Donnerstag, 25. April 2024

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Bosbach: Steinbrück an politischer Lebensleistung bewerten

Peer Steinbrücks Bilanz als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen sei ernüchternd, sagt Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Die SPD befasse sich mit Steinbrück und seinen umstrittenen Nebeneinkünften. "Wir beschäftigen uns mit der Zukunft des Landes."

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.12.2012
    Friedbert Meurer: Guten Tag, Herr Bosbach, herzlich willkommen bei uns hier im Studio. Genau in diesen Minuten fängt der Parteitag der SPD in Hannover an. Sie haben den Parteitag vor wenigen Tagen abgeschlossen, ebenfalls in Hannover. Das spielt sich ja alles dort ab wegen der Landtagswahl in Niedersachsen im Januar. Angela Merkel ist mit 98 Prozent wiedergewählt worden. Vermutlich wird das auch ein bisschen die Marke sein, die man für Peer Steinbrück heranzieht. Ist das nicht so eine Art Wettbewerb, um "wer hat die besseren kubanischen Verhältnisse" in der Partei?

    Wolfgang Bosbach: Das spielt für die Journalistinnen und Journalisten sicherlich eine größere Rolle als für das breite Publikum. Jeder, der sich zur Wahl stellt, möchte gerne ein tolles Wahlergebnis haben, am liebsten 100 Prozent. Das schafft man in der Regel nicht. Alles, was über 90 Prozent ist, gilt schon als sehr gut. Angela Merkel hat ein überragendes Ergebnis erzielt. Aber machen wir uns nichts vor: Das spielt dann morgen in der Berichterstattung eine große Rolle, ab Dienstag interessiert es kaum noch einen.

    Friedbert Meurer: Aber es war das dominierende Signal des CDU-Parteitages in Hannover gewesen. Steckt denn da so in den Köpfen der Delegierten auch die Idee: Jetzt wollen wir es mal der SPD zeigen, dass die Hürde hoch liegt?

    Wolfgang Bosbach: Nein, wir möchten es in allererster Linie mal unserer Bundesvorsitzenden zeigen, die in einer sehr, sehr schwierigen Zeit – das gilt nicht nur für die Euro-Krise und Energiewende – einen hervorragenden Job macht, die die vorbehaltlose Unterstützung der Partei hat. Und man konnte ihr auch ansehen, dass ihr dieses Wahlergebnis richtig gut tut. Und sie hat es auch sich redlich erarbeitet und damit verdient.

    Friedbert Meurer: 98 Prozent – die Woche über ist die Rede gewesen von "Huldigungsparteitag", "Krönungsmesse". Die CDU ist wieder ein Kanzlerwahlverein? Wenn man mal festhält: Die Inhalte spielten eine geringere Rolle, sie spielten sich als Nebenthemen ab, ist die CDU doch ein Kanzlerwahlverein.

    Wolfgang Bosbach: Ja, die Enttäuschung war zu lesen, zu hören und auch im Fernsehen zu besichtigen. Da waren viele Beobachterinnen und Beobachter enttäuscht, dass wir uns nicht gestritten haben. Die Erwartung konnten wir nicht erfüllen, wir wollten sie auch nicht erfüllen. Wir sollten froh und glücklich sein, dass wir eine hervorragende Kanzlerin haben, eine Parteivorsitzende, die unangefochten ist. Bei anderen Parteien wäre man glücklich, wenn man solche Verhältnisse hätte. Und wir haben auch sehr lebhaft, sehr leidenschaftlich, zum Teil auch kontrovers über Sachfragen gestritten. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das einer Partei auch nicht schadet, weil bei vielen Themen auch es in der Bevölkerung unterschiedliche Auffassungen gibt. Warum soll man das nicht zeigen, dass das auch in einer Partei so ist. Aber die Debatte über Sachfragen, mag sie auch kontrovers geführt werden, ist doch kein Widerspruch zur großen Geschlossenheit bei Personalentscheidungen.

