Nahles: Guten Morgen Herr Breker.
DLF: Kann man Völkermord und ethnische Vertreibung in Europa zulassen? Was ist Ihre Meinung?
Nahles: Nein, aber ich wehre mich dagegen, daß nur die, die für die Bombardements sind, dieses Ziel auch tatsächlich verfolgen, während diejenigen, die sagen, man muß jetzt eine politische Lösung auf den Weg bringen, diesem Ziel entgegenstehen. Das ist nämlich falsch.
DLF: Nun weiß man inzwischen, daß – noch während in Rambouillet verhandelt wurde – die von langer Hand geplante serbische Offensive gegen die Albaner im Kosovo begonnen hat. Ziel war die ethnische Säuberung des Kosovos. Was wäre denn aus Ihrer Sicht die Alternative zur Umsetzung der militärischen Drohungen der NATO gewesen?
Nahles: Ich glaube, daß es hier tatsächlich ein Dilemma gegeben hat, wobei ich mir diesen Vertrag von Rambouillet jetzt durchgelesen habe, den kann man nämlich im Internet bekommen. Und ich glaube - wenn man den liest und sich insbesondere die militärischen Auflagen durchliest -, daß die Verhandlungsspielräume dort nicht voll ausgenutzt worden sind, so daß also für mich – der jetzt nicht beteiligt war – natürlich die sehr schwerwiegende Situation da ist, zu sagen: Wie hätte man was machen können. Nur: Das Ergebnis Rambouillet – so wie es uns überall erzählt wird – ist aus meiner Position diplomatisch nicht ausgereizt gewesen. Insoweit glaube ich, daß zumindestens hier bereits im Vorfeld eine höhere Chance bestanden hätte, diese Eskalation durch Bomben zu verhindern.
DLF: Nun ist diese Chance vertan. Verteidigungsminister Rudolf Scharping erwartet von dem Parteitag am kommenden Montag eine klare Unterstützung der Regierungslinie im Kosovo-Konflikt. Wird er sie - aus Ihrer Sicht - bekommen?
Nahles: Es ist relativ schwierig einzuschätzen, wie hier die Basis reagiert. Wir haben unterschiedliche Rückmeldungen, und ich glaube, daß generell hohe Bereitschaft da ist, die Regierungslinie zu unterstützen, weil man auf der einen Seite natürlich die Verbrechen von Milosevic gerne möglichst bald beendet wissen will. Nur mehren sich halt auch hier in der SPD die Zweifel, ob die Bombardements dieses Ziel tatsächlich erreicht haben in der Vergangenheit und auch in Zukunft erreichen können. Und diese Zweifel – ich finde, die sollten ganz sachlich auch zum Ausdruck gebracht werden. Und es gibt ja auch die Möglichkeit zu sagen – Egon Bahr hat das vorgeschlagen –: Wir machen 48 Stunden dieses Moratorium, wir gehen in die Verhandlungen rein, wir versuchen hier, auch Bedingungen zu verhandeln. Wenn das alles nicht ernst genommen wird von Milosevic, haben wir immer noch die Option, hier militärisch weiterzumachen. Also ich denke, man muß – mittlerweile ist es klar – zu einer politischen Lösung jetzt auch von Seiten NATO mal einen Anfang machen. Ein bloßes Weiterbombadieren ist für viele Sozialdemokraten einfach nicht der goldene Weg.
DLF: Die Bundesrepublik steckt im Bündnis. Sie ist dort gefordert. Wäre nicht eigentlich alles andere als eine Unterstützung der Regierungslinie eine unverantwortliche Schwächung dieser Regierung Schnöder.
Nahles: Nein. Sehen Sie, die Italiener haben auch im Parlament eine eigene Position vertreten. Sie haben hier auch deutlich gemacht, daß sie Bomben für kaum vereinbar halten bzw. die Lösung hier nicht sehen. Ich denke, wenn wir auf dem Parteitag mit Mehrheit beschließen würden: Wir wollen den humanitären Korridor, der durch UNO-Truppen abgesichert wird, das heißt, wir wollen hier keine reine Lösung, die eben ohne Militär hier glaubt, einen Milosevic irgendwo in die Kontrolle zu kriegen – das glauben wir ja auch nicht – aber wir wollen Schritte hin zu einer politischen Lösung: Humanitärer Korridor, Balkankonferenz, so ähnliche Ergebnisse wie in Dayton usw.. Dieses kann im Prinzip nur eines heißen: Die SPD-Regierung wird innerhalb der NATO aufgefordert, eine stärkere Rolle einzunehmen – hin zu einer politischen Lösung, auch innerhalb der NATO das Gewicht zu verlagern: Daß wir da also aktiv werden, daß wir eine Vermittlerrolle einnehmen, daß wir da Druck machen. Das muß ja nicht unbedingt heißen, daß diese Bundesregierung deswegen instabiler Partner für die NATO geworden ist.
