sie ein noch höheres Niveau erreicht. Nach den vielen Jahren einer reinen Verkäufer-Kunden-Beziehung machen wir endlich gemeinsame Geschäfte - bei der Erschließung von neuen Energievorkommen und auch beim Transit - hier spreche ich von der Ostseepipeline. Außerdem konnten wir unsere Position bei der Wingas GmbH verstärken, die einige wichtige Gasleitungen in Deutschland kontrolliert, dadurch sind wir jetzt endlich direkt auf dem deutschen Markt vertreten. Aus Verbrauchersicht ist das sehr wichtig, weil das die Energiesicherheit erhöht. In dieser Hinsicht könnte unsere Erfahrung, die wir mit Deutschland sammeln, beispielhaft für ganz Europa sein."
Unter Altkanzler Gerhard Schröder konnte der Gasgigant demonstrieren, was er unter Energiepartnerschaft versteht: Deutsche Förderrechte für russische Bodenschätze im Tausch gegen den direkten Zugang zum deutschen Stromverbraucher - wenn auch auf dem Umweg über gegenseitige Unternehmensbeteiligungen. Bilateral soll jeder bekommen, was er vom anderen begehrt.
Unter Angela Merkel aber verlaufen die Verhandlungen ungleich zäher. Wenn es um das bei Putin so unbeliebte Thema Energiecharta geht, dann vertritt die neue EU-Ratspräsidentin die europäische Position - und fordert gleiche Marktbedingungen für alle. Aber soviel Liberalisierung geht der Gasprom dann doch zu weit. Unbewegt blickt Gasprom-Sprecher Kupriánov durch seine goldene Brille. Als Diplomat lässt er unausgesprochen, was Putin unverhohlen als Druckmittel einsetzt: Dass Russland sein begehrtes Gas künftig genauso gut nach Asien exportieren könne. Zumindest dann, wenn die EU weiterhin darauf besteht, dass Russland das Monopol über seine Pipelines aufgibt und sie statt dessen für die zentralasiatischen Gasproduzenten öffnet.
"Das ist eine gefährliche Idee. Welchen Anreiz sollten wir dann noch haben, unser Pipelinenetz und unsere Gasinfrastruktur weiterzuentwickeln? Das würde wohl kaum einen positiven Effekt für die Entwicklung des Gasmarktes in Deutschland und in Europa insgesamt haben."
Steigende Exporte, explodierende Rohstoffeinnahmen, weltweiter Wettbewerb um das russische Gas. Wenn Viktor Schtrubá so etwas hört, dann schüttelt er verständnislos den Kopf. Denn hinter den imposanten Nachrichten, die die Weltpresse über die Energiegroßmacht Russland verbreitet, verbirgt sich ein krisengeschüttelter Strommarkt, der kaum die eigene Bevölkerung versorgen kann.
Schtrubá ist Direktor eines Elektrizitätswerks in dem Moskauer Vorstädchen Schatúra. In der gekachtelten Empfangshalle begrüßt eine überlebensgroße Lenin-Büste die Besucher. Lenin persönlich hat das Werk einst eröffnet, heute wie damals verarbeitet es alles zu Strom, was nur brennt: Gas, Kohle - ja, sogar Altöl (Masut) und Torf. Eine Methode, die mehr Energie kostet als produziert, lästern alle, die etwas davon verstehen. Direktor Schtrubá aber lächelt entschuldigend über die unfreiwillige Diversifizierung.
"Bei den derzeitigen Gaspreisen kann Torf nicht rentabel sein. Wären wir ein rein kapitalistisches Land, würden man uns wohl schließen. Wir aber müssen Torf verbrennen, um die soziale Lage im Gleichgewicht zu halten. Wir geben doch soviel Gas in den Westen ab, nach Deutschland und Frankreich, dass es für unser eigenes Land nicht ausreicht. Weil Russland inzwischen aber auch viel Energie braucht, springt das Kraftwerk Schatúra ein. Im letzten Jahr haben wir bewiesen, wie gut wir arbeiten können, und auch jetzt werden wir gebraucht."
Im russischen Winter, wenn das Leben in den Straßen gefriert und der Frost durch die Fensterritzen in die Wohnungen kriecht, dann denkt niemand mehr an Rentabilität. Dann geht es nur noch darum, die Städte irgendwie beheizt und beleuchtet durch die Kälteperiode zu bringen. Das aber gelingt mit jedem Jahr weniger.
