Sonntag, 28. April 2024

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Boris Jelzin: Mitternachtstagebuch. Meine Jahre im Kreml

Von Jelzin zu Putin - Russlands Aufbruch zu neuen Ufern

Robert Baag | 12.03.2001
    "Bewegt man sich heute durch Russland, und zwar jenseits der Einzugsgebiete von Moskau und St. Petersburg, und möglichst auch jenseits regionaler Zentren und Provinzhauptstädte, dann will man nicht glauben, dass dieses Sammelsurium von Zivilisationstrümmern vor zehn Jahren noch als Weltmacht galt, ein Konglomerat von nichts Ganzem und nichts Halbem: schlammige Straßen, geborstene Fabriken, halbfertige Siedlungen, verkrümmte Bahnschienen, geflickte Dächer und verrammelte Fenster - Dörfer mit rührend anmutenden Holzhäuschen, ohne zentrale Wasserversorgung, mit primitiven sanitären Einrichtungen und daneben in endloser Anhäufung die Wohnsilos der Plattenbauten."

    Russland zu Beginn des 21. Jahrhunderts, beschrieben von Claus D. Kernig. "Lenins Reich in Trümmern", so der treffende Titel des bei DVA erschienenen Buches, in dem der Politikwissenschaftler Kernig die Frage zu beantworten versucht, warum Russland nicht vorankommt. Das letzte Kapitel der höchst informativen Studio ist überschrieben: "Der Weg in die falsche Zukunft." Der Wegbereiter in diese Zukunft war Boris Jelzin. Und Kernigs Urteil über Jelzin fällt vernichtend aus: Glaubwürdig an Jelzin sei nur seine Unglaubwürdigkeit geblieben.

    "Jelzin ist in seiner zweiten Amtszeit für die meisten Russen zu einem widerwärtigen Zeitgenossen geworden. Er hat gewissermaßen keine Gelegenheit ausgelassen, diesen Eindruck zu vertiefen. Seine Neigung zu Luxus, Prunk und eine Art monarchischer Hofhaltung, das Bedürfnis nach Wodka und Champagner, die gesundheitlichen Attacken, sein hochfahrendes Wesen mit der daraus resultierenden Unberechenbarkeit seiner Eingriffe in die Regierungspolitik, das alles zusammengenommen hat am Schluss seiner Präsidentschaft zu der Hektik geführt, mit der er ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten ernannte und wieder absetzte. Die einzigen, die im Effekt mit Jelzins Regiment zufrieden sein konnten, waren die Oligarchen; ihr Geschäft blühte weiterhin. Womit sie sich nicht abfinden mochten, das war das Erscheinungsbild Jelzins, denn dieses forderte zu einer Ablösung heraus."

    Die Ära Jelzin ist Geschichte. Und Jelzin selbst hat seine Geschichte geschrieben. Boris Jelzin: Mitternachtstagebuch. Meine Jahre im Kreml. Eine Rezension von Robert Baag.

    Still ist es geworden um Boris Jelzin, den ersten frei ge-wählten Präsidenten Russlands. Fast scheint es, als habe ihn die Versenkung unter der politischen Bühne verschluckt. Al-lenfalls dann, wenn er - wie erst jüngst - wieder einmal ins Krankenhaus eingeliefert wird, sorgt der russische Po-lit-Prominente im selbst proklamierten Ruhestand auch heute noch für Schlagzeilen, bringen Nachrichten-Agenturen Vor-rang-Meldungen, erinnert sich die Weltöffentlichkeit blitz-artig doch wieder an ihn: an jenen Jelzin, der am Silve-stertag 1999 einem Paukenschlag gleich, mit Sinn für Drama-turgie, Effekt und Theatralik seinen überraschenden Rückzug aus dem Alltagsgeschäft publikumswirksam inszeniert hatte:

    "Ich habe" - verkündete Jelzin der Nation - "diese Ent-scheidung getroffen, lange und quälend habe ich darüber nachgedacht." - "Heute", schließt er dann, "am letzten Tag des entschwindenden Jahr-hunderts, trete ich zurück."

