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Bologna-Reform
"Es fehlt an Muße, Entspanntheit, Entschleunigung"

Gut 15 Jahre nach der Einführung von Bachelor und Master haben die Hochschulrektoren gemeinsam mit den Kultusministern ein Papier zur Änderung erarbeitet. Damit würden notwendige Verbesserungen angegangen, sagte Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, im DLF. In vielen Bereichen würden zum Beispiel Bachelorabsolventen nicht am Arbeitsmarkt angenommen.

Bernhard Kempen im Gespräch mit Manfred Götze | 13.05.2016
    Begrüßung der Erstsemester an der Westfälische-Wilhelms-Universität in Münster. 5400 Studenten haben zum Wintersemester 2014/2015 ihr Studium aufgenommen
    Das Bachelorstudium habe Mobilität sichern sollen, aber etwas anderes gebracht, so der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes Bernhard Kempen. (imago / Rüdiger Wölk)
    Manfred Götzke: Zu verschult, zu unstudierbar, zu viel Notendruck – das sind nur einige der Dauerkritikpunkte am Bachelorstudium. Gut 15 Jahre nach der Einführung der neuen Studiengänge sollen genau diese Mängel beseitigt werden. Die Hochschulrektoren haben dazu gemeinsam mit den Kultusministern ein Papier erarbeitet, und weil eben auch die Minister dabei waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Ganze auch umgesetzt wird. Endgültig beschlossen ist das Papier noch nicht, aber es geht wohl nur noch um Details. Fest steht, in den ersten beiden Semestern sollen die Noten nicht mehr für den Studienabschluss entscheidend sein. Das Studium soll weniger verschult und flexibler werden. Bernhard Kempen ist Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, seines Zeichens immer ein Kritiker des Bachelorstudiums gewesen. Herr Kempen, nach gut 15 Jahren hat das Bachelorstudium ja so langsam sich etabliert. Ist es sinnvoll, jetzt wieder alles umzuschmeißen?
    Bernhard Kempen: Vom Umschmeißen würde ich ja gar nicht reden, sondern wohl davon, dass man endlich die notwendigen Verbesserungen angeht. Das Bachelorstudium war angetreten, einen frühen berufsqualifizierenden Abschluss herzustellen, es sollte Mobilität sichern, aber was hat es wirklich gebracht: Es hat bewirkt, dass unsere Studierenden über ein Bulimiestudium klagen, in dem sie sozusagen die Sachen in sich reinfressen und sie dann alsbald wiedergeben müssen. Es fehlt an Muße, an Entspanntheit, an Entschleunigung, und wenn wir uns jetzt auf den Weg machen, diese Dinge besser zu machen, dann kann man das eigentlich nur begrüßen.
    "Wir wollen nicht so viele kleinteilige Modulprüfungen machen"
    Götzke: Wird durch diese Vorschläge das Bulimielernen, das Bulimiestudium abgeschafft?
    Kempen: Ob es ganz abgeschafft wird, das wird dann die Wirklichkeit erweisen, ob das wirklich so sein wird, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, zu sagen, wir wollen das Ganze ein bisschen entspannen. Wir wollen nicht so viele kleinteilige Modulprüfungen machen. Wir wollen auch bei den Noten ein bisschen nachlassen, sodass die Studierenden nicht schon gleich im ersten Semester unter dem Druck stehen, dass sie jetzt schon eine Leistung für ihr Examen bringen müssen. Das ist eigentlich alles begrüßenswert.
    Götzke: Außerdem sollen Studierende in den ersten Semestern eine größere Bandbreite studieren können, also ein bisschen weniger Verschulung. Geht man damit nicht zurück in die Beliebigkeit des Magisterstudiums von früher, wo man semesterlang irgendwas vor sich hin studiert hat ohne ein konkretes Ziel?
    Kempen: Das würde ich etwas anders sehen. Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir den Studierenden die Möglichkeit geben, sich im Studium zuerst einmal zu orientieren. Das war früher nicht schlecht, dass unsere Studenten auch in Nachbarfakultäten mal eine Vorlesung besucht haben, die sie interessiert hat. Es war auch nicht schlecht, dass die Studenten die Erfahrung gemacht haben, dass man im Studium auch in eine Sackgasse laufen kann und sich dann auch schnell wieder da rausbewegen muss. Da würde ich jetzt nicht von Ziellosigkeit und Planlosigkeit sprechen, sondern von einer notwendigen Muße, die in jedem Studium auch vorhanden sein muss.
    Götzke: Viele Universitäten, viele Fakultätsleiter haben in den vergangenen Jahren auch den Bachelor von sechs auf acht Semester erhöht - auch das soll jetzt mehr oder weniger die Regel sein. Ist das auch in Ihrem Sinne?
    "Gut, dass wir die Noten wieder aussagekräftig machen"
    Kempen: Mir hat nie eingeleuchtet, warum wir die Studiengänge in ein sechssemestriges Korsett pressen. Das war in der Anfangsphase der Bologna-Reform aber genau dies der Fall, und da ist es höchste Zeit, dass wir das liberalisieren und öffnen. Es gibt Studiengänge, da kann man einen Bachelor in sechs Semestern hinbekommen, aber es gibt auch sehr viele Studiengänge, wo die Fachleute sagen, das funktioniert nicht, da brauchen wir sieben oder acht Semester.