Im Rekordwinter 2006 brach die Wärme- und Wasserversorgung in zehntausenden Wohnungen zusammen - Moskau aber blieb vom Kälteschock verschont. Und das haben die Hauptstädter nicht der Gasprom zu verdanken - sie liefert gerade genug, um den Durchschnittsverbrauch im Land zu decken, der Rest fließt gegen teuere Devisen nach Europa. In Krisenzeiten stillt das Kraftwerk Schatúra den Energiehunger der boomenden Wirtschaft - notfalls mit Torf, Altöl und Diesel.
In diesem Jahr steht auch Moskau auf der Liste der 16 russischen Regionen, die offiziell vom "Energiedefizit" bedroht sind. Sinkt die Temperatur auf unter 15 Grad minus, ist die Industrie aufgerufen, ihren Stromverbrauch zu drosseln. Dabei verzeichnet die Metropole schon jetzt eine grössere Nachfrage nach Strom, als die Kraftwerke liefern können. Inzwischen schwört Präsident Putin selbst sein Volk aufs Energiesparen ein. Und der Reformer Anatolij Tschubáis, der Russlands größtes Energieversorgungsunternehmen leitet, beschwört regelmäßig über die staatlichen Fernsehkanäle Katastrophenszenarien, in denen die Versorgungssysteme zusammenbrechen und ganze Städte einfrieren. Und er beschuldigt die Gasprom, die Liberalisierung der Gaspreise hinauszuzögern. Die Mitarbeiter in Schatura wissen, was das für sie bedeutet: Überstunden.
Und so routieren die Turbinen von Schatúra auch jetzt wieder auf Hochtouren. Die riesigen, langgestreckten Produktionshallen - vollgestellt mit Kesseln, Containern, Kühltürmen, Pumpen, Rohrleitungen, Generatoren und Kondensatoren - sind das Reich des leitenden Ingenieurs Jurij Skopzov.
"Hier sind wir im Maschinensaal. Vor uns steht die Turbine Nummer 1, hergestellt im Leningrader Metallwerk. Sie wurde hier aufgestellt am 28. Dezember 1971. Sie hat uns noch nie im Stich gelassen, sie erfüllt immer noch alle Anforderungen. Sie produziert bis heute 200 Megawatt - also immer noch dieselbe Menge, für die sie damals zugelassen wurde."
Der Kontrollraum ist direkt nebenan. Das türkise Schaltpult nimmt den gesamten Raum ein. Der Computermonitor steht hier gerade seit einem halben Jahr, ansonsten gibt es aufgemalte Schaltkreise anstelle von Leuchtdioden, riesige Messuhren anstelle von Displays. Skopzov deutet auf einen der wuchtigen Zeiger. Er weist eine Produktion von 200 Megawatt aus: volle Leistung.
Russland: die Energiegroßmacht, die den eigenen explodierenden Verbrauch nicht decken kann - und nicht decken will.
Gasprom: der Konzern mit dem großspurigen Auftreten, der doch seit eh und je Deutschlands verlässlichster Energielieferant ist.
Der russische Finanzmarkt: der wegen Korruption verrufen ist, und der seinen ausländischen Investoren doch seit Jahren höchste Gewinnmargen einbringt. Das sind Widersprüche, die im Westen Hoffnungen wecken und gleichzeitig die Angst vor Abhängigkeit schüren.
Zerrbilder, Unterstellungen und falsche Erwartungen auf beiden Seiten immer wieder auf den Boden der energiepolitischen Tatsachen zurückzuholen, das versucht der britische Investmentfond Hermitage Capital Management, der bei der Gasprom Minderheitenaktionär ist. Seine extrem offene Aufklärungsarbeit über die Chancen und Risiken des russischen Energiesektors hat Fondsgründer William Browder inzwischen mit einem Einreiseverbot nach Russland bezahlt. In Moskau beantwortet jetzt Investment-Direktor Anatolij Romanóvskij die Fragen von Presse und Investoren.
Warum exportiert die Gasprom Gas in den Westen, anstatt zunächst das eigenen Land zu versorgen? Warum brüskiert sie die Transitstaaten Ukraíne und Weißrussland durch derartig rüde Preiserhöhungen? Kurz: Wie viel politisches Kalkül steckt in dem russischen Gaspreis?