DLF: Frau Nahles, Sie haben diesen humanitären Korridor angesprochen. Würde man ihn errichten, dann heißt das doch nichts anderes, als Bodentruppen. Und das ist doch illusorisch im Moment, oder nicht?
Nahles: Also, ich kann mir eine Situation vorstellen nach einer klaren Festlegung von Schritten hin zu einer politischen Lösung – so ist das in Bosnien auch gewesen –, wo dann Ergebnisse dieser Verhandlungen auch von SFOR-Truppen eben abgesichert werden, oder UNO-Truppen. Das ist für mich im Prinzip eine Frage, die auch ausgehandelt werden muß. Es müssen internationale Truppen unter Führung der UNO sein. Und dann machen eben auch solche Truppen Sinn. In ein aktuelles Kriegsgeschehen einzugreifen mit Bodentruppen in der jetzigen Form, ohne Zielkorridor für eine politische Lösung – auch von der Seite Milosevics – ist im Prinzip die Steigerung des Risikos für alle Beteiligten, und es würde nach meiner Auffassung auch eine weitere Eskalation bedeuten, wo ich nicht weiß, wie wir den Sack irgendwo wieder zugebunden kriegen. Insoweit ist die Frage, ob wir hier wirklich im Kriegsgeschehen Bodentruppen einsetzen, das halte ich für falsch, oder ob wir im Rahmen einer Friedenslösung nachher ein Friedensmodell absichern, wie das in Bosnien der Fall gewesen ist. Das ist eine andere Geschichte, das hat funktioniert.
DLF: So, wie es ja eigentlich auch im Vertrag von Rambouillet festgeschrieben ist. In Rambouillet festgeschrieben ist auch das Ziel, das politische Ziel, nämlich der Autonomie-Status für den Kosovo. Ist das aus Ihrer Sicht eigentlich heute noch realistisch?
Nahles: Also, ich habe ein grundsätzliches Problem damit, wenn diese ethnischen Konflikte dazu führen, daß Kleinststaaten, die wirtschaftlich überhaupt nicht überlebensfähig sind, daraus entstehen. Und dieses ist nicht nur auf den Kosovo bezogen, sondern das betrifft auch andere Krisenregionen. Das ist auf Dauer dann eben auch keine Stabilität in der Region, weil: Wie könnte der Kosovo überhaupt wirtschaftlich existieren? Er würde möglicherweise sogar die angrenzenden Staaten Makedonien und Albanien noch weiter in Probleme reinbringen, weil dort ohnehin instabile oder junge Staatengebilde existieren und möglicherweise die Albanier eine Vereinigung mit diesem Kosovo anstreben würden. Das liegt ja alles auf der Hand. Insoweit ist das insgesamt eine problematische Lösung. Ich glaube aber, daß es in einer Übergangsfrist eine Situation geben wird, wo im Kosovo eben – abgesichert durch internationale Truppen – praktisch eine Rückführung der Kosovo-Flüchtlinge nur erfolgen kann, wenn auch die Grenzen gegen die Serben durch Friedenstruppen abgesichert werden.
DLF: Frau Nahles, die NATO plant offenbar, NATO-Soldaten in der Größenordnung von 10.000 Mann nach Tirana, nach Albanien, zu verlegen. Deutsche Soldaten sollen dabei sein. Findet das Ihre Zustimmung?
Nahles: Ja, ich bin also an dem Punkt wieder vor die Frage gestellt: Was ist jetzt eigentlich das mittelfristige Ziel von dieser Aktion? Ich habe das Gefühl, daß auch hier eine 'Salami-Taktik' möglicherweise dahinter steckt, nämlich daß man jetzt schrittchenweise durch die Hubschrauber, die dort stationiert werden, dann durch die jetzt weiteren Bodentruppen, hier versucht, eine mögliche Implementierung von Bodentruppen dann letztendlich doch durchzusetzen. Das fände ich eine sehr negative Entwicklung; ich habe das eben schon begründet. Ich glaube, daß es dafür auch keine Akzeptanz gibt zur Zeit, und daß dafür sowieso der Deutsche Bundestag einen neuen Beschluß fassen müßte. Insoweit stellt sich für mich die Frage, was man damit eigentlich bezwecken will, oder will man diese Truppen jetzt dazu nutzen, eine Friedenslösung irgendwie schon vorzubereiten. Dann wäre mir allerdings lieb, wenn wir das vorher erkennen könnten auch öffentlich, daß es eben solche politischen Initiativen jetzt auf Seiten der Bundesregierung gibt.
DLF: Vielen Dank. Das war in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk Andrea Nahles. Sie ist Vorsitzende der Jungsozialisten und Mitglied im Parteivorstand der SPD.