    Götzke: Bei einem anderen Punkt ist man ja mehr oder weniger direkt auf eine Kritik von Ihnen eingegangen: Die Noteninflation beziehungsweise die Bestnoteninflation, auch da soll etwas gegen getan werden, damit die Masterzulassung gerechter läuft, aber auch die Arbeitgeber einen klareren Eindruck bekommen sollen, mit der Bachelornote ausgewiesen werden, wie sich die Noten im Jahrgang der Universität verteilen. Ist das eine sinnvolle Maßnahme gegen Noten-, Bestnoteninflation?
    Kempen: Ich halte das für eine außerordentlich sinnvolle Maßnahme, denn auf diese Weise wird der Noteninflation wirksam vorgebeugt. Das ist nicht gut, wenn wir ganze Kohorten von Absolventen haben, die dann alle mit einer 1 oder einer 1,3 da stehen. Da sagt die Note dann nicht mehr wirklich viel aus über das eigentliche Leistungsvermögen. Die Noten sind aber eine Information für die Absolventen selbst, aber vor allen Dingen auch für Außenstehende, für den Arbeitsmarkt, für Kollegen und so weiter. Also ich glaube, da ist es gut, dass wir jetzt dahin kommen, dass wir die Noten wieder aussagekräftig machen.
    Götzke: Wird es auch das Verhalten von Professoren möglicherweise verändern, andere Noten zu geben und vielleicht auch mal eine 4 zu geben oder eine 3 zu geben, anstatt immer nur irgendwas zwischen 1 und 2?
    Kempen: Das hoffe ich doch. Also ich hoffe doch sehr darauf, dass alle Kolleginnen und Kollegen ersten faire und gerechte Noten geben und, dass sie dann auch sehr genau überlegen, wie ordne ich die Leistung in einem Spektrum von ungenügend bis ausgezeichnet, wie ordne ich diese Leistung da ein, wo muss ich sie exakt verorten. Und da könnte es hilfreich sein, wenn wir uns bewusst machen, was sagt das denn eigentlich aus, wenn wir eine Note "sehr gut" geben – liegt die dann über dem Durchschnitt oder ist "sehr gut" schon der Durchschnitt. Das kommt mir irgendwie widersinnig vor.
    "Wir haben schlichtweg in einigen Bereichen zu wenige Masterplätze"
    Götzke: Nun hat das Bachelorstudium, wie es heute läuft, je nachdem, wen man so fragt, keine so hohe Akzeptanz. Die meisten Studierenden, die wollen einen Master machen und auch die meisten Arbeitgeber oder viele Arbeitgeber wollen Masterabsolventen. Wird sich das durch diese Reformen, die ja geplant sind, ändern?
    Kempen: Das kann man im Moment noch nicht so einfach beantworten. Ich glaube, da müsste ja auch noch an einigen anderen Stellschrauben gedreht werden. Zum Beispiel daran, dass wir schlichtweg in einigen Bereichen zu wenige Masterplätze haben. Das ist jetzt nicht mit einer Reform des Bachelorstudiums herbeizuführen, sondern schlichtweg dadurch, dass den Universitäten mehr Geld für das Bereitstellen dieser Studienplätze zur Verfügung gestellt wird. Erst dann erreichen wir in diesen Fächern, etwa in der Betriebswirtschaftslehre, aber auch in der Psychologie, und in anderen harten Numerus-Clausus-Fächern eine stärkere Durchlässigkeit vom Bachelor- zum Masterstudium.
    Götzke: Aber würden Sie insgesamt sagen, dass das mit Reformen des Bachelorstudiums der Bachelor, so wie es ja geplant war, also zu einem Beruf hinführender Abschluss werden kann, wie es ja zumindest von vielen Arbeitgebern nicht mehr so oder noch nicht so erwartet wird?
    Kempen: Das wurde ja schon sehr früh, übrigens auch vom Deutschen Hochschulverband, prognostiziert, dass es eine Lebenslüge sein könnte, mit einem Bachelorabschluss nach sechs Semestern Berufsqualifikation zu erreichen, und wir haben nun in 16 Jahren Bologna-Reform erlebt, dass leider genau dies dann eingetreten ist. Wir haben in vielen Bereichen doch das Phänomen, dass die Bachelorabsolventen nicht am Arbeitsmarkt ankommen, sondern gewissermaßen notgedrungen auf Master weiterstudieren. Ich glaube, vor dieser Realität sollten wir nicht die Augen verschließen, sondern das genau so nehmen, wie es ist: Die jungen Menschen wollen eine höhere Qualifikation erreichen, weil sie sich davon versprechen, dass sie am Arbeitsmarkt besser ankommen.
    Götzke: Also da wird sich auch durch diese geplanten Reformen nichts ändern, sagen sie.
    Kempen: Ich fürchte, da wird sich dadurch nichts ändern.
    Götzke: Sagt Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes – im Großen und Ganzen begrüßt er die geplanten Reformen des Bachelorstudiums.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.