"Die Regierung versucht gerade, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Das ist allerdings nicht möglich, ohne den Gas- und den Strompreis deutlich anzuheben. Russland verschwendet mehr Energie als jedes andere Land, gleichzeitig ist Inlandspreis für Gas irrational günstig. Im Inland kosten 1000 Kubikmeter Gas gerade mal 45 Dollar, im Westeuropa dagegen bekommt die Gasprom für das gleiche Menge zwischen 250 und 300 Dollar das sind annähernd sieben Mal soviel! Das ist nicht einfach rentabel! Die Gasprom könnte den dreifachen Umsatz machen, wenn sie nicht soviel Gas verschenken würde. Doch hat die Regierung hat Angst vor einer Inflation vor der Parlaments- und der Präsidentschaftswahl. Darum kann sie die Preise zunächst einmal nur schrittweise anheben."
Die niedrigen Gaspreise sind ein Relikt aus Sowjettagen. Heute führen sie die Energiemacht in einen absurden Teufelskreis aus Ineffektivität und Unterversorgung. Seit die Gasprom die Preise in der Ukraíne und Weißrussland an den Weltmarkt angepasst hat, kommen nur noch die Russen selbst in den Genuss von billigem Gas. Das gleicht die niedrigen Einkommen aus und subventioniert die heimische Wirtschaft - führt aber jegliche Investition ad absurdum und endet zwangsläufig in der Versorgungskrise.
Jetzt soll ein hastig aufgelegtes Reformprogramm das Schlimmste verhindern: Die Regierung will den Strommarkt liberalisieren - und endlich auch die Inlands-Strompreis stufenweise auf Weltmarktniveau anheben. Außerdem sollen Kraftwerksanlagen erneuert und Stromnetze erweitert werden. Doch es ist ein Kampf gegen die Zeit, denn schließlich müssen die alten, maroden Anlagen noch ein paar Jahre durchhalten, bis die neuen ans Netz gehen. Und der Investitionsstau auf dem Strommarkt ist nur die Spitze des Eisberges: Die Pipeline-Netze sind ebenfalls überaltert und teilweise stark beschädigt, jedes Jahr laufen tausende Tonnen Öl aus den Lecks und verseuchen den sibirischen Boden. Anatolij Romanóvskij aber beunruhigt noch etwas anderes: Viele Gasfelder sind inzwischen ausgebeutet, ohne dass neue erschlossen wurden.
"Die russischen Unternehmen und die Gasprom müssen jetzt erst einmal eine Menge investieren, um neue Förderfelder zu finden, weil auf den alten Feldern die Ausbeutung sinkt. Die letzten 15, 20 Jahre hat hier niemand mehr investiert. Das ist ein gewaltiges Problem, wenn man berücksichtigt, wie stark die Nachfrage nach Gas jedes Jahr steigt. Bald wird Gasprom nicht mehr hier und da paar Milliarden in die Erschließung neuer Felder investieren müssen, sondern bis zu 20 Milliarden Dollar jedes Jahr."
Es sind gewaltige Investitionen, die Russland in den kommenden Jahren tätigen muss - Investitionen, von denen auch internationale Unternehmen profitieren. Zwar dürfen ausländische Konzerne in Russland keine Bodenschätze fördern, das verhindert die Gesetzgebung. Das Geschäft mit dem sibirischen Gas ist dennoch längst globalisiert.
"Wir bohren gerade mit einem Gewicht von 10 Tonnen, in einer Tiefe von 3010 Metern. Der Druck beträgt 190 Bar - soweit ist alles in Ordnung."
Fast 60 Meter erhebt sich der Bohrturm in den dunklen Polarnachthimmel. Er ist ausgerüstet mit modernster Technologie, denn die Bohrung ist kompliziert, sie hat eine Ziellänge von vier Kilometern. Das Gasfeld Urengoj liegt in Westsibirien, 3000 Kilometer nordöstlich von Moskau. Hier, wo der Polarkreis beginnt und im Winter 40 Grad Kälte herrschen, ist das ewige Eis perforiert von Bohrlöchern, durch die das Erdgas in Pipelines Richtung Europa strömt.
Bei Urengoj wird seit Jahrzehnten gefördert, die gashaltige Erdoberfläche ist längst ausgebeutet. Jetzt müssen sich die Bohrmeißel immer tiefer in die glühend heißen Schichten hineinfressen, um auf Gas zu treffen - und das ist mit den traditionellen, russischen Bohranlagen kaum noch zu leisten. So ging der Auftrag für die drei Bohrlöcher an das deutsch-britische Unternehmen KCA Deutag [englisch aussprechen], ein mittelständisches Unternehmen mit Firmensitz im niedersächsischen Bad Bentheim.
