Archiv


Botschaften aus einer entfernten Vergangenheit

Menschen der Steinzeit haben in Südfrankreich kunstvolle Höhlenmalereien hinterlassen. Doch warum sie das taten, ist weiterhin ein Rätsel. Zwei deutsche Wissenschaftler versuchen jetzt, Licht in 17.000 Jahre altes Dunkel zu bringen. Unterstützt werden sie dabei von Mitgliedern des San-Stamms aus Afrika, bei dem urzeitliche Formen der Jagd und des Spurenlesens bis heute erhalten sind.

Von Mathias Schulenburg |
    Über das, was die Menschen da in der Altsteinzeit etwa in der berühmten Chauvet-Höhle im französischen Ardeche-Tal machten, weiß man mit Sicherheit eigentlich nur: Sie schmückten die Höhle mit Malereien aus, teils mit einer Kunstfertigkeit, die der alter Meister nicht nachsteht. 3D ist auch dabei, vereinzelt Perspektive, Phasenzeichnung, um Bewegung zu suggerieren, wie im Comic. Aber warum? In Werner Herzogs Film über die Chauvet-Höhle sagt der Archäologe Julien Monney betrübt:

    "Das werden wir niemals erfahren, denn die Vergangenheit ist endgültig verloren. Wir werden sie nie rekonstruieren können. Wir können nur eine Darstellung dessen liefern, was heute noch existiert."

    Niemals erfahren? Nicht alle Wissenschaftler sind sich da sicher. Dr. Tilman Lenssen-Erz vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln und Dr. Andreas Pastoors vom Neanderthal Museum in Mettmann etwa haben vor Kurzem ein Projekt in die Wege geleitet, dass unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt wird und dem eine zwar naheliegende, so aber noch nie realisierte Idee zugrunde liegt: Man möge doch in unberührte, steinzeitlich geschmückte Höhlen, wie es sie am Flüsschen Volp in Südfrankreich gibt, einmal Menschen lassen, die das Lesen subtilster Spuren von der Pike auf gelernt haben, unter härtesten Bedingungen: als Jäger, deren Existenz von der Jagdbeute abhängt. Solche Menschen gibt es noch, wie die San in Namibia.

    "Es sind drei Fährtensucher, die wir uns dort haben empfehlen lassen, einer spricht sehr gut Englisch, die beiden anderen sprechen kein Englisch, aber deshalb ist der Englisch sprechende auch als Dolmetscher dabei, wir lassen uns von denen einfach durch die Kalahari führen und folgen Spuren und machen einfach die Erfahrung, wie die unterwegs sind, werden noch ein paar andere Orte dort angehen mit denen zusammen, die im Kontext dieses Projektes Sinn machen und dann mit allen zusammen nach Europa fliegen und dann gehen wir in die Höhlen."

    "Und dann setzt der zweite Teil der Reise an","

    sagt Andreas Pastoors vom Neanderthal Museum in Mettmann,

    ""Das heißt, wir landen in Frankfurt und fahren mit dem Bus nach Frankreich, mit einem kleinen Stop in Köln beziehungsweise wir fahren auch zum Neanderthal Museum, und in Frankreich werden wir als Basis haben einen umgebauten Schweinestall, in der Farm von Pujol, und Pujol ist ein Ort mit einer langen Geschichte, langen Tradition, und hier wohnt die Familie Begouens, die jetzt in der dritten Generation die Volp-Höhlen Tuc d'Audoubert, Les Trois Frères und Enlène mit vielen Hinterlassenschaften aus der Zeit vor 17.000 Jahren nicht nur besitzen, sondern sie auch wirklich als Teil ihres Lebens ansehen und den Schutz dieser Höhlen in ihre eigene Philosophie aufgebaut haben, und sie sind da Modell in Frankreich und darüber hinaus, wie man mit solchen wertvollen und sehr schnell zerstörbaren Funden umgeht und wir haben das Glück, dort zusammen mit der Familie zu wohnen, wie gesagt diesem umgebauten Schweinestall, nebenan ist das Chateau von Pujol und das Laboratoire von Pujol mit der Bibliothek und dem Museum, wo wir unsere Basisstation haben und gemeinsam leben und von dort aus die einzelnen Höhlen besichtigen."