    Der Vorhang fiel für Jelzin. Bühne frei für Wladimir Putin, seinen Kronprinzen, der - von den alten Machtstrukturen wohlpräpariert und abgefedert - das Ruder seines Mentors Jelzin ohne größeres Aufsehen übernahm: Beginn eines schlei-chenden Paradigmenwechsels in den russischen Staatsdingen oder doch nur neuer Wein in alten Schläuchen? - Als Primärquellen ersten Ranges gelten in der Historikerzunft die Autobiographien epocheprägender Figuren. Boris Jelzins in deutscher Übersetzung vorlie-gendes "Mitternachtstagebuch" gehört in die Kategorie sol-cher Veröffentlichungen. "Meine Jahre im Kreml" - so der Untertitel seiner knapp 400 Seiten umfassenden Arbeit. Sie behandelt im wesentlichen den Abschnitt zwischen 1995 und 1999, die Zeit also von Jelzins zweiter (und letzter) Prä-sidentschaft. Für diesen Erinnerungsband gilt ausdrücklich der handwerk-liche Grundsatz, der jeder historischen Analyse zugrunde liegen muss - das Gebot der Quellenkritik, die auch Primär-quellen wie Auskünfte in eigener Sache einschließt. Denn: Zwischen dem pensionierten Memoirenschreiber Jelzin und seinem früheren alter ego, dem Politiker Jelzin, gibt es mehr charakterliche, seine psychologische Struktur pla-stisch widerspiegelnde Übereinstimmungen, als man dies ur-sprünglich vielleicht hätte unterstellen wollen. Da ist einerseits seine vermeintliche Unerschrockenheit de-monstrierende Haltung des Chronisten in eigener Sache. Da-bei spricht er ohne weiteres auch Vorkommnisse an, die in der öffentlichen Wahrnehmung seinerzeit einen eher negati-ven Eindruck hinterlassen hatten. Zwei, drei Sätze weiter aber folgt in der Regel die Interpretation des Vorgangs, die nur selten - und dann offenbar fast widerwillig formu-liert - in eine Art von Entschuldigung gerinnt. Meist aber steht der Drang nach teils trotzig anmutender Rechtferti-gung im Vordergrund. Ein Beispiel im Zusammenhang mit Jelzins wohl tiefster po-litischer Krise, im Zusammenhang mit den beiden Tschetsche-nienkriegen:

    "Als Präsident beunruhigte mich der aufkeimende geopoliti-sche Separatismus, der Russland von innen zu zerreißen drohte. Ein weiterer schmerzlicher Aspekt des Tschetsche-nien-Krieges waren die Gefallenen. (...) Es war notwendig, die militärische Operation zu Ende zu führen, um noch schrecklichere Opfer zu verhindern. Bis heute werden jene, die für die Verteidigung der Heimat ge-fallen sind, betrauert. Doch unsere Verluste, so schreck-lich sie sind, haben auch eine moralische Wirkung. Mit je-dem Tag mehr wird die Gestalt des russischen Soldaten, der das Land und dessen Ordnung beschützt, zum starken, verei-nigenden Nationalsymbol."

    Ihn, Jelzin, habe also der aufkeimende Separatismus beunru-higt, ein Separatismus, den er aber selbst zu Beginn seiner Amtszeit ausdrücklich ermuntert hatte.

    "Nehmt Euch so viel Souveränität wie Ihr könnt!"

    Diese Jelzin´sche Devise beim Zusammenbruch der UdSSR Ende 1991 war auf fruchtbaren Boden gefallen, spielte eine wich-tige Rolle bei der finalen Implosion der Sowjetunion, des größten Binnen-Kolonial-Imperiums am Ende des 20. Jahrhun-derts. Aber: Noch während der ersten Tschetschenienkampagne, Mitte der 90er Jahre, distanzierte sich Jelzin - rhetorisch trickreich - von seinen eigenen Worten, versuchte den Geist aus der Flasche zu bannen, zurückzuholen:

    "Ich habe damals gesagt: Nehmt Euch soviel Souveränität wie Ihr könnt. - Aber: Im Wort 'könnt' ist ein sehr tiefer Sinn angelegt, eben: 'könnt"! - Nehmt nicht mehr als Ihr könnt. Sonst fliegt Ihr in die Luft - wie Tschetschenien."