Russland-Manager Olaf Bohne muss inzwischen quer durch das ganze Riesenreich reisen, um seine zehn Bohranlagen zu betreuen. Für sein Unternehmen ist der russische Energiesektor der Wachstumsmarkt schlechthin. Seine einzige Sorge: dass die KCA Deutag mehr Aufträge bekommt, als sie schaffen kann:
"Es wurde nichts gemacht, und das kommt jetzt alles mit Wucht zurück. Auch die Fehler, die in den 80ern gemacht wurden, in der sowjetischen Industriepolitik. Und das schlägt heute alles durch. Ein Betätigungsfeld im Prinzip auf allen Bereichen - Zusammenarbeit, für Export, Services. Deutschland ist immer noch eines der beliebtesten Länder in Russland, die sind pünktlich und ordentlich, dieses positive Bild ist stark verhaftet. Das brummt ja auch, und das geht über den Mittelstand."
Energie - auch in den Abendnachrichten ist es ein tägliches Thema. Meist folgt auf die Zahlen der steigenden Rohstoffexporte der Aufruf zum Energiesparen an die russischen Bürger. Dabei sind die Heizungen zentralgesteuert, von September bis April drücken sie brütende Hitze in die Wohnungen - egal, wie kalt oder warm es draußen ist. So regulieren die Bewohner die Zimmertemperatur eben über das Fenster.
Auch in der Wohnung von Ríma und Alexander Kokéjev stehen die Fenster fast immer offen. Eigentlich ist das Moskauer Ehepaar längst pensioniert, doch weil sie von ihrer Rente nicht leben könnten, arbeiten sie weiter - er als Wissenschaftler, sie als Ärztin. Wenn sie dann abends, müde von der Doppelschicht, auf dem Fernsehsofa zu sammensitzen, dann fragen sie sich, was eigentlich die Bevölkerung vom Rohstoffreichtum des Landes hat. Und dabei kommen sie zu durchaus unterschiedlichen Ansichten.
"Noch vor drei oder vier Jahren haben wir 50 Kopeken für ein Kilowatt Strom bezahlt, jetzt kostet es einen Rubel 87. Es ist schwer, damit klarzukommen, denn die Inflation galoppiert, aber die Löhne halten damit nicht Schritt. Und jetzt wollen sie den Gaspreis auf den Weltmarktpreis anheben. Wer soll denn das bezahlen? In einem Land, in dem so viel Öl gefördert und an die ganze Welt verkauft wird, da müsste Energie viel billiger sein. Die Bevölkerung sollte auch irgendeinen Nutzen davon haben, aber ich sehe diesen Nutzen nicht."
Alexander aber wiegt den Kopf und schaut seine Frau nachdenklich an.
"Es stimmt, dass ein Land, das kolossal viele Bodenschätzen zu verkaufen hat, viel mehr in seine Krankenhäuser investieren müsste, oder wenigstens unseren jungen Soldaten, die verkrüppelt aus Tschetschenien heimkehren, ihre Prothesen bezahlen. Andererseits haben wir unsere Energie doch jahrzehntelang so gut wie umsonst erhalten - und was ist dabei herausgekommen? Das warme Wasser ist tage- und nächtelang aus allen Hähnen gelaufen, ohne dass es jemand es abgedreht hätte - nur, weil es nichts gekostet hat. Heute ist es ein riesiger Unterschied, ob wir 500 Rubel zahlen oder nur 300, weil wir sparen. Und alle fangen an, darauf zu achten, unnötiges Licht auszuschalten. Und so rücken wir auch beim Energiesparen wieder ein Stückchen näher an den Westen. Der Prozess ist im Gange!"
Hier hat Gasprom-Sprecher Sergej Kupriánov sein Büro. Von seinem Fenster aus erscheint die 12-Millionen-Metropole als kleinteiliges Stadtrelief aus Stalin-Prunk und Plattenbau. Tatsächlich ist der Konzern im Höhenflug: Er ist Europas wichtigster Gaslieferant, ihm gehören 17 Prozent der weltweiten Gasvorräte. Jetzt buhlen auch noch China und die USA um die knapper werdenden Bodenschätze. Das stärkt Russlands Position in der internationalen Energiediplomatie ungemein. Die Deutschen können sich den Wettstreit vom Logenplatz aus anschauen. Sie sind Gasproms Lieblingskunden, das sagt Kupriánovs freundlicher Blick.