DLF: Kann man Völkermord und ethnische Vertreibung in Europa zulassen? Was ist Ihre Meinung?
Nahles: Nein, aber ich wehre mich dagegen, daß nur die, die für die Bombardements sind, dieses Ziel auch tatsächlich verfolgen, während diejenigen, die sagen, man muß jetzt eine politische Lösung auf den Weg bringen, diesem Ziel entgegenstehen. Das ist nämlich falsch.
DLF: Nun weiß man inzwischen, daß – noch während in Rambouillet verhandelt wurde – die von langer Hand geplante serbische Offensive gegen die Albaner im Kosovo begonnen hat. Ziel war die ethnische Säuberung des Kosovos. Was wäre denn aus Ihrer Sicht die Alternative zur Umsetzung der militärischen Drohungen der NATO gewesen?
Nahles: Ich glaube, daß es hier tatsächlich ein Dilemma gegeben hat, wobei ich mir diesen Vertrag von Rambouillet jetzt durchgelesen habe, den kann man nämlich im Internet bekommen. Und ich glaube - wenn man den liest und sich insbesondere die militärischen Auflagen durchliest -, daß die Verhandlungsspielräume dort nicht voll ausgenutzt worden sind, so daß also für mich – der jetzt nicht beteiligt war – natürlich die sehr schwerwiegende Situation da ist, zu sagen: Wie hätte man was machen können. Nur: Das Ergebnis Rambouillet – so wie es uns überall erzählt wird – ist aus meiner Position diplomatisch nicht ausgereizt gewesen. Insoweit glaube ich, daß zumindestens hier bereits im Vorfeld eine höhere Chance bestanden hätte, diese Eskalation durch Bomben zu verhindern.
DLF: Nun ist diese Chance vertan. Verteidigungsminister Rudolf Scharping erwartet von dem Parteitag am kommenden Montag eine klare Unterstützung der Regierungslinie im Kosovo-Konflikt. Wird er sie - aus Ihrer Sicht - bekommen?
Nahles: Es ist relativ schwierig einzuschätzen, wie hier die Basis reagiert. Wir haben unterschiedliche Rückmeldungen, und ich glaube, daß generell hohe Bereitschaft da ist, die Regierungslinie zu unterstützen, weil man auf der einen Seite natürlich die Verbrechen von Milosevic gerne möglichst bald beendet wissen will. Nur mehren sich halt auch hier in der SPD die Zweifel, ob die Bombardements dieses Ziel tatsächlich erreicht haben in der Vergangenheit und auch in Zukunft erreichen können. Und diese Zweifel – ich finde, die sollten ganz sachlich auch zum Ausdruck gebracht werden. Und es gibt ja auch die Möglichkeit zu sagen – Egon Bahr hat das vorgeschlagen –: Wir machen 48 Stunden dieses Moratorium, wir gehen in die Verhandlungen rein, wir versuchen hier, auch Bedingungen zu verhandeln. Wenn das alles nicht ernst genommen wird von Milosevic, haben wir immer noch die Option, hier militärisch weiterzumachen. Also ich denke, man muß – mittlerweile ist es klar – zu einer politischen Lösung jetzt auch von Seiten NATO mal einen Anfang machen. Ein bloßes Weiterbombadieren ist für viele Sozialdemokraten einfach nicht der goldene Weg.
DLF: Die Bundesrepublik steckt im Bündnis. Sie ist dort gefordert. Wäre nicht eigentlich alles andere als eine Unterstützung der Regierungslinie eine unverantwortliche Schwächung dieser Regierung Schnöder.
Nahles: Nein. Sehen Sie, die Italiener haben auch im Parlament eine eigene Position vertreten. Sie haben hier auch deutlich gemacht, daß sie Bomben für kaum vereinbar halten bzw. die Lösung hier nicht sehen. Ich denke, wenn wir auf dem Parteitag mit Mehrheit beschließen würden: Wir wollen den humanitären Korridor, der durch UNO-Truppen abgesichert wird, das heißt, wir wollen hier keine reine Lösung, die eben ohne Militär hier glaubt, einen Milosevic irgendwo in die Kontrolle zu kriegen – das glauben wir ja auch nicht – aber wir wollen Schritte hin zu einer politischen Lösung: Humanitärer Korridor, Balkankonferenz, so ähnliche Ergebnisse wie in Dayton usw.. Dieses kann im Prinzip nur eines heißen: Die SPD-Regierung wird innerhalb der NATO aufgefordert, eine stärkere Rolle einzunehmen – hin zu einer politischen Lösung, auch innerhalb der NATO das Gewicht zu verlagern: Daß wir da also aktiv werden, daß wir eine Vermittlerrolle einnehmen, daß wir da Druck machen. Das muß ja nicht unbedingt heißen, daß diese Bundesregierung deswegen instabiler Partner für die NATO geworden ist.
