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Botox vertreibt die Sorgenfalten

Botox ist mehr als ein optisches Verjüngungsmittel für alternde Filmstars. Der Wirkstoff Botulinumtoxin kann zum Beispiel eine übermäßige Schweißproduktion drosseln oder eine Migräne mildern. Nun haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Botox auch gegen Depressionen hilft.

Von Michael Engel | 17.04.2012
    Es sind nur fünf kleine Stiche mit der Injektionsnadel, genau in die sogenannte "Glabella-Region" hinein, dort, wo die "Zornesfalte" liegt. Diese Region im unteren Drittel der Stirn, zwischen den Augenbrauen, spiegelt viele Emotionen wider, erklärt Prof. Tillmann Krüger, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover:

    "Und wenn man mal schaut, welche Emotionen speziell dieser Bereich ausdrücken kann, haben wir eigentlich nur negative Emotionen gefunden. Es gibt – glaube ich – kaum oder keine Emotion, die positiver Natur ist, die dort ausgedrückt wird. Zum Beispiel, wenn man die Stirn hochzieht, das wäre jetzt eine andere Region in der Stirn, kann das ja durchaus Angespanntheit zeigen, aber auch ein hohes Maß an Konzentration, wenn man die Stirn hochzieht. Aber bei dieser Sorgen- oder Zornesfalte scheint das recht ausgestanzt primär negativer Natur zu sein."

    Die Injektionen mit Botox sollten die Glabella- bzw. Sorgenfalten glätten, indem sich die Muskeln entspannen. Aber verschwinden mit dieser scheinbar "oberflächlichen Behandlung" auch die tiefer sitzenden Depressionen? 30 Betroffene – 23 Frauen und sieben Männer, die zuvor erfolglos mit Antidepressiva behandelt wurden - stellten sich für die Studie zur Verfügung. Die Hälfte erhielt Botox, die andere Kochsalzlösung. Dr. Axel Wollmer, Chefarzt der Gerontopsychiatrie in der Asklepios Klinik Nord in Hamburg, über das Ergebnis.

    "Man kann etwa sagen, dass im Schnitt die Schwere der Depressionssymptome gemessen an einer Skala, zum Beispiel der Hamilton-Depressionsskala oder dem Beck-Depressionsinventar um knapp die Hälfte zurückgegangen ist, also eine 50-prozentige Reduktion. Und wir haben auch in einem relevanten Anteil der Patienten eine Remission erreicht, das heißt ein vollständiges Verschwinden der depressiven Symptome."

    Bis auf einen vorübergehenden Kopfschmerz oder einen kleinen blauen Fleck an der Einstichstelle gab es keinerlei unerwünschte Nebenwirkungen. Zwei Wochen nach der einmaligen Behandlung berichteten die mit Botox behandelten Patienten von einer spürbaren Minderung der Depression. Nach 16 Wochen hatte sich der Effekt weiter verstärkt, das heißt, die Wirkung der einmaligen Injektion hält über mehrere Monate an.

    "Das, was uns eigentlich von der Hypothese her dazu gebracht hat, die Studie zu machen, war nicht so sehr, dass das Feedback vom Spiegelbild die Besserung herbeiführt, auch nicht das Feedback durch soziale Interaktionen mit einem sozialen Gegenüber, sondern vor allen Dingen die direkte nervliche Rückmeldung aus der Muskulatur an das zentrale Nervensystem über ihre Stellung. Und wir glauben, dass dieses Feedback – dieses Facial-Feedback eben letztlich dazu führt, dass die Symptome der Depression sich bessern."

    Die sogenannte "Facial-Feedback-Hypothese" besagt, dass Mimik nicht nur Stimmungen ausdrückt, sondern auch umgekehrt auf Stimmungen zurückwirken kann. Die Injektion von Botulinumtoxin könnte so die Wechselwirkung zwischen Mimik, also der angespannten Stirnmuskulatur und der Stimmung unterbrechen. Die Forscher glauben, dass vor allem Patienten mit starker Mimik, also hoher Muskelspannung von der Botoxtherapie profitieren. Das aber sollen weitere Studien klären. Krankenkassen bezahlen die Therapie noch nicht, privat finanziert ist die Therapie aber heute schon möglich – im Sinne eines Heilversuchs.