"Unser Land - wie auch die Gasprom - wollen ein Gaslieferant für die ganze Welt sein, für Europa, für Asien und Amerika. Unsere Beziehung mit Deutschland im Gassektor ist die stabilste von allen, und jetzt hat sie ein noch höheres Niveau erreicht. Nach den vielen Jahren einer reinen Verkäufer-Kunden-Beziehung machen wir endlich gemeinsame Geschäfte - bei der Erschließung von neuen Energievorkommen und auch beim Transit - hier spreche ich von der Ostseepipeline. Außerdem konnten wir unsere Position bei der Wingas GmbH verstärken, die einige wichtige Gasleitungen in Deutschland kontrolliert, dadurch sind wir jetzt endlich direkt auf dem deutschen Markt vertreten. Aus Verbrauchersicht ist das sehr wichtig, weil das die Energiesicherheit erhöht. In dieser Hinsicht könnte unsere Erfahrung, die wir mit Deutschland sammeln, beispielhaft für ganz Europa sein."
Unter Altkanzler Gerhard Schröder konnte der Gasgigant demonstrieren, was er unter Energiepartnerschaft versteht: Deutsche Förderrechte für russische Bodenschätze im Tausch gegen den direkten Zugang zum deutschen Stromverbraucher - wenn auch auf dem Umweg über gegenseitige Unternehmensbeteiligungen. Bilateral soll jeder bekommen, was er vom anderen begehrt.
Unter Angela Merkel aber verlaufen die Verhandlungen ungleich zäher. Wenn es um das bei Putin so unbeliebte Thema Energiecharta geht, dann vertritt die neue EU-Ratspräsidentin die europäische Position - und fordert gleiche Marktbedingungen für alle. Aber soviel Liberalisierung geht der Gasprom dann doch zu weit. Unbewegt blickt Gasprom-Sprecher Kupriánov durch seine goldene Brille. Als Diplomat lässt er unausgesprochen, was Putin unverhohlen als Druckmittel einsetzt: Dass Russland sein begehrtes Gas künftig genauso gut nach Asien exportieren könne. Zumindest dann, wenn die EU weiterhin darauf besteht, dass Russland das Monopol über seine Pipelines aufgibt und sie statt dessen für die zentralasiatischen Gasproduzenten öffnet.
"Das ist eine gefährliche Idee. Welchen Anreiz sollten wir dann noch haben, unser Pipelinenetz und unsere Gasinfrastruktur weiterzuentwickeln? Das würde wohl kaum einen positiven Effekt für die Entwicklung des Gasmarktes in Deutschland und in Europa insgesamt haben."
Steigende Exporte, explodierende Rohstoffeinnahmen, weltweiter Wettbewerb um das russische Gas. Wenn Viktor Schtrubá so etwas hört, dann schüttelt er verständnislos den Kopf. Denn hinter den imposanten Nachrichten, die die Weltpresse über die Energiegroßmacht Russland verbreitet, verbirgt sich ein krisengeschüttelter Strommarkt, der kaum die eigene Bevölkerung versorgen kann.
Schtrubá ist Direktor eines Elektrizitätswerks in dem Moskauer Vorstädchen Schatúra. In der gekachtelten Empfangshalle begrüßt eine überlebensgroße Lenin-Büste die Besucher. Lenin persönlich hat das Werk einst eröffnet, heute wie damals verarbeitet es alles zu Strom, was nur brennt: Gas, Kohle - ja, sogar Altöl (Masut) und Torf. Eine Methode, die mehr Energie kostet als produziert, lästern alle, die etwas davon verstehen. Direktor Schtrubá aber lächelt entschuldigend über die unfreiwillige Diversifizierung.
"Bei den derzeitigen Gaspreisen kann Torf nicht rentabel sein. Wären wir ein rein kapitalistisches Land, würden man uns wohl schließen. Wir aber müssen Torf verbrennen, um die soziale Lage im Gleichgewicht zu halten. Wir geben doch soviel Gas in den Westen ab, nach Deutschland und Frankreich, dass es für unser eigenes Land nicht ausreicht. Weil Russland inzwischen aber auch viel Energie braucht, springt das Kraftwerk Schatúra ein. Im letzten Jahr haben wir bewiesen, wie gut wir arbeiten können, und auch jetzt werden wir gebraucht."