    Friedbert Meurer: Wenn wir Journalisten richtig gezählt haben, gab es auf dem Parteitag eine einzige Wortmeldung zum Euro – vom ehemaligen sächsischen Finanzminister Georg Milbradt. Wie kann das sein?

    Wolfgang Bosbach: Das ist damit zu erklären, dass wir beim vorletzten Parteitag sehr, sehr lange, sehr, sehr intensiv über dieses Thema diskutiert haben. Auch damals hat Herr Milbradt zu diesem Thema sehr lange gesprochen, der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat darüber gesprochen. Da sich die Lage nicht grundsätzlich geändert hat – warum sollte man jetzt auf dem Bundesparteitag in Hannover die Debatte noch einmal führen ...

    Friedbert Meurer: ... weil es das entscheidende große und wichtige Thema ist ...

    Wolfgang Bosbach: ... ja, es gab aber aktuell nichts zu entscheiden. Wir hatten ja gerade wenige Tage zuvor die Hilfsmaßnahmen für Griechenland verabschiedet. Es lagen ja auch keine Beschlüsse vor, die man nun hätte unbedingt fassen müssen.

    Friedbert Meurer: Sind da 98 Prozent der Delegierten einverstanden mit der Euro-Politik der Kanzlerin?

    Wolfgang Bosbach: Nein, ich selber habe ja auch im Bundestag die jüngsten Entscheidungen aus dem bekannten Grunde nicht zustimmen können, aber selbstverständlich Angela Merkel als Bundesvorsitzende gewählt. Das ist doch auch kein Widerspruch.

    Friedbert Meurer: Aber gehen wir mal davon aus, dass doch viele Mitglieder so denken – wie Umfragen zeigen – wie die Bevölkerung denkt, können dann wirklich 98 Prozent mit der Kanzlerin einverstanden sein? Wenn es da eine Euro-Abstimmung gegeben hätte, die wäre doch deutlich niedriger ausgefallen.

    Wolfgang Bosbach: Wir sind doch alle hin- und hergerissen, das gilt für die Bevölkerung, das gilt für die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag und auch in der CDU-CSU-Bundestagsfraktion. Ich habe allerdings keinen Zweifel daran, dass auf europäischer Ebene oder auf Ebene der Euro-Zone nichts anderes zu verabreden war als das, was Angela Merkel als Verhandlungsergebnis mit in den Deutschen Bundestag gebracht und uns zur Entscheidung vorgelegt hat. Das wiederum ändert nichts daran, dass ich der Überzeugung bin – auch aufgrund der Entwicklung in den letzten knapp drei Jahren –, dass wir die Probleme nicht grundlegend lösen und dass man eine Staatsschuldenkrise nicht damit dauerhaft lösen kann, indem man immer wieder den Schuldenberg vergrößert. Man kauft sich Zeit. Aber Griechenland fehlt es nicht an Hilfen, Griechenland fehlt es an Wirtschaftskraft, an Wettbewerbsfähigkeit, an einer leistungsfähigen effizienten Verwaltung und an flächendeckender Steuermoral, insbesondere der Wohlhabenden. Und das ändern wir durch immer neue Hilfen für Griechenland nicht grundlegend.

    Friedbert Meurer: Haben Sie den Eindruck, Herr Bosbach, dass die Reise jetzt in die eingeschlagene Richtung, nur noch in diese Richtung weitergehen kann, dass ein Umkehren gar nicht mehr möglich ist?

    Wolfgang Bosbach: Es würde mich jedenfalls wundern, denn in der Euro-Zone hat sich eine Art Rettungsroutine eingestellt. Und die Zahlen werden immer größer. Das führt allerdings nicht dazu, dass die Debatten auch länger werden. Im Gegenteil, bei den letzten Sitzungen haben wir nicht mehr so kontrovers und nicht mehr so emotional in der Fraktion debattiert, wie das in der Vergangenheit einmal der Fall war. Ich bezweifle im Übrigen auch nicht, dass wir uns mit den rund 44 Milliarden neue Hilfen, die es gibt, wiederum etwas Zeit kaufen. Allerdings sind doch die Prognosen, die man abgibt für das Wirtschaftswachstum in Griechenland, sehr, sehr optimistisch. Ich fürchte, dass sie zu optimistisch sind und dass wir uns in absehbarer Zeit wiederum mit dem Thema beschäftigen müssen – mit einem Ergebnis, was sich heute schon ahne.

