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Bostoner Ermittlungen weisen "eher in islamistische Richtung"

Sollte sich eine islamistische Urheberschaft der Bostoner Anschläge bewahrheiten, müssten sich die US-Sicherheitsbehörden viele Fragen gefallen lassen, sagt der SWP-Sicherheitsexperte Markus Kaim. Auch US-Präsident Barack Obama drohten in diesem Fall innenpolitische Konsequenzen.

Markus Kaim im Gespräch mit Christine Heuer | 19.04.2013
    Christine Heuer: Von Marcus Pindur zu Markus Kaim, Politikwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, mit dem ich jetzt über die jüngsten Ereignisse in Boston sprechen möchte. Guten Tag, Herr Kaim.

    Markus Kaim: Ich grüße Sie.

    Heuer: Diese jüngste Meldung, es sollen Tschetschenen sein, wären Sie darauf gekommen?

    Kaim: Im engsten Sinne nicht und ich bin auch ein bisschen zurückhaltend. Wir haben in den letzten Tagen sehr viele Theorien gehört, die dann innerhalb von wenigen Stunden von den Ergebnissen der Ermittler wieder hinweggefegt worden sind, und auch jetzt sind die Auskünfte ja doch bisher nur mit einer Quelle belegt. Von daher bin ich noch so ein bisschen zurückhaltend. Aber das ist in der Tat ein Strang des internationalen Terrorismus, den, glaube ich, keiner der Beobachter bislang berücksichtigt hat.

    Heuer: Die Meldungen sind aber ziemlich konkret, Herr Kaim. Auch auf NBC ist gesagt worden, dass einer der Verdächtigen in Cambridge in Massachusetts gewohnt haben soll. Er solle aus Tschetschenien stammen und seit etwas mehr als einem Jahr in den USA gewesen sein. Und bei dem getöteten mutmaßlichen Bombenleger soll es sich um den Bruder des Flüchtigen handeln. Wird das dadurch etwas konkreter auch für Sie?

    Kaim: Es bleiben, wenn sich das alles so bewahrheitet – und dieses "wenn" muss man immer noch dazu sagen -, letztlich zwei Grundideen oder Grundvermutungen. Erstens: Es könnte sich tatsächlich um eine Verbindung zu einer tschetschenischen Terrororganisation, dem sogenannten Kaukasus-Emirat handeln, das im Nachgang des Tschetschenien-Krieges oder der Tschetschenien-Kriege gegründet worden ist und dessen Ziel, wie man aus dem Namen auch ableiten kann, die Errichtung eines Emirates, eines islamistisch inspirierten Emirates im Kaukasus ist. Das ist im Kern keine internationale Terrororganisation. Nachzuweisen ist allerdings, dass es in den letzten Jahren eine verstärkte Verbindung zum globalen Dschihad, zum internationalen islamistisch inspirierten Terrorismus gegeben hat. Es hat in den letzten Jahren dazu auch Verhaftungen gegeben von Zellen islamistischer Netzwerke in Belgien und gerade auch in Tschechien, wo es angeblich Vorbereitungen zu Anschlägen in Europa gegeben haben soll. Das ist aber alles noch sehr dünn.

    Der zweite Strang, der davon unbenommen ist, ist etwas, was wir in den USA ja in den letzten Jahren häufiger gesehen haben: islamistisch inspirierte Anschläge, wo es sich letztlich um Einzeltäter oder eine ganz, ganz kleine Gruppe von Tätern handelt, die keine organisatorische Verbindung zu anderen Gruppen oder Organisationen haben und die sich dann häufig selbst radikalisiert haben, zumeist unter Hinzuziehung des Internet.

    Heuer: Aber im Grunde sprechen doch beide Szenerien, die Sie hier aufmachen, für einen wie auch immer gearteten, doch islamistischen Hintergrund, und in den vergangenen Tagen haben wir eigentlich mehrheitlich immer gehört, man geht schon eher davon aus, es sind Einzeltäter mit vielleicht einer etwas kruden Ideologie.

    "Die große Frage wird sein: Warum konnte man das nicht verhindern?"

    Kaim: In der Tat. Diese Verweise sozusagen auf die amerikanische rechte Szene, den amerikanischen Rechtsextremismus, der ja dann häufig unter Bezugnahme auf die Jahrestage von McVeigh operiert hat, das scheint sich nicht zu bewahrheiten. Und auch erste Annahmen, dass sich hinter der Explosion der Düngemittelfabrik gestern ein Terroranschlag verbergen würde, dieser Strang scheint mir gegenwärtig nicht weiter verfolgt zu sein. Es gibt auch keine Indizien dafür. Und spätestens jetzt wäre, glaube ich, auch der Punkt erreicht, wo die entsprechenden Attentäter die Urheberschaft für sich reklamieren würden. Also entweder organisiert, oder Einzeltäterschaft. Dann scheint nur die Frage der institutionellen Ausformung zu sein. Der Ermittlungsstand von heute Mittag deutet wie gesagt doch etwas eher in die islamistische Richtung.

    Heuer: Wenn das stimmt, welche Folgen hat das für die amerikanische Gesellschaft und die amerikanische Politik?

    Kaim: Ich glaube, zu allererst wird es Fragen an die Ermittlungsbehörden geben, weil in der Tat haben ja in den vergangenen Jahren die amerikanischen Ermittlungsbehörden, allen voran das FBI, zurecht darauf verwiesen, dass sie in der Lage gewesen sind, viele der Anschläge bereits im Vorfeld abzufangen, indem sie nicht funktionsfähige explosive Materialien, nicht funktionsfähige Waffen an diese Einzeltäter oder Kleinstgruppierungen geliefert haben, um entsprechende Nachweise für die Ermittlungen oder für die Gerichtsverfahren zu bekommen. Und jetzt wird die große Frage sein, weshalb es nicht gelungen ist, diese Gruppe trotz der enormen Rechtsbefugnisse, die die Behörden haben, und trotz der enormen Mittel, die in den letzten Jahren ja auch in die entsprechenden Ermittlungen gegangen sind, derer nicht habhaft zu werden. Wenn sich das tatsächlich bewahrheiten sollte, dass sie vor ein, beziehungsweise zwei Jahren in die USA eingewandert sind, wird auch die Frage sein, in welchem Maße die amerikanischen Einwanderungsbehörden hier gegebenenfalls Fehler gemacht haben, wenn sie den entsprechenden Hintergrund der Täter nicht ausreichend ausgeleuchtet haben. Aber das muss man jetzt wirklich noch einmal abwarten.

    Heuer: Trotzdem noch ganz Kurz die Frage dazu, Herr Kaim. Wenn das alles so ist, dann wäre das auch schlecht für Präsident Obama, denn der war ja im Amt.

    Kaim: In der Tat. Ich bin ganz sicher, dass die amerikanische Opposition, also konkret jetzt die Republikaner, dieses dem amerikanischen Präsidenten nicht durchgehen lassen werden und entsprechend offensiv gegen ihn argumentieren werden.

    Heuer: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke, Herr Kaim, für das Gespräch.

    Kaim: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.