Im russischen Winter, wenn das Leben in den Straßen gefriert und der Frost durch die Fensterritzen in die Wohnungen kriecht, dann denkt niemand mehr an Rentabilität. Dann geht es nur noch darum, die Städte irgendwie beheizt und beleuchtet durch die Kälteperiode zu bringen. Das aber gelingt mit jedem Jahr weniger.
Im Rekordwinter 2006 brach die Wärme- und Wasserversorgung in zehntausenden Wohnungen zusammen - Moskau aber blieb vom Kälteschock verschont. Und das haben die Hauptstädter nicht der Gasprom zu verdanken - sie liefert gerade genug, um den Durchschnittsverbrauch im Land zu decken, der Rest fließt gegen teuere Devisen nach Europa. In Krisenzeiten stillt das Kraftwerk Schatúra den Energiehunger der boomenden Wirtschaft - notfalls mit Torf, Altöl und Diesel.
In diesem Jahr steht auch Moskau auf der Liste der 16 russischen Regionen, die offiziell vom "Energiedefizit" bedroht sind. Sinkt die Temperatur auf unter 15 Grad minus, ist die Industrie aufgerufen, ihren Stromverbrauch zu drosseln. Dabei verzeichnet die Metropole schon jetzt eine grössere Nachfrage nach Strom, als die Kraftwerke liefern können. Inzwischen schwört Präsident Putin selbst sein Volk aufs Energiesparen ein. Und der Reformer Anatolij Tschubáis, der Russlands größtes Energieversorgungsunternehmen leitet, beschwört regelmäßig über die staatlichen Fernsehkanäle Katastrophenszenarien, in denen die Versorgungssysteme zusammenbrechen und ganze Städte einfrieren. Und er beschuldigt die Gasprom, die Liberalisierung der Gaspreise hinauszuzögern. Die Mitarbeiter in Schatura wissen, was das für sie bedeutet: Überstunden.
Und so routieren die Turbinen von Schatúra auch jetzt wieder auf Hochtouren. Die riesigen, langgestreckten Produktionshallen - vollgestellt mit Kesseln, Containern, Kühltürmen, Pumpen, Rohrleitungen, Generatoren und Kondensatoren - sind das Reich des leitenden Ingenieurs Jurij Skopzov.
"Hier sind wir im Maschinensaal. Vor uns steht die Turbine Nummer 1, hergestellt im Leningrader Metallwerk. Sie wurde hier aufgestellt am 28. Dezember 1971. Sie hat uns noch nie im Stich gelassen, sie erfüllt immer noch alle Anforderungen. Sie produziert bis heute 200 Megawatt - also immer noch dieselbe Menge, für die sie damals zugelassen wurde."
Der Kontrollraum ist direkt nebenan. Das türkise Schaltpult nimmt den gesamten Raum ein. Der Computermonitor steht hier gerade seit einem halben Jahr, ansonsten gibt es aufgemalte Schaltkreise anstelle von Leuchtdioden, riesige Messuhren anstelle von Displays. Skopzov deutet auf einen der wuchtigen Zeiger. Er weist eine Produktion von 200 Megawatt aus: volle Leistung.
Russland: die Energiegroßmacht, die den eigenen explodierenden Verbrauch nicht decken kann - und nicht decken will.
Gasprom: der Konzern mit dem großspurigen Auftreten, der doch seit eh und je Deutschlands verlässlichster Energielieferant ist.
Der russische Finanzmarkt: der wegen Korruption verrufen ist, und der seinen ausländischen Investoren doch seit Jahren höchste Gewinnmargen einbringt. Das sind Widersprüche, die im Westen Hoffnungen wecken und gleichzeitig die Angst vor Abhängigkeit schüren.
Zerrbilder, Unterstellungen und falsche Erwartungen auf beiden Seiten immer wieder auf den Boden der energiepolitischen Tatsachen zurückzuholen, das versucht der britische Investmentfond Hermitage Capital Management, der bei der Gasprom Minderheitenaktionär ist. Seine extrem offene Aufklärungsarbeit über die Chancen und Risiken des russischen Energiesektors hat Fondsgründer William Browder inzwischen mit einem Einreiseverbot nach Russland bezahlt. In Moskau beantwortet jetzt Investment-Direktor Anatolij Romanóvskij die Fragen von Presse und Investoren.
