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Boring Conference IV
Unterhaltsame Langeweile

In London fand am Wochenende die Boring Conference IV statt, die vierte Langweilige Konferenz. Sinn und Zweck war es, das Alltägliche, das Triviale und das Sinnlose zu feiern: mit Abhandlungen über Themen wie Niesen, Toaster oder die erste Generation der IBM-Kassen.

Von Ruth Rach | 02.06.2014
    Ein Mann baut am 30.11.2012 auf dem Großen Feldberg im Taunus (Hessen) auf dem Dach seines Autos - nach eigenen Angaben "aus Langeweile" - einen winzigen Schneemann.
    Aus Langeweile machen Menschen so einiges: Einen Schneemann bauen oder Konferenzen besuchen. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Von wegen Langweile. Die Teilnehmer der vierten "Boring Conference" sind viel zu animiert. Die Conway Hall in London ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Rund 400 Leute. Die meisten sind um die Dreißig, getupfte Retrokleider, knallige Hawaii-Hemden, kantige Brillen. Eine typische Twitter-Crowd, sagt Neill, der Geek rechts von mir. Das Event wurde über die Social Media verbreitet und war im Nu ausverkauft.
    Neill - von Beruf Personalmanager - war auch schon bei den letzten beiden Boring Conferences dabei. Nur die mit dem "milk tasting" hat er leider verpasst, da wurde Milch aus den Supermärkten verkostet. Zum Glück hat er wenigstens den Vortrag über die Geschichte des Haarföhns mitbekommen. Unvergesslich schwärmt Neill. Damit habe er seine Freunde noch monatelang gelangweilt.
    Die Bühne ist leer. Am Rand steht in Holzbuchstaben "Boring". Auf einer Leinwand im Großformat ein dröges Foto mit Vorstadtmotiv: Baum, Gartenmauer, Hausdach.
    "Alle Dinge sind interessant, wenn du ihnen Beachtung schenkst", sagt Robert, der Geek links von mir. Robert klingt wie ein Achtsamkeits-Guru, aber von Beruf ist er PR-Mann und Weinverkoster. Alles hängt von der richtigen Einstellung ab, sagt Robert: Du musst nur bis zum äuβersten Extrem des Langweiligen gehen.
    James Ward, Gründer der Boring Conference, grauer Anzug, graue Krawatte, Bubikopf, beginnt seinen Vortrag mit alten Auszügen aus der Fernsehshow "Wetten Dass". Deutsche Teenager müssen ihre tiefverhüllten Freunde am Bauchnabel erkennen. Die Zuschauer wiehern.
    Dann ein Blick auf Filmplakate via Power-Point-Projektion: englische Filmtitel in deutscher Übersetzung.
    Aus dem Originaltitel "Airplane" wird nicht etwa "Flugzeug", sondern eine epische Inhaltsangabe, die kaum Platz für die Fantasie übrig lässt: "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug."
    "The unbelievable journey in a crazy plane".
    Meine Nebensitzer checken ihre Handys: Die Twittergemeinde tobt vor Lachen.
    Alle zehn Minuten gibt’s einen neuen Vortrag. Die Themen reichen vom Hühnerei bis zum Eiswagen, vom Bücherregal des Musikers Eric Clayton bis zur Microsoft-Schriftart Comic Sais. Valerie Jameson, eine Wissenschaftlerin (lila Minirock, gelbes Rüschenblüschen) erzählt, wie Gras wächst und wie Farbe trocknet.
    Der Musiker Rhodri Marsden - schwarzer Samtanzug, Eierkopf - stellt eine komparative Studie der Nationalhymnen an.
    Ganz klar, wenn James Ward sein Publikum langweilen will, dann hat er sein Ziel spektakulär verfehlt. Aber was wäre eigentlich für ihn das ideale Konferenzergebnis?
    Dass die Leute mit einem geschärften Blick für die alltäglichen Dinge in ihre Umwelt zurückkehren, sagt James in der Pause. Für den Meister der Langeweile haben selbst Tätigkeiten wie Schlange stehen einen ungeheuren Reiz: wie sich Gruppenzugehörigkeiten bilden, wie in einer Schlange Distanz entsteht, und Nähe. "Du musst nur völlig präsent sein und neugierig."