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Bohrungen im Meeresboden
Auf der Suche nach der Grenze der Biosphäre

Die Lebenswelt in den Porenräumen tief vergrabener Meeressedimente und Basalte ist bisher wenig erforscht. Forscher vermuten, dass dort die Temperaturen zu hoch sind, als dass Mikroorganismen dort leben könnte. Sie wollen nun Bohrproben nehmen, um herauszufinden, ob dort wirklich die Biosphäre endet.

Von Dagmar Röhrlich | 12.09.2016
    Das japanische Forschungsschiff Chikyu führte 2012 mit 2500 Metern die bislang tiefste wissenschaftliche Ozeanbohrung durch. Hier liegt es im September 2013 im Hafen von Shimizu vor Anker
    Vom japanischen Forschungsschiff Chikyu aus führen die Wissenschaftler Bohrungen im Meeresboden durch und untersuchen sie noch an Bord (AFP PHOTO / TOSHIFUMI KITAMURA )
    Es gibt viele Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, ob Mikroorganismen tief im Untergrund vergraben leben können oder auch nicht. Nährstoffe können zu gering werden, Porenräume zu klein, Transportprozesse zu langsam oder - und das ist wohl das Offensichtlichste - die Temperatur zu hoch. Um letzteres dreht sich ab heute die T-Limit-Campaign. Mit einer Bohrung visieren Forscher für dieses Projekt eine Zone an, an der die mit marinen Sedimenten bedeckte philippinische Krustenplatte unter Eurasien absinkt. So beschreibt es Verena Heuer vom Bremer Marum, die derzeit einen Teil der Expedition an Bord der Chikyu leitet:
    "Wir fahren zum Nankai Trog vor Japan und werden dort in knapp 5 km Wassertiefe etwa 1 km tief in den Meeresboden bohren. Diese Stelle ist besonders geeignet, weil wir in 1,2 km Tiefe 130 Grad Celsius erwarten. Wenn man an einer anderen Stelle bohren würde, müsste man dafür vier Kilometer tief bohren."
    Geschätzes Drittel der gesamten irdischen Biomasse im Meeresboden
    Zu wissen, wann es Mikroorganismen im Meeresboden zu heiß wird, ist entscheidend - unter anderem wenn es darum geht, die Größe der irdischen Biosphäre abzuschätzen. Bo Barker Jørgensen von der Universität Aarhus:
    "Der Meeresboden ist ein gigantischer Bioreaktor, auf dem sich organisches Material ablagert, das unter jüngeren Sedimenten vergraben und recycelt wird. Vielleicht ein Drittel der irdischen Biomasse könnte darin stecken. Weil wir die Grenzen noch nicht kennen, lässt sich das nur vermuten. Diese Mikroorganismen spielen jedoch eine wichtige Rolle in den globalen Kohlenstoff- und Nährstoffzyklen."
    Den Erfahrungen der Ölindustrie zufolge wird es Mikroorganismen unter den Bedingungen im Meeresboden anscheinend bei rund 85 Grad Celsius zu heiß. Damit liegt die Grenze des Lebens um die 40 Grad niedriger als an heißen Tiefseequellen. Denn während dort den Mikroben Nährstoffe im Überfluss zur Verfügung stehen, sind die Lebensbedingungen im Meeresboden karg, erklärt Verena Heuer:
    "Mit der Tiefe wird das Sediment älter, das organische Material wird älter, das ist dann richtig ausgelutscht, der Porenraum wird kleiner, die Nährstoffe nehmen ab. Also eigentlich werden die Bedingungen mit der Tiefe immer schwieriger für Mikroorganismen, um dann noch leben zu können."
    Die Bohrung der T-Limit-Campaign geht gleich in mehrfacher Hinsicht an Grenzen, erklärt Kai-Uwe Hinrichs vom Bremer Marum:
    "Wir stoßen an die Grenzen vor nicht nur der Biosphäre, aber auch an die Grenzen vieler Methoden. Es geht eben um Detektion von Leben in geringsten Konzentrationen. Das versuchen wir mit chemischen, mit optischen und genetischen Methoden, aber auch physikalischen Methoden zu machen. In all diesen Bereichen stoßen wir an Grenzen vor."
    Besonders interessante Proben werden per Helikopter ins Labor geflogen
    An Bord werden in den Bohrkernen sofort mit Hilfe eines CT-Scans die Bereiche identifiziert, die ungestört geblieben sind. Was besonders interessant erscheint, wird unter Schutzgas und bei passender Temperatur per Helikopter in ein 160 Kilometer entferntes Speziallabor geflogen. Während an Bord der Chikyu Untersuchungen laufen wie Wasserstoffmessungen, nehmen die Wissenschaftler in den Hochreinlaboren des Kochi Core Centers die per Eilzustellung gelieferten Proben rund um die Uhr in Empfang und bearbeiten sie weiter. Verena Heuer:
    "Das wichtigste ist für uns zunächst einmal die Zellen zu zählen und zu wissen, ob noch lebende Zellen da sind oder nicht. Das wird direkt in Kochi gemacht, die haben da spezialisierte Methoden, um das computergesteuert machen zu können. Und dann werden wir ein bestimmtes Grundprogramm durchführen, um die Geochemie zu charakterisieren und die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft zu charakterisieren."
    Alle Mikroorganismen werden sequenziert, und es wird versucht, sie im Labor zu halten. Die Forscher hoffen, mit sehr hohem technologischem Aufwand entscheidende Fragen zu klären. Etwa die, wie sich das mikrobielle Leben mit steigender Temperatur verändert, wer in dieser abgeschotteten Welt unter schwierigsten Bedingungen überlebt, wie lange die Reparaturmechanismen in den Zellen funktionieren oder auch, ob das Temperaturlimit eine scharfe Grenze bildet oder eine eher löchrige.