Warum exportiert die Gasprom Gas in den Westen, anstatt zunächst das eigenen Land zu versorgen? Warum brüskiert sie die Transitstaaten Ukraíne und Weißrussland durch derartig rüde Preiserhöhungen? Kurz: Wie viel politisches Kalkül steckt in dem russischen Gaspreis?
"Die Regierung versucht gerade, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Das ist allerdings nicht möglich, ohne den Gas- und den Strompreis deutlich anzuheben. Russland verschwendet mehr Energie als jedes andere Land, gleichzeitig ist Inlandspreis für Gas irrational günstig. Im Inland kosten 1000 Kubikmeter Gas gerade mal 45 Dollar, im Westeuropa dagegen bekommt die Gasprom für das gleiche Menge zwischen 250 und 300 Dollar das sind annähernd sieben Mal soviel! Das ist nicht einfach rentabel! Die Gasprom könnte den dreifachen Umsatz machen, wenn sie nicht soviel Gas verschenken würde. Doch hat die Regierung hat Angst vor einer Inflation vor der Parlaments- und der Präsidentschaftswahl. Darum kann sie die Preise zunächst einmal nur schrittweise anheben."
Die niedrigen Gaspreise sind ein Relikt aus Sowjettagen. Heute führen sie die Energiemacht in einen absurden Teufelskreis aus Ineffektivität und Unterversorgung. Seit die Gasprom die Preise in der Ukraíne und Weißrussland an den Weltmarkt angepasst hat, kommen nur noch die Russen selbst in den Genuss von billigem Gas. Das gleicht die niedrigen Einkommen aus und subventioniert die heimische Wirtschaft - führt aber jegliche Investition ad absurdum und endet zwangsläufig in der Versorgungskrise.
Jetzt soll ein hastig aufgelegtes Reformprogramm das Schlimmste verhindern: Die Regierung will den Strommarkt liberalisieren - und endlich auch die Inlands-Strompreis stufenweise auf Weltmarktniveau anheben. Außerdem sollen Kraftwerksanlagen erneuert und Stromnetze erweitert werden. Doch es ist ein Kampf gegen die Zeit, denn schließlich müssen die alten, maroden Anlagen noch ein paar Jahre durchhalten, bis die neuen ans Netz gehen. Und der Investitionsstau auf dem Strommarkt ist nur die Spitze des Eisberges: Die Pipeline-Netze sind ebenfalls überaltert und teilweise stark beschädigt, jedes Jahr laufen tausende Tonnen Öl aus den Lecks und verseuchen den sibirischen Boden. Anatolij Romanóvskij aber beunruhigt noch etwas anderes: Viele Gasfelder sind inzwischen ausgebeutet, ohne dass neue erschlossen wurden.
"Die russischen Unternehmen und die Gasprom müssen jetzt erst einmal eine Menge investieren, um neue Förderfelder zu finden, weil auf den alten Feldern die Ausbeutung sinkt. Die letzten 15, 20 Jahre hat hier niemand mehr investiert. Das ist ein gewaltiges Problem, wenn man berücksichtigt, wie stark die Nachfrage nach Gas jedes Jahr steigt. Bald wird Gasprom nicht mehr hier und da paar Milliarden in die Erschließung neuer Felder investieren müssen, sondern bis zu 20 Milliarden Dollar jedes Jahr."
Es sind gewaltige Investitionen, die Russland in den kommenden Jahren tätigen muss - Investitionen, von denen auch internationale Unternehmen profitieren. Zwar dürfen ausländische Konzerne in Russland keine Bodenschätze fördern, das verhindert die Gesetzgebung. Das Geschäft mit dem sibirischen Gas ist dennoch längst globalisiert.
"Wir bohren gerade mit einem Gewicht von 10 Tonnen, in einer Tiefe von 3010 Metern. Der Druck beträgt 190 Bar - soweit ist alles in Ordnung."
Fast 60 Meter erhebt sich der Bohrturm in den dunklen Polarnachthimmel. Er ist ausgerüstet mit modernster Technologie, denn die Bohrung ist kompliziert, sie hat eine Ziellänge von vier Kilometern. Das Gasfeld Urengoj liegt in Westsibirien, 3000 Kilometer nordöstlich von Moskau. Hier, wo der Polarkreis beginnt und im Winter 40 Grad Kälte herrschen, ist das ewige Eis perforiert von Bohrlöchern, durch die das Erdgas in Pipelines Richtung Europa strömt.