    Friedbert Meurer: Dass Sie die Eurorettungspolitik als kritisch ansehen und in dieser Form ablehnen, ist bekannt. Nur – wenn man sieht: Eine Abstimmung geht aus wie die nächste: Beginnen Sie nicht, zu resignieren?

    Wolfgang Bosbach: Nein, überhaupt nicht. Ich vertrete meine Überzeugung, behaupte auch nicht, dass das, was ich sage, alternativlos ist. Alternativen gibt es immer. Aber ich habe auch dem ersten Rettungspaket für Griechenland zugestimmt, ich habe auch der EFS – der Etablierung, zugestimmt, weil ich damals der Einschätzung der Regierung geglaubt habe: Wir nehmen die hochverschuldeten Länder, die unter den Rettungsschirm schlüpfen wollten, plus Griechenland, für zwei oder drei Jahre vom Markt, die reformieren sich und sie kehren aus eigener wirtschaftlicher Stärke wieder an die Märkte zurück. Mittlerweile wissen wir aber, dass es zwar in einigen Ländern, zum Beispiel Portugal und Irland, beachtliche Fortschritte gibt, dass wir aber neue Problemstaaten dazubekommen haben. Und ich glaube nicht, dass es auf Dauer möglich sein wird, ohne strikte Haushaltsdisziplin, ohne die Einhaltung der Stabilitätskriterien von Maastricht. Alles ist völkerrechtlich noch in Kraft, aber in der politischen Praxis längst außer Kraft gesetzt. Wenn das so bleibt, glaube ich nicht, dass wir die Probleme dauerhaft lösen.

    Friedbert Meurer: Die Zahl der Kritiker in der Bundestagsfraktion scheint ja nicht zugenommen zu haben in den letzten Monaten oder in dem letzten Jahr. Woran liegt das?

    Wolfgang Bosbach: Das liegt daran, dass diejenigen, die gemeinsam mit der Regierung und anderen Regierungen der Euro-Zone den Rettungsweg einmal eingeschlagen haben, ihn auch konsequent weitergehen wollen.

    Friedbert Meurer: Liegt es auch daran, das man dem einen oder anderen sagt: Wenn du Karriere machen willst bei uns in der Fraktion, dann bitte – nur dann, wenn du den Kurs der Kanzlerin mitträgst. Andernfalls kannst Du hier nichts werden bei uns.

    Wolfgang Bosbach: Unterschätzen Sie bitte nicht, wie groß die Unterstützung auch in der Sache ist – und nicht, weil irgendwelcher Druck ausgeübt wird. Ich glaube, dass eine stabile Mehrheit der Fraktion diesen Kurs aus Überzeugung trägt. Dann gibt es die Kolleginnen und Kollegen, die wie ich den Weg nicht mitgehen können. Wir alle würden gerne mit der Mehrheit stimmen, aber ich kann nicht gegen meine Überzeugung abstimmen. Und dann gibt's auch noch eine Gruppe, die sagt: In der Sache haben die Kritiker wohl recht, aber aus Solidarität und Loyalität gehen wir mit.

    Friedbert Meurer: Dann wäre insgesamt schon ein Stimmungswechsel in der Fraktion festzumachen. Bislang hieß es: Alle stimmen mit geschlossener Faust in der Hosentasche. Und Sie sagen jetzt ...

    Wolfgang Bosbach: ... nein ...

    Friedbert Meurer: ... uns Sie sagen jetzt: Die Mehrheit tut es mit Überzeugung ...