DLF: Frau Nahles, Sie haben diesen humanitären Korridor angesprochen. Würde man ihn errichten, dann heißt das doch nichts anderes, als Bodentruppen. Und das ist doch illusorisch im Moment, oder nicht?
Nahles: Also, ich kann mir eine Situation vorstellen nach einer klaren Festlegung von Schritten hin zu einer politischen Lösung – so ist das in Bosnien auch gewesen –, wo dann Ergebnisse dieser Verhandlungen auch von SFOR-Truppen eben abgesichert werden, oder UNO-Truppen. Das ist für mich im Prinzip eine Frage, die auch ausgehandelt werden muß. Es müssen internationale Truppen unter Führung der UNO sein. Und dann machen eben auch solche Truppen Sinn. In ein aktuelles Kriegsgeschehen einzugreifen mit Bodentruppen in der jetzigen Form, ohne Zielkorridor für eine politische Lösung – auch von der Seite Milosevics – ist im Prinzip die Steigerung des Risikos für alle Beteiligten, und es würde nach meiner Auffassung auch eine weitere Eskalation bedeuten, wo ich nicht weiß, wie wir den Sack irgendwo wieder zugebunden kriegen. Insoweit ist die Frage, ob wir hier wirklich im Kriegsgeschehen Bodentruppen einsetzen, das halte ich für falsch, oder ob wir im Rahmen einer Friedenslösung nachher ein Friedensmodell absichern, wie das in Bosnien der Fall gewesen ist. Das ist eine andere Geschichte, das hat funktioniert.
DLF: So, wie es ja eigentlich auch im Vertrag von Rambouillet festgeschrieben ist. In Rambouillet festgeschrieben ist auch das Ziel, das politische Ziel, nämlich der Autonomie-Status für den Kosovo. Ist das aus Ihrer Sicht eigentlich heute noch realistisch?
Nahles: Also, ich habe ein grundsätzliches Problem damit, wenn diese ethnischen Konflikte dazu führen, daß Kleinststaaten, die wirtschaftlich überhaupt nicht überlebensfähig sind, daraus entstehen. Und dieses ist nicht nur auf den Kosovo bezogen, sondern das betrifft auch andere Krisenregionen. Das ist auf Dauer dann eben auch keine Stabilität in der Region, weil: Wie könnte der Kosovo überhaupt wirtschaftlich existieren? Er würde möglicherweise sogar die angrenzenden Staaten Makedonien und Albanien noch weiter in Probleme reinbringen, weil dort ohnehin instabile oder junge Staatengebilde existieren und möglicherweise die Albanier eine Vereinigung mit diesem Kosovo anstreben würden. Das liegt ja alles auf der Hand. Insoweit ist das insgesamt eine problematische Lösung. Ich glaube aber, daß es in einer Übergangsfrist eine Situation geben wird, wo im Kosovo eben – abgesichert durch internationale Truppen – praktisch eine Rückführung der Kosovo-Flüchtlinge nur erfolgen kann, wenn auch die Grenzen gegen die Serben durch Friedenstruppen abgesichert werden.
DLF: Frau Nahles, die NATO plant offenbar, NATO-Soldaten in der Größenordnung von 10.000 Mann nach Tirana, nach Albanien, zu verlegen. Deutsche Soldaten sollen dabei sein. Findet das Ihre Zustimmung?
Nahles: Ja, ich bin also an dem Punkt wieder vor die Frage gestellt: Was ist jetzt eigentlich das mittelfristige Ziel von dieser Aktion? Ich habe das Gefühl, daß auch hier eine 'Salami-Taktik' möglicherweise dahinter steckt, nämlich daß man jetzt schrittchenweise durch die Hubschrauber, die dort stationiert werden, dann durch die jetzt weiteren Bodentruppen, hier versucht, eine mögliche Implementierung von Bodentruppen dann letztendlich doch durchzusetzen. Das fände ich eine sehr negative Entwicklung; ich habe das eben schon begründet. Ich glaube, daß es dafür auch keine Akzeptanz gibt zur Zeit, und daß dafür sowieso der Deutsche Bundestag einen neuen Beschluß fassen müßte. Insoweit stellt sich für mich die Frage, was man damit eigentlich bezwecken will, oder will man diese Truppen jetzt dazu nutzen, eine Friedenslösung irgendwie schon vorzubereiten. Dann wäre mir allerdings lieb, wenn wir das vorher erkennen könnten auch öffentlich, daß es eben solche politischen Initiativen jetzt auf Seiten der Bundesregierung gibt.
DLF: Vielen Dank. Das war in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk Andrea Nahles. Sie ist Vorsitzende der Jungsozialisten und Mitglied im Parteivorstand der SPD.
