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Botox zwischen Medizin und Missbrauch

Botulinumtoxin, kurz BTX, erlangte unter dem Markennamen Botox in den letzten Jahren globale Bekanntheit - zunächst als angebliche Wunderwaffe gegen Zornes- und Lachfalten. Bei einigen Prominenten konnte man dann auch beobachten, was beim Einsatz schiefgehen kann. Doch schon seit Jahren wird das Nervengift bei immer mehr medizinischen Indikationen eingesetzt.

Von Almuth Knigge |
    Die Augen zwinkern unablässig, der Kopf wackelt unruhig hin und her. Diagnose - Dystonie, eine nervlich bedingte Bewegungsstörung, an der allein in Deutschland 160.000 Menschen leiden. Eine Spritze mit Botulinumtoxin in Augen-, Lid- und Halsmuskeln wird dem Patienten ein Vierteljahr Verschnaufpause verschaffen.

    Neurologen und Urologen, Hautärzte und Fachleute für Sprach-, Stimm- und Schluckstörungen injizieren das Gift außerdem in stark schwitzenden Achseln, Hände und Füße, Stimmbänder oder bei Blasenproblemen. Etwa 20 Indikationen sind bislang in den verschiedensten Ländern zugelassen, und die Liste wächst stetig weiter. Ein Allheilmittel, könnte man meinen, doch Prof. Reiner Benecke von der Universität Rostock, winkt ab.

    "Die Zahl der neuen Indikationen, die noch kommen werden, ist begrenzt. Ich sehe es aber so, dass insbesondere die individualisierte Therapie bezüglich Dosis und Wahl der Muskulatur, das sind ganz wichtige Aspekte."

    Eigentlich ist Botox den meisten nur als Anti-Falten-Mittel ein Begriff - mit sichtbaren Nebenwirkungen. Allerdings ist auch im medizinischen Bereich große Vorsicht geboten. Professor Benecke spricht betont neutral von "Außenseitern im Medizinbetrieb", die durch Botox-Einsatz Hilfe bei Migräne oder gar Fettsucht anbieten.

    "Natürlich hat man sich überlegt, dass man durch eine Lähmung der Magenmuskulatur oder auch gewisser Darmabschnitte eine Fettsucht behandeln könnte, dadurch, dass einfach die Nahrung nicht mehr adäquat verarbeitet wird, aber diese Studien sind zum jetzigen Zeitpunkt negativ ausgefallen, also die Indikation Fettsucht besteht eigentlich nicht mehr."

    Im Umgang mit Botox ist große Vorsicht geboten. Zwei Milliardstel Gramm können einen Menschen töten, zwei Kilogramm raffen die gesamte Weltbevölkerung dahin. Die Experten streiten seit Jahren darüber, wie gefährlich die in der medizinischen Praxis verabreichten Botulinumtoxin-Injektionen nun wirklich sind. In Deutschland zählte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte seit 1994 bis heute 210 Zwischenfälle, darunter fünf tödliche Verläufe. Viele Praktiker, wie Prof. Benecke, halten den Alarm für übertrieben. Dennoch - es gibt Risiken, räumt auch der Experte ein.
    "Wenn man zum Beispiel bei einem Kind, drei bis vier Jahre alt, zur Behandlung von einer Cerebral-Parese, Spastik, zu hohe Mengen spritzt, kann es dadurch, dass, wenn auch ein Teil des Toxins gar nicht im Muskeln allein endet, sondern versehentlich in eine Vene oder Arterie gespritzt wird, kann sich das Toxin im ganzen Körper ausbreiten und zu einer Schwächung der Atemmuskulatur führen mit den entsprechenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben."

    Im Klartext - Atemstillstand. Gelegentlich jedoch begibt sich der Wirkstoff auf Wanderschaft in die umliegende Muskulatur. Die Hälfte aller schweren Schäden beruht auf diesem Phänomen. Experimente an Ratten haben ergeben, dass das Toxin auch ins Gehirn wandern kann. Das wiederum brachte die Wissenschaftler auf die Idee, winzige Mengen in bestimmte Gebiete im Gehirn zu injizieren. Dadurch, so vermutet ein Forscherteam um Professor Benecke, könnten eines Tages Krankheiten wie Parkinson behandelt werden.

    "Das würde bewirken, dass die gesteigerte oder falsche Nervenaktivität in bestimmten Zentren des Gehirns gedrosselt wird."

    Während bei den medizinischen Fragestellungen klar geregelt ist, dass nur ein möglichst erfahrener Facharzt Botulinumtoxin spritzen darf, kann nach einem Wochenendkurs selbst ein Heilpraktiker für Schönheitsreparaturen zur Spritze greifen. Dennoch, so Mediziner Bennecke

    "In der Hand eines erfahrenen Arztes ist die Botulimuntoxin-Therapie für viele sehr unangenehme Erkrankungen, die man sonst nicht behandeln kann, ein Segen."