    Wolfgang Bosbach: ... nach den Debatten in der Fraktion, nach der Stimmungslage, wie ich sie erlebe, ob nach Beifall, nach Wortbeiträgen und so weiter habe ich nicht das Gefühl, dass sich in den letzten eineinhalb Jahren die Lage grundlegend geändert hat, allerdings ist die Skepsis bei vielen gestiegen. Und dann schwingt immer auch das Prinzip Hoffnung ein bisschen mit, dass man darauf hofft, dass der Weg, den man jetzt eingeschlagen hat, schlussendlich auch den gewünschten Erfolg hat.

    Friedbert Meurer: Denken Sie, die derzeitige eingeschlagene Strategie kann aufgehen: Schuldenschnitt – echte Kosten für den Steuerzahler wird es erst nach der Bundestagswahl geben?

    Wolfgang Bosbach: Wir haben doch jetzt schon einen Schuldenschnitt, wir nennen ihn nur nicht so. Wir haben einen "Schuldenschnitt light". Wenn man die Zinsen senkt, dann entlastet man doch Griechenland auch zulasten der Steuerzahler, nicht indem wir zahlen, sondern indem wir doch erhebliche Mindereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe im Haushalt haben. Das ist schon ein Schuldenschnitt. Jeder weiß doch: Die Rückzahlung von Schulden besteht aus der Darlehnssumme plus Zinsen. Hier findet die Entlastung zunächst bei den Zinsen statt. Wenn wir zu der Darlehnssumme selber kommen, glaube ich nicht, dass es auf Dauer ohne Schuldenschnitt gehen wird. Ich würde mich freuen, wenn Griechenland doch ein stabiles Wirtschaftswachstum hätte mit der Folge von erheblichen Steuereinnahmen, die in der Vergangenheit nicht vorgelegen haben. Aber ich fürchte, dass das Thema eines Tages wieder auf die Tagesordnung kommen wird.

    Friedbert Meurer: Deutschlandfunk, Interview der Woche mit Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, CDU-Bundestagsabgeordneter. Im Moment hat der Parteitag der SPD begonnen in Hannover. Peer Steinbrück wird zum Kandidaten gewählt. Würden Sie sich insgeheim wünschen, in der SPD sagt mal "nein" im Bundestag zu den Rettungsplänen?

    Wolfgang Bosbach: Ich hoffe, dass jede Kollegin und jeder Kollege im Bundestag, völlig unabhängig, welcher Partei oder Fraktion er angehört, für das die Hand hebt, was er persönlich und politisch für richtig hält. Dass wir eine breite Mehrheit haben im Deutschen Bundestag liegt ja nicht zuletzt daran, dass die SPD bereit wäre, wesentlich weiter zu gehen als die Union. Die SPD ist ja bereit, auch Eurobonds auszugeben – ein Vorteil für hoch verschuldete Länder, die hohe Zinsen zahlen müssen. Und ein Nachteil für stabilitätsorientierte Länder wie Deutschland. Das heißt, die SPD würde ja noch weit über das hinausgehen, was die Union selbst für richtig hält ...

    Friedbert Meurer: ... die Partei war vielleicht weitsichtig, dass man nur mit einer gemeinsamen Stützung weiter kommt.

    Wolfgang Bosbach: Ich weiß nicht, ob man das als weitsichtig bezeichnen kann, wenn man die deutsche Steuerzahlerin und den deutschen Steuerzahler in Milliardenhöhe zusätzlich belasten möchte. Für mich wäre das eher kurzsichtig, denn wenn Sie den Zinsdruck nehmen von hoch verschuldeten Ländern, dann nehmen Sie auch den Reformdruck.

    Friedbert Meurer: Peer Steinbrück, heute wird er gewählt als Kanzlerkandidat, stand in den letzten Wochen in einem Stahlbad der Kritik. Wie fair war die Kritik?

    Wolfgang Bosbach: Ja, gut. Also, wer sich in die Manege begibt und wer als Kanzlerkandidat auftreten möchte, der wird natürlich auch ganz anders beobachtet als Otto Normalabgeordneter. Und das hat Peer Steinbrück - wie soll ich sagen - doch souverän pariert in der ihm eigenen schnodderigen Art. Ob das auf Dauer trägt, so wie er auftritt, da bin ich mir nicht ganz sicher

    Friedbert Meurer: Wie tritt er denn auf?

