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Borderline-Störung

Wieder festen Boden unter den Füßen spüren, ruhig mal laut werden. Immer dienstags treffen sich Patienten der Asklepios Klinik Nord in Hamburg und proben das Spiel auf der Bühne. Ein willkommenes Freizeitangebot auch für die zwölf Frauen und sechs Männer auf der Borderline Station. Susanne - sie heißt in Wirklichkeit anders - ist seit einem halben Jahr in stationärer Behandlung und wird wohl noch mindestens drei Monate bleiben müssen.

Von Ulrich Neumann |
    " Ich habe in meinem häuslichen Umfeld, also bei meiner Familie, sehr viele Gewalterfahrungen gemacht und keine Unterstützung auch von der Mutter erfahren, die sich nicht vor mich gestellt hat und mich nicht beschützt hat. Und den logischen Schluss, den ein Kind daraus zieht ist, dass es selbst schuld ist, wenn es von den Eltern so bestraft wird und das führt dazu, dass man ein sehr geringes Selbstwertgefühl aufbaut und das hat sich durchgezogen. "

    Dabei wirkt sie nach außen so selbstbewusst. Sie ist jung, sie ist hübsch und sie ist klug. Ihr Studium hat sie abbrechen müssen. Seit der Pubertät leidet sie unter Essstörungen, Depressionen und findet manchmal nur Ruhe, wenn sie sich betrinkt. Am schlimmsten aber ist, dass sie nicht in der Lage ist, normale zwischenmenschliche Beziehungen zu leben.

    " Bei mir geht das ganz schnell. Wenn ich jemanden kennen lerne, dass ich überhaupt nicht darüber nachdenke, ob das jetzt was wird oder nicht, sondern ich beschließe dann immer, dass der mein Retter ist, dass ich mit dem für den Rest meines Lebens zusammen sein muss, auch wenn ich ihn gerade erst zwei Tage kenne und ich stürz mich dann mit all meinen Gefühlen rein und bin dann zurück gewiesen worden und danach in ein totales Loch gefallen. "

    In solchen Krisen steht sie enorm unter Druck. Als letzter Ausweg bleibt ihr dann nur, sich selbst zu verletzen. Erst wenn sie sich in die Arme schneidet, spürt sie Erleichterung.
    " Ich spüre diese Erleichterung ganz stark wenn ich sehe, dass das Blut fließt und deswegen ist es wie so ein Zwang. Da hängt natürlich auch ganz viel dran, weil ich jetzt auch tief schneide. Ich muss das versorgen lassen, ich muss ins Krankenhaus zum Nähen und das hat dann auch noch den anderen Aspekt, dass man Leute hat, die sich um einen kümmern, dass man Fürsorge bekommt und das ist sicher auch ein wichtiger Aspekt. "

    Das Schneiden ist für den behandelnden Arzt nur ein oft wechselndes Symptom, das sich an anderen Tagen in rasenden Wutanfällen, einem maßlosen Selbsthass, Depressionen, Verfolgungswahn oder Essstörungen äußern kann. In der Therapie rücken all diese Symptome in den Hintergrund. Stattdessen konzentriert Dr. Birger Dulz sich auf die Beziehungsstörungen seiner Patienten.

    " Und das bedeutet, dass Patienten sich hier auf intensive Beziehungen einlassen müssen, also das, was sie im Prinzip scheuen, wie der Teufel das Weihwasser, das müssen sie hier riskieren, machen neue Beziehungserfahrungen und je mehr gute Beziehungserfahrungen sie machen und je intensiver diese sind, desto weniger relevant sind alte Beziehungserfahrungen im Hinblick auf Beziehungen, die sie dann mit einer hoffentlich größeren Zufriedenheit leben können. "

    Die Therapie ist kein geradliniger Weg des Erfolgs. Es gibt Therapieabbrüche und Rückfälle in vertraute Verhaltensmuster. Und so kommt es denn auch während der laufenden Therapie gelegentlich dazu, dass Patienten sich wieder selbst verletzen

    " Es gibt hier ein paar Regeln: Am Hals, im Gesicht dürfen sie nicht, sie tun es auch nicht. Sie dürfen auch nicht blutend über den Flur gehen. Sie müssen etwas drum wickeln. Sie müssen das Blut selbst wegmachen. Wir versuchen zu explorieren, warum die Selbstverletzung nötig war. Was wir nicht machen, wir suchen nicht nach Rasierklingen in den Zimmern oder sprechen irgendwelche Verbote aus, die wir erstens nicht kontrollieren können und die zweitens möglicherweise auch kontraproduktiv sind, denn selbst verletzendes Verhalten ist manchmal ein wesentlicher Akt der Selbstfürsorge, also eine Möglichkeit, nicht hoch suizidal zu sein und sich z.B. vor eine U Bahn zu werfen. "
    Susanne hatte zuletzt vor sechs Wochen eine Krise. Auf einem Freigang hat sie sich so mit Medikamenten betäubt, dass sie auf der Station notärztlich behandelt werden musste. Am schlimmsten war in den Tagen danach die Reaktion der Mitpatienten. Zwei Wochen lang hat keiner mehr mit ihr geredet. Sie hatte gegen die Regeln der Gruppe verstoßen.

    " Das war sehr wichtig, weil ich da gelernt habe, dass das, was ich tue, nicht nur mit mir was macht, sondern auch eine Außenwirkung hat und die anderen Leute eben mitkriegen, was mit mir passiert, sich Gedanken machen und dass es eben nicht nur meins ist, sondern dass ich immer darauf achten muss, was die anderen Leute darüber denken und wie sie das auch beeinflussen kann. "

    Susanne ist zuversichtlich. Sie möchte eine Berufsausbildung beginnen und später ihr Studium beenden. Sie ist auf einem guten Weg, meint ihr Arzt, denn sie bringt das mit, was Borderline Patienten brauchen: Den Mut, das eigene Leben verändern zu wollen.