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Bombenanschlag auf die britische Premierministerin Margaret Thatcher

In den frühen Morgenstunden des 12.Oktober 1984 zerreißt eine mächtige Explosion die nächtliche Stille im englischen Seebad Brighton:

Von Monika Köpcke | 12.10.2004
    Ich bin gerade beim Hotel gewesen. Es ist eines dieser schönen palastartigen viktorianischen Gebäude mit weißer Front. Vom fünften bis zum siebten Stock gähnt jetzt ein klaffendes Loch.

    Hunderte von Korrespondenten berichten sofort nach der Explosion vom Ort des Geschehens. Kein Wunder, schließlich machen Journalisten in sämtlichen Unterkünften des Seebades den Großteil der Gäste aus. Denn in dem Hotel, dessen Vorderfront nun in Schutt und Asche liegt, findet seit vier Tagen der alljährliche Parteitag der Konservativen statt. Das heißt, hier ist die gesamte britische Regierung samt ihrer Premierministerin Margaret Thatcher abgestiegen.

    Es war zwischen viertel vor drei und drei Uhr morgens. Ich weiß das, weil ich noch etwas zu Ende geschrieben habe. Als ich mich einem letzten Dokument zuwandte, kam es zur Explosion. Mein Mann war schon im Bett. Alle Fenster wurden zertrümmert und das Badezimmer schwer beschädigt.

    Diese Bombe markiert eine neue Dimension des nordirischen Terrors. Während die IRA sich bislang auf Straßenkämpfe mit stationierten britischen Soldaten beschränkte, trägt sie nun den Terror nach England. In einem IRA-Papier heißt es:

    Wenn in Belfast eine Bombe explodiert, erwähnen das die Nachrichten nicht einmal mehr. Wenn aber eine Bombe London trifft, bekommen wir internationale Schlagzeilen.

    Margaret Thatcher bleibt unverletzt. Die Attentäter lassen sie später in einer Stellungnahme wissen, dass sie immer Glück haben müsse - die IRA aber nur ein einziges Mal. Die Premierministerin hat auch das Glück, dass sie noch das Abendkleid von einem kurzen Ballbesuch am vorangegangenen Abend trägt. Denn dieser Umstand verhilft ihr zu einem Auftritt, den ein Biograf so beschrieben hat:

    Als die IRA das Grand-Hotel in Brighton in die Luft jagte, kam sie aus den Trümmern hervor, makellos im Abendkleid, Frisur und Make-up perfekt, kein Stäubchen, kein Kratzer, wie ein Phönix aus der Asche. Und während um sie herum Menschen schrieen, halbangekleidete Verletzte im Schock durch die trümmerübersäte Hotelhalle stürzten, blieb sie sachlich und kühl.

    Selbstdisziplin, Nüchternheit, Sauberkeit - gibt es ein Bild, das besser die Ideale der Eisernen Lady versinnbildlichen könnte? Fünf Menschen verlieren bei diesem Anschlag ihr Leben, dreißig werden verletzt. Für Margaret Thatcher ist das kein Grund, innezuhalten. In ihren Erinnerungen schreibt sie:

    Ich wusste, dass ich es mir nicht leisten konnte, mich von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Denn ich musste für den Tag, der vor mir lag, geistig und körperlich gewappnet sein. Ich hatte mich bereits fest entschlossen, meine Rede zu halten. Den Ratschlag, in die Downing Street zurückzukehren, lehnte ich entschieden ab.

    Bei aller Bestürzung - Margaret Thatcher hat die Chance erkannt, die ihr diese chaotische Nacht bietet. Denn steigende Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und gewalttätige Bergarbeiterstreiks lassen bei ihren Parteifreunden Zweifel aufkommen, ob sie die richtige Frau an Großbritanniens Spitze ist. Zwei Jahre zuvor konnte sie solche Zweifel mit dem Falkland-Krieg ausräumen, aus dem sie als strahlende Siegerin hervorging. Nun bietet der Auftritt nach dem Bombenanschlag wieder eine Chance, den Popularitätsverlust aufzuhalten. Dabei ist ihre Abschlussrede auf dem Parteitag nicht einmal herausragend.

    Doch ich wusste: Weitaus wichtiger als die Worte, die ich sagte, war die Tatsache, dass ich als Premierministerin die Rede halten konnte.

    Margaret Thatcher ist die richtige Frau für Großbritannien. Davon ist nach ihrer Abschlussrede auch der letzte Zweifler überzeugt. Nahezu acht Minuten lang bejubeln die Konservativen ihre Chefin mit stehenden Ovationen. Nur wenige Stunden ist es her, dass sie alle barfuss und im Schlafanzug in wilder Aufregung vor dem zerstörten Hotel herumliefen, während ihre Chefin aus den Trümmern auftauchte: Kühl, beherrscht und wie aus dem Ei gepellt. Wer kann sich schon solch einer Symbolkraft entziehen?