    Wolfgang Bosbach: Sehr, sehr schnodderig. Sehr souverän. Eine andere Auffassung als er hält er eigentlich nicht für akzeptabel. Ich kenne keinen zweiten Kollegen im Deutschen Bundestag, der so von sich selber und von seiner eigenen Meinung überzeugt ist wie Peer Steinbrück. Das ist alles nicht verboten, das ist legitim. Wenn er glaubt, dass er mit seiner Art in der Bevölkerung punkten kann, dann muss er so weiter machen. Da will ich ihm auch gar keine Ratschläge erteilen. Man sollte ihn eher nicht an dem messen, wie er rhetorisch auftritt, sondern was er als politische Lebensleistung bisher dargeboten hat. Und da kann man sich ja mal seine Bilanz als Minister und Ministerpräsident in NRW ansehen. Das ist ziemlich ernüchternd und bleibt hinter der Rhetorik weit zurück.

    Friedbert Meurer: Sie haben eben gesagt, dass ein Kanzlerkandidat gewissen Ansprüchen genügen muss. Er hat ja alle Transparenzvorschriften des Bundestages eingehalten.

    Wolfgang Bosbach: Ja.

    Friedbert Meurer: Warum sollen denn für ihn andere Vorschriften gelten, als für einen Bundestagsabgeordneten, der sich auf einem Parteitag stellt für die Liste?

    Wolfgang Bosbach: Nein, ist ja auch in Ordnung. Ich habe ihm ja auch nie einen Vorwurf gemacht. Warum? Und dass er sich rechtmäßig verhalten hat, steht doch völlig außer Streit. Und Sie werden von mir auch nirgendwo einen Satz finden, wo ich Peer Steinbrück dafür kritisiere, dass er hohe Nebeneinkünfte hatte. Er hat sich doch an die Regeln gehalten. Im Übrigen sind glaube ich mehr im rot-grünen Lager irritiert als bei der Koalitionsfraktion.

    Friedbert Meurer: Man geht aber schon richtig in der Annahme, dass bei der CDU so eine diebische Freude regiert, in welchem Feuer Peer Steinbrück steht.

    Wolfgang Bosbach: Ja. Die SPD beschäftigt sich mit Peer Steinbrück und wir beschäftigen uns mit der Zukunft des Landes.

    Friedbert Meurer: Schließen Sie aus, dass das Thema vielleicht doch zurücktritt und das nächste Jahr zum Beispiel nach einem Sieg der SPD in Niedersachsen ganz anders verlaufen wird, als das im Moment den Anschein hat?

    Wolfgang Bosbach: Dass Peer Steinbrück zurücktritt?

    Friedbert Meurer: Nein. Dass Peer Steinbrück ein ernst zu nehmender Rivale für die Kanzlerin wird.

    Wolfgang Bosbach: Wir sollten ihn jetzt schon ernst nehmen. Wir sollten ihn jetzt nicht unterschätzen. Das sollte man übrigens nie tun. Nicht im eigenen Wahlkreis mit den Gegenkandidaten und schon mal gar nicht auf Bundesebene. Dass Peer Steinbrück ein Kandidat ist, den wir ernst nehmen müssen, bestreitet doch im Lager der Regierungskoalition niemand. Und Angela Merkel wird ihn auch ernst nehmen. Sie waren beide Partner in der Großen Koalition, jetzt sind sie politische Konkurrenten.

    Friedbert Meurer: Ein ernstes Thema, das Sie auch als Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages beschäftigt, das ist das Thema Fußball und Gewalt. Sie sind auch Fußballanhänger, Fan des 1. FC Köln, glaube ich. Am Mittwoch gibt es eine ganz entscheidende Sitzung der deutschen Fußballliga über ein Sicherheitspaket. Die Innenminister drängen und schieben und sagen, ihr Vereine müsst mehr tun für die Sicherheit. Ansonsten gibt es Konsequenzen. Ist der Druck der Politik korrekt in dieser Art und Weise, wie er auf die Vereine ausgeübt wird?

