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Bolsonaro vor Amtsantritt
Zeitenwende in Brasilien?

In Brasilien tritt der neue Präsident Jair Bolsonaro am 1. Januar sein Amt an. Wie US-Präsident Donald Trump hält er wenig von Multilateralismus und Klimaschutz, predigt stattdessen "Brasilien first". Viele Konflikte zeichnen sich jetzt schon ab - die Chancen auf eine kohärente Politik sind gering.

Von Anne Herrberg |
    Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro in Brasilia
    Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro in Brasilia (AFP/ Evaristo Sa)
    An der Copacabana, Rios berühmtestem Strand, laufen schon die Vorbereitungen für die Silvesterfeier – wie immer gibt es ein gigantisches Feuerwerk, um das neue Jahr zu begrüßen. Doch bei diesem Jahreswechsel geht es um nichts weniger als eine Zeitenwende. Am 1.1.2019 beginnt die Präsidentschaft von Jair Bolsonaro.
    "Ich bin sehr glücklich. Dieses Land braucht einen radikalen Wandel", sagt ein Mann. "Einen, der hart durchgreift und aufräumt mit der Korruption und der Kriminalität. Ich hoffe, er wird das Land voranbringen und Gutes für uns Brasilianer tun, dafür bete ich."
    Für viele eine Art Messias
    Für Millionen ist Jair "Messias" Bolsonaro genau das: eine Art Messias, der das von einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise gebeutelte Land wieder auf die Beine stellt. Millionen anderer, auch im Ausland, sehen dagegen das Ende der Demokratie in der größten Nation Lateinamerikas heraufziehen. Eine Frau sagt:
    "Ich glaube, viele haben keine Ahnung, was auf uns zukommt mit Bolsonaro, ich bin sehr beunruhigt. Wie er über Frauen und Schwule redet! Und dann seine Idee, den Waffenbesitz freizugeben, macht mir Angst, das führt zu noch mehr Gewalt."
    Rassist, Frauenfeind, Diktaturverherrlicher
    Was kommt auf Brasilien zu? Bolsonaro - Rassist, Diktaturverherrlicher, Frauenfeind und Schwulenhasser - gab sich nach der Wahl zunächst versöhnlich. Nur um darauf wieder gegen alles zu hetzen, was nur den Anschein von links und alternativ hat.
    Sein Slogan: "Brasil encima de tudo, Deus encima de todos". Gott und die Nation über alles, die traditionelle Familie als Hort der Moral, das Militär als Hüter der Ordnung. In diese Linie muss man sich auch sein zukünftiges Kabinett vorstellen. Der Außenminister will mit dem sogenannten kulturellen Marxismus brechen, der Bildungsminister die Lehrpläne von vermeintlich linker Ideologie befreien.
    Für Frauen, Familie und Menschenrechte ist eine evangelikale Predigerin zuständig, die nichts von Gleichberechtigung hält, und auf dem Posten des Justizministers sitzt ausgerechnet der Richter, der Ex-Präsident Lula, Bolsonaros größten Kontrahenten, ins Gefängnis brachte: Sergio Moro.
    "Meine Motive, den Posten zu akzeptieren? Es klingt seltsam, das sagen zu müssen, aber ich sehe den zukünftigen Präsidenten nicht als Gefahr für die Demokratie."
    Der brasilianische Ermittlungsrichter Sergio Moro bei einem Anti-Korruptionsforum in Sao Paulo - hinter ihm ein Plakat mit der Aufschrift "Maos Limpas - Lava Jato"."
    Der brasilianische Ermittlungsrichter Sergio Moro wird Justizminister im Kabinett Bolsonaro (imago / Marcelo Chello)
    Die Rolle des Militärs
    Die Frage ist, was bedeutet Demokratie für die Regierung eines Ex-Armeehauptmannes, in der ein halbes Dutzend weitere Militärs sitzen? Männer, für die der Putsch von 1964 ein Akt der Verteidigung von Brasiliens Demokratie war. Gefährlich, sagt Oliver Stünkel von der Getulio Vargas Stiftung:
    "Die Vergangenheitsbewältigung hat unter den Militärs gar nicht stattgefunden. Und das ist insofern wichtig, als – sollte es in den nächsten Jahren zu Instabilität führen – viele Militärs sagen werden: Na gut, in dieser Situation müssen wir wieder eine wichtige Rolle spielen."