Bei Urengoj wird seit Jahrzehnten gefördert, die gashaltige Erdoberfläche ist längst ausgebeutet. Jetzt müssen sich die Bohrmeißel immer tiefer in die glühend heißen Schichten hineinfressen, um auf Gas zu treffen - und das ist mit den traditionellen, russischen Bohranlagen kaum noch zu leisten. So ging der Auftrag für die drei Bohrlöcher an das deutsch-britische Unternehmen KCA Deutag [englisch aussprechen], ein mittelständisches Unternehmen mit Firmensitz im niedersächsischen Bad Bentheim.
Russland-Manager Olaf Bohne muss inzwischen quer durch das ganze Riesenreich reisen, um seine zehn Bohranlagen zu betreuen. Für sein Unternehmen ist der russische Energiesektor der Wachstumsmarkt schlechthin. Seine einzige Sorge: dass die KCA Deutag mehr Aufträge bekommt, als sie schaffen kann:
"Es wurde nichts gemacht, und das kommt jetzt alles mit Wucht zurück. Auch die Fehler, die in den 80ern gemacht wurden, in der sowjetischen Industriepolitik. Und das schlägt heute alles durch. Ein Betätigungsfeld im Prinzip auf allen Bereichen - Zusammenarbeit, für Export, Services. Deutschland ist immer noch eines der beliebtesten Länder in Russland, die sind pünktlich und ordentlich, dieses positive Bild ist stark verhaftet. Das brummt ja auch, und das geht über den Mittelstand."
Energie - auch in den Abendnachrichten ist es ein tägliches Thema. Meist folgt auf die Zahlen der steigenden Rohstoffexporte der Aufruf zum Energiesparen an die russischen Bürger. Dabei sind die Heizungen zentralgesteuert, von September bis April drücken sie brütende Hitze in die Wohnungen - egal, wie kalt oder warm es draußen ist. So regulieren die Bewohner die Zimmertemperatur eben über das Fenster.
Auch in der Wohnung von Ríma und Alexander Kokéjev stehen die Fenster fast immer offen. Eigentlich ist das Moskauer Ehepaar längst pensioniert, doch weil sie von ihrer Rente nicht leben könnten, arbeiten sie weiter - er als Wissenschaftler, sie als Ärztin. Wenn sie dann abends, müde von der Doppelschicht, auf dem Fernsehsofa zu sammensitzen, dann fragen sie sich, was eigentlich die Bevölkerung vom Rohstoffreichtum des Landes hat. Und dabei kommen sie zu durchaus unterschiedlichen Ansichten.
"Noch vor drei oder vier Jahren haben wir 50 Kopeken für ein Kilowatt Strom bezahlt, jetzt kostet es einen Rubel 87. Es ist schwer, damit klarzukommen, denn die Inflation galoppiert, aber die Löhne halten damit nicht Schritt. Und jetzt wollen sie den Gaspreis auf den Weltmarktpreis anheben. Wer soll denn das bezahlen? In einem Land, in dem so viel Öl gefördert und an die ganze Welt verkauft wird, da müsste Energie viel billiger sein. Die Bevölkerung sollte auch irgendeinen Nutzen davon haben, aber ich sehe diesen Nutzen nicht."
Alexander aber wiegt den Kopf und schaut seine Frau nachdenklich an.
"Es stimmt, dass ein Land, das kolossal viele Bodenschätzen zu verkaufen hat, viel mehr in seine Krankenhäuser investieren müsste, oder wenigstens unseren jungen Soldaten, die verkrüppelt aus Tschetschenien heimkehren, ihre Prothesen bezahlen. Andererseits haben wir unsere Energie doch jahrzehntelang so gut wie umsonst erhalten - und was ist dabei herausgekommen? Das warme Wasser ist tage- und nächtelang aus allen Hähnen gelaufen, ohne dass es jemand es abgedreht hätte - nur, weil es nichts gekostet hat. Heute ist es ein riesiger Unterschied, ob wir 500 Rubel zahlen oder nur 300, weil wir sparen. Und alle fangen an, darauf zu achten, unnötiges Licht auszuschalten. Und so rücken wir auch beim Energiesparen wieder ein Stückchen näher an den Westen. Der Prozess ist im Gange!"