    Wolfgang Bosbach: Der Druck der Politik ist da und nicht erst seit gestern, insbesondere in der abgelaufenen Saison 2011/2012 hatten wir doch besorgniserregende Zahlen. Das gilt für die Anzahl der Verletzten, zum Teil bei den Fans, zum Teil bei den Polizeibeamten, zum Teil auch bei unbeteiligten Dritten. Das gilt für die Zahl der Festnahmen und der vorläufigen Festnahmen, insbesondere für die Einsatzstunden der Polizeikräfte – weit über 1,8 Millionen – und das ist mit erheblichen Kosten verbunden. Man kann sicherlich nicht sagen, dass der Fußball auf Kosten des Steuerzahlers lebt, denn die Fußballvereine, insbesondere die Profivereine zahlen wesentlich mehr an Steuern, als die Sicherheitsmaßnahmen in den Spielen kosten. Und dennoch kann ich verstehen, dass die Innenminister sagen, wir wollen die Gewalt rund um den Fußball soweit wie das eben möglich ist eindämmen und wir wollen nicht den Steuerzahler dauernd mit neuen und höheren Kosten belasten. Es ist Sache der Vereine, es ist Sache der Fans, selbst dafür zu sorgen, dass sie auch den Gewaltbereiten unter den sogenannten Fans keine Deckung bieten, dass wir die Störer aus dem Verkehr ziehen können.

    Friedbert Meurer: Nehmen wir ein paar konkrete Punkte. Sind Sie dafür, dass es Leibesvisitationen gibt, wenn jemand ins Stadion gehen will und seine Karte ins Kartenlesegerät gesteckt hat?

    Wolfgang Bosbach: Ja, da müsste mir mal jemand sagen, was unter Leibesvisitation zu verstehen ist. Dass es Eingangskontrollen gibt, das war immer schon so. Das war seit Jahrzehnten schon so, das ist nichts Neues. Dass man mal in die Tasche guckt, ob gefährliche Gegenstände mitgebracht werden oder dass man Mantel oder Parka mal abklopft um dort etwas zu finden, das war immer schon so. Das ist auch rechtmäßig. Aber ausziehen bis auf die Unterhose, also da würde ich gerne mal sehen, auf welcher Rechtsgrundlage das stattfinden soll. So ohne Weiteres halte ich das rechtlich für gar nicht möglich

    Friedbert Meurer: Man kann es in die Spielregeln des Kartenverkaufs auf die Rückseite der Karten aufdrucken ...

    Wolfgang Bosbach: Ja, dann ist das was anderes.

    Friedbert Meurer: ... und dann sagen, derjenige, der die Karte kauft, der erklärt sich bereit, im Notfalle auch sich in dieser Art und Weise einer Leibesvisitation zu unterziehen.

    Wolfgang Bosbach: Ja, das ist dann Bestandteil des Vertrages. Dann hätten Sie keine gesetzliche, aber eine vertragliche Grundlage. Für wünschenswert halte ich das nicht.

    Friedbert Meurer: Die Innenminister sagen, wenn die Vereine nicht mitziehen, dann wollen wir Geld sehen. Auf welcher Grundlage können die Innenminister sagen, bezahlt uns die Polizeieinsätze?

    Wolfgang Bosbach: Außerhalb des Stadions nicht, denn die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, auch bei Großveranstaltungen, ist Sache der Polizei bei den Reisewegen, Polizei des Bundes, Bundespolizei, insbesondere auf den Schienenwegen. Ansonsten ist es Sache der Länderpolizei. Es ist eine öffentliche Aufgabe, die mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Im Stadion selber, bei den Einlasskontrollen, sind ohnehin die Vereine zuständig beziehungsweise die Stadioninhaber, die allerdings die Verantwortung auf die Vereine delegieren können und das in der Regel auch machen. Damit liegt die Kostenlast bei den Vereinen. Wenn allerdings die Vereine nicht in der Lage sind, für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften und Gefahrenabwehr im Stadion selber mit eigenen Kräften auf eigene Kosten zu sorgen, dann muss die Polizei einschreiten. Und dass man zumindest einmal aus bekannten Gründen damit droht, sich das auch bezahlen zu lassen, ist für mich nachvollziehbar. Noch mal, die Vereine, die Fans haben es selber in der Hand, damit die Drohungen nicht realisiert werden müssen.