    Konservative Werte und Nationalismus auf der einen Seite – wirtschaftliche Freiheit auf der anderen. Um Brasiliens krisengebeutelte Ökonomie soll sich in Zukunft der Banker Paulo Guedes kümmern, ein Chicago-Boy, getreuer Anhänger der Ideen von Milton Friedmann:
    "Wir werden Brasiliens Industrie wieder auf Wachstumskurs bringen, mit Hilfe niedriger Zinsen, einer Steuerreform und dem Abbau von bürokratischen Hürden."
    Konflikte zeichnen sich ab
    Er will alles privatisieren, selbst den prestigeträchtigen halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras. Und er will endlich das vor dem Kollaps stehende Rentensystem reformieren. Damit holte Guedes die konservative Wirtschaftselite ins Bolsonaro-Boot. Recht wenig dürften von solchen Ideen dagegen die nationalistisch eingestellten und von Privilegien verwöhnten Militärs halten – schließlich gehören sie zu den größten Nutznießern des jetzigen Systems.
    Auch sonst zeichnen sich jede Menge Konflikte ab – allen voran im Bereich Klimapolitik. Bisher spielte Brasilien da eine zentrale Rolle, als Bindeglied zwischen Industriestaaten und Schwellenländern. Die neue Führung hält die Erderwärmung dagegen für eine marxistische Verschwörungstheorie. Bolsonaro:
    "Wir werden Änderungen des Pariser Abkommens vorschlagen. Wenn es nicht geändert wird, treten wir aus. Viele wichtige Länder haben es nicht unterzeichnet, warum sollte Brasilien politisch korrekt sein und sich einem Abkommen unterordnen, dass unsere Souveränität infrage stellen könnte."
    "Brasilien first"
    Die für November 2019 geplante Klimakonferenz in Brasilien hat Bolsonaro schon mal abgesagt. Vom Schutz des Amazonas-Regenwaldes hält er noch weniger als vom Multilateralismus – Ökonomen fürchten, dass sich Brasilien damit zunehmen isoliert, Umweltschützer und Indigene fürchten um die grüne Lunge der Welt, schon jetzt hat die Abholzung am Amazonas in alarmierendem Maße zugenommen. Bolsonaro, der mächtig stolz auf seinen Spitznamen "Tropen-Trump" ist, predigt dagegen "Brasilien first" und sucht den Schulterschluss mit den USA. Stünkel:
    "Es geht hauptsächlich darum, nach innen zu projizieren, dass diese Regierung der Trump-Regierung sehr ähnlich ist, ohne dass überhaupt klar ist, was Brasilien eigentlich von den Vereinigten Staaten will. Ich glaube, es ist vielen in der Bolsonaro-Regierung nicht klar, dass natürlich eine Öffnung des amerikanischen Marktes für brasilianische Produkte sehr unwahrscheinlich ist."
    Verkohlte Bäume und Rauch aufgrund Brandrodung im tropischen Regenwald in Brasilien.
    Verkohlte Bäume und Rauch nach einer Brandrodung im tropischen Regenwald in Brasilien: Die Abholzung am Amazonas hat in alarmierendem Maße zugenommen (picture alliance / M. Edwards)
    Allen wird es Bolsonaro nicht recht machen können
    Als große Agrarproduzenten konkurrieren die beiden um Märkte. US-Außenminister Pompeo, der zu Bolsonaros Amtsantritt reist, will mit dem Brasilianer daher vor allem über eines sprechen: Chinas Einfluss in der Region. Das größte Land Lateinamerikas ist Nebenschauplatz des Zollkonfliktes mit Peking. Brasiliens Sojaexporteure profitieren – ohnehin ist die Volksrepublik größter Handelspartner. Sie zu brüskieren, kann sich die neue Regierung in Brasilia nicht leisten – umso weniger, als sie zur Reform der maroden Wirtschaft auf Geld aus Peking und die Unterstützung der mächtigen Agrarlobby angewiesen ist. Allen wird Bolsonaro es nicht recht machen können, meint Oliver Stünkel von der Getulio-Vargas-Stiftung:
    "Das wird auch so passieren, dass diese bestimmten Strömungen oft über die Presse agieren und versuchen werden, gegen andere Machtzentren Druck zu machen und sehr wenig kohärente Politik stattfinden wird."
    Dabei ist es genau das, was Bolsonaros Wähler von ihm fordern werden: Radikale Entscheidungen und vor allem schnelle Ergebnisse.