    Jelzins Miene damals bei diesen Worten vor Journalisten im Kreml war bezeichnend: Ein unangenehm wirkender Ausdruck von Bauernschläue überzog plötzlich sein Gesicht. Seinen in der Umbruchzeit um des konjunkturgeschuldeten, populisti-schen Erfolges willen hinausposaunten Schnellschuss aus der Kreml-Optik als Fehler einzugestehen, vielleicht sogar zu bedauern, dazu fehlte Jelzin bis zum Schluss die Souveräni-tät. Und sie fehlt ihm - gemessen an den einschlägigen Aus-sagen in seinem Erinnerungs-Band - offenbar bis heute. Schlimmer noch: Wohlfeil wirken Jelzins eben zitierten Kurz-Reflexionen über Sinn, Unsinn und Unvermeidlichkeit militärischer Opfer. - Hätten er und alle seine Regierungen - spätestens nach dem ersten Tschetschenienkrieg - aktiv den Wiederaufbau der zerstörten Nordkaukasus-Republik be-fördert anstatt ihn zu behindern, hätte er sich diese Ge-danken gar nicht erst erneut machen müssen. Von dem depla-zierten Pathos einmal ganz abgesehen, mit dem er in diesem Zusammenhang die Symbolgestalt des russischen Soldaten be-schreibt - nicht wenige Angehörige jener verlausten, ver-dreckten, hungernden, vor Angst zitternden Rekruten, die von korrupten Generalen sinn- und erbarmungslos als Kano-nenfutter in den tschetschenischen Fleischwolf und in den Tod geschickt worden sind, nicht wenige dieser Hinterblie-benen werden sich von solchen Worten ihres ehemaligen Staatsoberhauptes abgestoßen fühlen, sehen sich in ihrem Kummer einmal mehr erniedrigt und beleidigt. Ein Stück Psychologie-Geschichte im Verbund mit den Herr-schaftsstrukturen im Jelzin´schen Russland, aber aufbauend darauf auch in der auf seinen Nachfolger Putin zugeschnit-tenen Kontinuität zentralistischer Machtausübung - Material für derlei gewinnbringende Erkenntnisse liefert Jelzins "Mitternachtstagebuch" in bemerkenswertem Umfang. Als hätten italienische Renaissance-Fürsten die Vorlagen geliefert, lesen sich jene Passagen, in denen Russlands Ex-Präsident die Machtkonstellationen beschreibt, die sich zu bilden und umzuformieren beginnen, als nach Jelzins erfolg-reich inszenierter Wiederwahl im Sommer 1996 ihm seine Herzbeschwerden zunehmend zu schaffen machen. Ihm wird klar: Das Haus für den Nachfolger muss bestellt werden. Die Folge: Regierungs-Chefs kamen und gingen, Minister wurden geheuert und gefeuert.

    Jelzin vermittelt hier immer den Eindruck, als sei er der-jenige gewesen, der stets die Zügel in der Hand gehabt habe. Sicher: Die Dokumente trugen letztlich seine Unter-schrift. Doch zu behaupten - wie dies in seinem Buch mehr-fach anklingt - seine, Jelzins, Richtlinienkompetenz habe jederzeit und umfassend die strategische Grundlinie der russischen Politik bestimmt, ist - vorsichtig formuliert - nur äußerst schwer nachzuvollziehen. Wer weiß? Vielleicht glaubt Jelzin ja wirklich allen Ern-stes selbst daran. Festzuhalten bleibt: Seine Minimalauf-tritte, seine physische und psychische Präsenz spätestens in der Endphase seiner Amtsverwesung sprechen dokumentier-bar eine deutlich andere Sprache. Verblüffend allerdings, wie er auch in seinen Memoiren - wohl unbewusst - das Urteil vieler zeitgenössischer Beobach-ter bestätigt, dass es eine Eigenart Jelzins gewesen ist, viele Menschen aus seiner Umgebung je nach Bedarf hochzulo-ben aber auch ohne Skrupel unversehens herabzuwürdigen. Ganz deutlich wird dieser Jelzin´sche Charakterzug etwa bei der Schilderung des in der Bevölkerung zwar weithin populä-ren, dabei aber keineswegs unumstrittenen Moskauer Bürger-meisters Jurij Lushkow. Immerhin hatten beide noch vor gar nicht langer Zeit ge-meinsam - als Verbündete - auf einem Wahlplakat posiert. Das Motiv war klar: Lushkow wollte sich gut stellen mit Jelzin, Punkte sammeln für dessen Nachfolge. Jelzin hinge-gen wollte einfach ein Stück abhaben von Lushkows Beliebt-heit bei den Moskauern. - Im Nachhinein liest sich die Summe Jelzin´scher Erkenntnisse über Lushkow im Lichte von dessen eigenen politischen Ambitionen dann allerdings so:

    "Das Lushkow-Modell des Kapitalismus implizierte keine Mei-nungsfreiheit, keine Freiheit der Ideen, keine Freiheit der politischen Konkurrenz. Es war ein Modell des ständischen, hyperbürokratischen Kapitalismus für die 'eigenen Leute'. Das andere Modell, das sowohl die Elite der russischen Ge-schäftswelt als auch die Mannschaft des Präsidenten an-strebten, war das der freien Marktwirtschaft - der Befrei-ung vom Diktat der Bürokratie und des Staates. Vor dieser Wahl stand das Land, ohne sich dessen möglicherweise bewusst zu sein."

    Hat es Jelzin eigentlich in den Ohren geklungen, als er diese Sätze zu Papier brachte? War das, was er seinem alten Mitstreiter Lushkow - im Ansatz übrigens weitgehend zu Recht ankreidet bzw. unterstellt - von der Realität im Lan-de, von der viel zitierten "russischen Wirklichkeit" so weit entfernt? Ganz sicher nicht. Nur: Genau und gerade da-für trug Boris Jelzin die oberste politische Verantwortung. Sein eigenes Modell, das in der Realität von seinen Lands-leuten mehrheitlich als viel negativer empfunden wird, den-noch so vollmundig zu loben - das klingt ganz einfach abge-hoben und schal. Denn es reicht schon, wenn man die zahl-reichen Ankündigungen des Jelzin-Lagers über die Jahre hin-weg mit dem bisher konkret Erreichten vergleicht. Etwas we-niger Selbstlob wäre deshalb angebracht angesichts der leicht bilanzierbaren wirtschafts- und sozialpolitischen Fehl- und Nichtentscheidungen während der Jelzin´schen Herrschaft. Hier hat eine Person der Zeitgeschichte für sich Bilanz ge-zogen, die von ihrer Sozialisation her zwangsläufig in den Denk- und Handlungs-Kategorien des Sowjetsystems verwurzelt ist, auch wenn sie - welch ironische Dialektik der Ge-schichte! - gerade zum Untergang dieses Systems überaus tat-kräftig beigetragen hat.

    Allen kolportagetaften Passagen im "Mitternachtstagebuch" zum Trotz, ungeachtet aller gattungsimmanenten Übertreibun-gen und Ausblendungen - Jelzins Memoirenband ist ein aussa-gekräftiges Dokument in der Reihe jener Augenzeugenbe-richte, die auch Nachgeborenen Auskunft geben können über die Bedingungen und Möglichkeiten politischen Handelns beim Zusammenbruch einer vermeintlich statisch-monolithischen Großmacht, die vordergründig verankert ist in einer religi-onsartig verfassten Staatsideologie. Brüche und Konstanten dieses Großmacht-Selbstverständnisses tauchen in Jelzins Selbstzeugnissen auf. Sie sind durchsetzt mit verblüffenden, dabei oft eindimensional schlicht argumentierenden Redewen-dungen. So wird etwa das ganze verzweifelt anmutende Ringen Russ-lands, mit trotzig-hilflosen Großmacht-Attitüden die eigenen Interessen während des Kosovo-Konflikts durchzusetzen, min-destens aber gebührend zu Gehör zu bringen, an dieser Stelle exemplarisch deutlich:

    "In der Nacht des 4. Juni 1999 hatte ich zu entschei-den, ob ich dem Plan unserer Militärs zustimmen sollte, eine Kolonne Luftlandetruppen zum Flughafen von Pristina zu verlegen."

    Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte, Jelzin sei von den sich von der NATO düpiert fühlenden russischen Genera-len erst dann in Kenntnis gesetzt worden, als der Marschbefehl an das russische Fallschirmjäger-Kontingent schon längst erteilt worden war. - Dazu aber kein Wort - vielmehr folgende Überlegung Jelzins:

    "War unsere Aktion notwendig? Ich schwankte lange. Sie war nicht ungefährlich, und wozu sollten wir auf diese Weise militärische Stärke demonstrieren? Dennoch entschied ich mich angesichts der totalen Obstruktion, die von der euro-päischen Öffentlichkeit betrieben wurde, dass Russland zu einer deutlichen Geste der Eigenständigkeit verpflichtet sei, mochte sie auch keinerlei militärische Bedeutung ha-ben. Es ging nicht um diplomatische Siege oder Niederlagen, sondern darum zu zeigen: Rußland hat sich moralisch nicht besiegen und sich nicht in den Krieg hineinziehen lassen. Das sollte der Militärmacht der NATO vor Europa und der ganzen Welt demonstriert werden. - Eine traurige Seite der Geschichte war umgeblättert. Für wie lange?"

    Antworten, die nun Jelzins Nachfolger im Amt finden muss - jedenfalls, wenn es um die russische Sicht der Dinge geht. Befriedigende Antworten auf die wiederholt in den Medien geäußerten Unterstellungen, wonach Jelzins Umgebung, die sogenannte "Familie", und/oder die berühmt-berüchtigten Oligarchen Jelzins Machtfülle zu kriminellen Machenschaften ausnutzten, in Korruption verwickelt seien, Antworten darauf werden in dem Buch zwar gegeben. Aber: Diese Passagen blei-ben oberflächlich, wiederholen längst bekannte dürre Demen-tis und langweilen schließlich ob ihrer inhaltlichen Dürf-tigkeit. Zu den interessanteren Beschreibungen hingegen gehört, wie Jelzin - will man ihm glauben - seinen Nachfolger Putin auserkoren hat. Fast rührend-naiv wird hier ein Bild des Nachfolgers entworfen, der dem Idealtypus eines rundherum vollkommenen Menschen und Politikers zu entsprechen scheint. Diese Stilblüte aber hat man offenbar vergessen aus dem Jelzin-Text herauszuredigieren:

    "Putin hat sehr interessante Augen. Es scheint, als sagten sie mehr als seine Worte."

    'Und was erzählen sie?' läge hier die spontane, aber zwangsläufig rhetorische Frage nahe. - Einstweilen kennen wir nach der Lektüre des jüngsten Bandes der Jelzin-Memoi-ren nur des greisen Präsidenten Motiv, ausgerechnet Putin auszuerwählen:

    "Ich wollte ihm sozusagen die 'Mütze des Monomach' überge-ben, das Symbol der alten russischen Selbstherrschaft. Er sollte mein politisches Vermächtnis übernehmen. Und so wollte ich durch seinen Wahlsieg dafür sorgen."

    Und mit Hilfe dieses Zitats haben wir nun erfahren, wie man im zeitgenössischen Russland Demokratie mit monarchisch-au-tokratischem Investitur-Gebaren mühelos in Einklang bringen kann. Erinnern wir uns: Auch um das Zustandekommen des russland-weiten komfortablen Wahlergebnisses für Wladimir Putin im Frühjahr 2000 wollen böse Gerüchte nicht verstummen. - "Honi soit, qui mal y pense" - "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt". Und genau dies möchten wir nach der Lektüre seiner Erinnerungen Boris Nikolajewitsch Jelzin dann doch in sei-nen mußespendenden Ruhestand zurufen.

    Robert Baag über Boris Jelzin: Mitternachtstagebuch. Meine Jahre im Kreml, Propyläen Verlag, Berlin - München 2000.