    Friedbert Meurer: Wenn am Mittwoch dieses viel zitierte Sicherheitspaket nicht verabschiedet wird, sind Sie dann dafür, zu sagen, am nächsten Tag: So, ihr müsst jetzt bezahlen, die Einsatzstunden, die Polizisten auf der Westtribüne, Südtribüne, Nordtribüne leisten, die stellen wir euch in Rechnung?

    Wolfgang Bosbach: Nein. Nein, dafür bin ich nicht, weil die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung klassische Aufgabe der Polizei ist, weil wir das auch bei anderen Großveranstaltungen nicht machen und weil wir es auch aus guten Gründen in der Vergangenheit nicht getan haben. Wenn allerdings sich erweisen sollte, dass die Sicherheit in den Stadien nicht mehr gewährleistet wird, dass es immer schlimmer wird, wofür es im Moment gar keine objektiven Anhaltspunkte gibt, dann kommt das Thema mit Sicherheit wieder auf die Tagesordnung. Deswegen bin ich ja auch dagegen, dass man die Probleme bagatellisiert. Ich bin aber auch dagegen, dass man sie dramatisiert.

    Friedbert Meurer: Das heißt, die Innenminister sollten ihren Druck schon ein bisschen herunterfahren?

    Wolfgang Bosbach: Die Innenminister sollten diesen Druck aufrecht erhalten. Ich kann das verstehen, dass das ihre Anliegen, ihre Sorgen sind. Und es ist Sache des Sportes, es ist Sache der Vereine, insbesondere der überwältigenden Mehrheit der friedlichen Fans, dafür zu sorgen, dass nicht eine Handvoll Chaoten, Störer und Schläger den Sport, den Fußball, in Verruf bringen. Insbesondere darf die Masse der friedlichen Fans, den Krawallmachern keine Deckung bieten.

    Friedbert Meurer: Sie sind, Herr Bosbach – Deutschlandfunk im Interview der Woche Wolfgang Bosbach – Sie sind einer der bekanntesten CDU-Abgeordneten überhaupt und deswegen nehmen auch viele Anteil an Ihrer Gesundheit. Wir wissen, Sie leiden an Prostatakrebs. Wie geht es Ihnen, wenn ich Ihnen die Frage stellen darf?

    Wolfgang Bosbach: Subjektiv geht es mir eigentlich ganz gut, objektiv weniger gut. Ich kenne ja die Befunde. Ich mache seit einigen Monaten eine neue Therapie. Die Wirkungen treten erfreulicherweise ein, unerfreulicherweise auch die Nebenwirkungen. Aber das eine gibt es nicht ohne das andere.

    Friedbert Meurer: Aber zuletzt war von Ihnen zu hören, diese Erkrankung, Prostatakrebs, sei unheilbar.

    Wolfgang Bosbach: Ja, in dem jetzigen Krankheitsstadium ist nicht mehr damit zu rechnen, dass die Krankheit heilbar ist. Das heißt, es geht um Lebensverlängerung und um Lebensqualität. Und darum bemühe ich mich auch.

    Friedbert Meurer: Der Abgeordnete Wolfgang Bosbach wird fast mit Sicherheit auch im nächsten Bundestag einziehen, weil Sie es geschafft haben, das Ergebnis der Kanzlerin sogar noch zu toppen.

    Wolfgang Bosbach: Ja.

    Friedbert Meurer: Sie sind mit 99 Prozent, nicht mit 98 Prozent, mit 99 Prozent wiedergewählt worden, aufgestellt worden als Direktkandidat im Rheinisch-Bergischen Kreis hier bei Köln. Warum tun Sie sich das an?

