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Bollwerk gegen Internetgiganten

Technik. - Durch Europa schwappt seit über einem halben Jahrhundert regelmäßig die Furcht vor einer kulturellen Überfremdung durch die USA. Jüngster Anlass sind die Bestrebungen von US-Konzernen wie Microsoft oder jüngst Google Literatur und Kunst zu digitalisieren und damit, so die Befürchtung, zu eigenen Konditionen verfügbar zu machen. Auf einer internationalen in Salzburg wurde jetzt die "Europäische Digitale Bibliothek" vorgestellt, das Bollwerk der Alten Welt gegen den Ansturm der Internetgiganten aus der Neuen Welt.

Von Mathias Schulenburg | 22.06.2006
    Digitalisiert werden vornehmlich Bücher, deren Inhalte eingescannt und in katalogisierbaren Klartext umgewandelt werden, dazu aber auch Kunstwerke bis hin zu Kunstbauten, und Töne, Bilder und Videos, natürlich - kurzum: Die alte und neue kulturelle Essenz Europas. Motor des Unternehmens ist Horst Forster, zuständig für die Inhalte des Förderprogramms der Brüsseler Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien:

    "Das Entscheidende ist natürlich, dass die Mitgliedstaaten mit der Digitalisierung ihrer Bestände in den Museen und Bibliotheken zügig voranschreiten, so dass wir also das Ziel, bis 2010 sechs Millionen Objekte, sowohl als Bibliotheken als auch Museen digitalisiert und zugänglich zu haben für die Öffentlichkeit, realisiert haben, das ist insgesamt, sicherlich nicht übertrieben, ein Milliardenprojekt."

    Was Bücher angeht, ist die Digitalisierungsoffensive der Europäer deutlich von der Ankündigung des Google-Suchmaschinenbetreibers stimuliert worden, in den nächsten Jahren 15 Millionen Bücher einscannen und allgemein zugänglich machen zu wollen. Jean-Noel Jeanneney, Präsident der französischen Nationalbibliothek, einst Minister der französischen Regierung, ist die vermeintlich noble Sache nicht geheuer:

    "Zunächst einmal scheinen Googles Ambitionen eine gute Sache zu sein, und man kann die Leute für die Erfindung ihrer Suchalgorithmen durchaus bewundern. Ein Weltmonopol für Google aber wäre ein Desaster. Google ist in Amerika verwurzelt und lebt von Publicity, Googles Blick auf das kulturelle Erbe ist also ein spezieller. Wir Europäer müssen dem etwas entgegen setzen, andere Prinzipien, offene Standards, die Meta-Daten sollten sich nicht in Privatbesitz befinden, alles muss allen zugänglich sein. Und dann ist es - sagen wir für Journalisten oder Lehrer - extrem schwierig, in diesem Meer von Wissen fündig zu werden, wenn da alles drunter und drüber geht, haben Sie nichts davon. Wir müssen das Problem also mit den tradierten Methoden der Bibliotheken und Universitäten angehen, die Wissen organisieren können. Das muss geschehen. Diese Europäische Digitalbibliothek ist eine sehr aufregende Herausforderung."

    Da schwingt ein wenig die Furcht der Elite mit, etwas von ihrer Interpretationshoheit abgeben zu müssen, und die Sorge um die Zukunft der europäischen, speziell der französischen Kultur. Diese Sorge ist - im Gefolge der Digitalisierung - nicht unbegründet; was etwa an Übersetzungen in europäischen Buchläden steht, ist zwischen 50 bis 60 Prozent eine Übersetzung aus dem Englischen. Dem stehen ganze drei bis vier Prozent Übersetzungen aus einer europäischen Sprache ins Englische gegenüber. Das, findet auch Rüdiger Wischenbart, Berater, Publizist und Vortragender, sei schon ein starkes Ungleichgewicht:

    "Und wir sehen zum Zweiten, dass auch die horizontale Querverbindung, die Übersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche, aus dem Schwedischen ins Spanische, diese Sachen, die so wichtig sind für den Dialog, dass die ziemlich drastisch in den Keller sausen und das dritte Problem ist, wir wissen das alles nicht genau, wir wissen viel zu wenig, wie diese Vielfalt oder auch Begrenzung der Vielfalt tatsächlich funktioniert."

    Die Experten der EU haben das Problem erkannt, ob es ihnen auch gelingt, die Gefahr eines Verlustes bedeutender kultureller Werte zu bannen, das bleibt abzuwarten.