    Das Wichtigste: Die genannten Volp-Höhlen sind wunderbar für die Wissenschaft erhalten, so gut wie unberührt und enthalten abschnittsweise Löß, sehr feinkörnigen Lehm, in dem selbst Fingerabdrücke überdauert haben könnten. Jetzt kommt die Stunde der San, die - eben auch dank eines ausgezeichnet geschulten Sehsinns - unter Bedingungen zu überleben gelernt haben, denen ein Durchschnittseuropäer zum Opfer fallen müsste.

    Die Domäne der San-Männer alten Schlages ist die Jagd:

    "Und da gehört beim Jagen tatsächlich ganz entscheidend dazu, dass man in seiner Umwelt jedes Tier kennt und nicht nur das Tier kennt so, wie wir einen Hirsch von einem Wildschwein unterscheiden könnten, sondern es gibt ein wirklich tiefes Wissen, zoologisches Wissen, was das Gesamtverhalten des Tieres betrifft, das spezielle Verhalten in bestimmten Situationen und dann eben auch so weit geht, dass die jede Bewegung dieser Tiere interpretieren können. Das ist deswegen wichtig, weil sie wissen müssen, wie sich das Tier in dem Moment fühlt und was es als Nächstes tun wird. Wenn man Tiere jagt - und im südlichen Afrika ist es seit jeher gebräuchlich gewesen, die Tiere mit Giftpfeilen zu jagen - das heißt, man schießt einen Pfeil, einen oder mehrere, auf das Tier und dann muss das Gift erst einmal seine Wirkung erzielen. Das wird das Tier natürlich, wenn der Pfeil getroffen hat, dazu nutzen, zu fliehen. Und dann gilt es für den Jäger - oder die Jäger - diesem Tier zu folgen. Und natürlich ist das ganz schnell außer Sichtweite, flieht in der Regel mit seiner Herde, und trotzdem müssen es die Jäger schaffen, diese eine Spur zu identifizieren und über Kilometer und Kilometer in einem sandigen Boden zu verfolgen. Das lässt jetzt schon mal ahnen, welches unglaubliche Auflösungsvermögen die Leute an den Tag legen beim Lesen von Spuren. Und dieses Lesen von Spuren ist nicht nur auf Tierspuren bezogen, sondern die können auch menschliche Fußspuren genauso lesen. Die wissen also sowieso in ihrem Dorf, in ihrer Gruppe jeden am Fußabdruck zu erkennen, also wenn bei ihnen morgen vor der Hütte eine frische Spur zu erkennen ist, wissen die, wer da vorbei gegangen ist und sie können einer solchen Spur auch durch ein ganzes Gewirr von anderen Spuren folgen. Sie können auch sagen, ist die Person schnell gegangen, langsam gegangen - gut, das mag man an der Schrittlänge ablesen, aber hat er in der linken oder rechten Hand was getragen, ist er gebeugt gegangen oder mehr oder weniger aufrecht. Also die haben die Möglichkeit, so, wie sie das bei den Tieren können, jeden Körperzustand des Tieres zu lesen, so drückt er sich beim Menschen auch im Fußabdruck ab und das zu lesen, glauben wir, ist das Maximum, was man herausholen kann und das hoffen wir, dass wir das in den Spuren in den südfranzösischen Höhlen auch zu hören bekommen."

    Die beteiligten Wissenschaftler werden auch zu den letzten Zeugen zählen, die die Kunst des Spurenlesens - womöglich der Beginn aller Wissenschaft - noch in ihrer Blüte beobachten konnten:

    "In Zukunft wird es niemanden mehr geben, der so leben muss, dass wirklich die Versorgung von ihm selbst und der ganzen Gruppe davon abhängt, dass man Spuren zu deuten weiß, und deshalb wird das Lesen von Spuren nie besser sein, als es heute ist."

    Was die San-Männer zu erzählen haben, verspricht ausgesprochen spannend zu werden.