    Wolfgang Bosbach: Weil ich es gerne mache. Vor allen Dingen, es war ja nicht eine Aufstellung durch Delegierte, sondern durch Mitglieder. Über 200 waren da, also es war schon ein repräsentativer Querschnitt der Partei. Und so ein Wahlergebnis hat mehr therapeutische Wirkung als eine ganze Ladung Pillen. Für mich ist das politische Mandat nicht in erster Linie Belastung, sondern Freude. Ich gehe jeden Tag gerne ins Büro, habe tolle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das ist eine spannende Aufgabe, Vorsitzender des Innenausschusses zu sein. Und wenn ich loslassen würde jetzt von der Politik, wenn ich nicht erneut kandidieren würde, dann ginge es mir ja auch nicht besser.

    Friedbert Meurer: Sie sind jetzt auch schon eine ganze Weile dabei.

    Wolfgang Bosbach: Ja.

    Friedbert Meurer: Und wir stellen die Entwicklung fest zum Beispiel, dass leider die Meinung der Bürger über Politiker, über Abgeordnete bei Weitem nicht mehr so ist wie früher. Woran liegt das?

    Wolfgang Bosbach: Ja, das stelle ich auch fest, wobei ich den Begriff 'Politikverdrossenheit' hinterfrage. Davon kann ich nämlich nichts feststellen. Es gibt ein hohes Maß an Parteiverdrossenheit, ein hohes Maß an Politikerverdrossenheit. Aber die Menschen sind heute genau so politisch interessiert und informiert, wie das in der Vergangenheit auch der Fall war. Und deswegen versuche ich in meiner Arbeit und mit meinen bescheidenen Möglichkeiten, die vielen Vorurteile, die es gegenüber Politik und Politikern gibt, in der alltäglichen Arbeit zu widerlegen. Manchmal gelingt es, manchmal gelingt es nicht.

    Friedbert Meurer: Sie haben noch keine Antwort auf die Frage gefunden, warum das Image der Politiker so dramatisch schlechter geworden ist?

    Wolfgang Bosbach: Ich weiß nicht, ob es so dramatisch schlechter geworden ist, aber ich sehe natürlich einen Unterschied zu den 50er-, 60er-, 70er-Jahren. Es ging den Menschen jedes Jahr doch deutlich besser, jedenfalls der breiten Mehrheit der Bevölkerung. Wir hatten tolle Wachstumsraten, Steuereinnahmen stiegen, Löhne und Gehälter stiegen, der Lebensstandard wurde spürbar besser. Man konnte sich immer etwas Neues und etwas mehr leisten. Und das war in erster Linie auch Erfolg des eigenen Fleißes, aber man hat das dann auch wegen der politischen Rahmenbedingungen der Politik insgesamt zugeschrieben. Und heute erleben wir nicht mehr, dass man von Jahr zu Jahr besser leben kann, dass der Lebensstandard gestiegen. Wir werden heute mit ganz neuen Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Das Leben, auch das politische Leben, ist viel komplizierter und komplexer geworden. Und da kommen zwei Dinge dazu, die beobachte ich auch kritisch oder selbstkritisch. Zum einen, die Sprache, die wir verwenden in der politischen Auseinandersetzung, ist doch oft so, dass die Menschen nicht genau wissen, wofür stehen wir, wofür sind wir, wogegen sind wir, dass auch die Unterschiede nicht mehr klar erkennbar sind, wofür stehen Parteien und Politiker. Das ist die eine Seite. Und zweitens, die Menschen merken natürlich auch, wir sind heute in einer sehr komplexen Situation. Die Nationalstaaten können kaum noch etwas souverän entscheiden. Viele politische Felder, die früher klassische Innenpolitik waren, sind heute, wenn sie nicht globalisiert sind, haben jedenfalls einen europäischen Kontext. Und es dauert immer unendlich lange, bis wir notwendige Entscheidungen treffen. Und das führt auch dann zu einer Entfremdung von Politik und Bürgern – leider.

    Friedbert Meurer: Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Bosbach. Schönen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben für Ihren Besuch im Studio. Alles Gute Ihnen und gute Gesundheit. Auf Wiedersehen.

    Wolfgang Bosbach: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.