Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Botschafter der orientalischen Hochkultur

Der Inder Rabindranath Tagore war der bekannteste Botschafter orientalischer Hochkultur seiner Zeit. In den ersten Jahren der Weimarer Republik waren seine Gedichte und Erzählungen regelrechte Bestseller. Heute ist der Literaturnobelpreisträger in Deutschland in Vergessenheit geraten.

Von Gerhard Klas | 07.05.2011
    Sowohl Indien als auch Bangladesch haben ihre Nationalhymnen dem Werk des Bengalen Rabindranath Tagore entnommen. Nicht nur die Texte, sondern auch die Melodien. Bis heute wird am 7.Mai der Geburtstag des Schriftstellers, Komponisten, Malers und Philosophen in beiden Ländern gefeiert. Auch in Europa war Tagore einmal sehr populär. Das war in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.

    Ausgedehnte Weltreisen führten den bengalischen Schriftsteller auch nach Deutschland, wo er wie in dieser Aufnahme von 1921 vor Berliner Studenten auftrat und seine Botschaft vom Weltfrieden überbrachte. Tagore hatte Heinrich Heine ins Bengalische übersetzt und die Werke von Goethe und Kant studiert. Eingehüllt in lange Seidengewänder sprach er in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in vollbesetzten Sälen vieler deutscher Städte. Der Leipziger Kurt Wolff Verlag meldete den Verkauf von mehr als einer Million Tagore-Büchern. Die Hinwendung zu Tagore markierte die Abkehr vieler seiner Leser von der deutschnationalen Literatur hin zu einer Weltoffenheit, die der Dichter verkörperte.

    Am 7.Mai 1861 wurde Rabindranath Tagore als 14. Kind einer Industriellenfamilie in Kalkutta geboren. Schon als Jugendlicher reiste er nach England und war zunächst von der westlichen Zivilisation begeistert. Rückblickend schrieb Tagore über diese Zeit:

    "In meiner Jugend [..] sah ich die Engländer auf einem hohen Ehrenpodest. Dieser frühe Abschnitt meines Lebens endete in einer erschütternden Entzauberung. Ich erkannte immer deutlicher, wie diejenigen, die sich zu den höchsten Kulturwerten bekannten, diese mit größter Leichtigkeit beiseite werfen konnten, sobald ihre nationalen Interessen auf dem Spiel standen."

    Die Armut in der von den Briten ausgepressten indischen Kolonie und die Politik des "Teile und Herrsche", mit der die Kolonialherren die verschiedenen Religionsgemeinschaften gegeneinander ausspielten, waren für Tagore Ausdruck der englischen Doppelmoral. Seine Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung hielt ihn aber nicht davon ab, sich weiter mit der europäischen Kultur zu beschäftigen.

    1913 erhielt Tagore für seine Lyriksammlung "Gitanjali – Liedopfer" als erster Nicht-Europäer den Literaturnobelpreis. Die Verse, die von Gott, der Liebe und der Natur handeln und stark spirituell geprägt sind, seien eine Komponente der abendländischen Literatur geworden, begründete die Jury ihre Entscheidung. Die Grenzen zwischen Dichtung und Lied waren bei Tagore fließend und er trug seine Werke auch gerne selbst vor - wie in dieser Aufnahme des schwedischen Radios von 1930.

    Tagore war nicht nur Botschafter seiner eigenen Kultur. Mit seinen Gedichten, Romanen und Essays wollte er zeigen, dass die nichtwestlichen Kulturen trotz politischer Unterdrückung reif und unabhängig sind. Er strebte eine friedliche Vereinigung von West und Ost an, meint der Tagore-Biograf Martin Kämpchen.

    "Er plädierte für den Weltfrieden als einem Gespräch unter gleichberechtigten, reifen Partnern, die das soziale und kulturelle Wohl der Menschen als höchstes Gut betrachten. Er glaubte daran, dass politische und wirtschaftliche Absichten kulturellen und spirituellen Idealen untergeordnet werden können."

    In Deutschland verlor der bengalische Dichter mit dem Nationalsozialismus an Bedeutung. In Santiniketan, dem Landsitz der Familie in Westbengalen, gründete er außerdem eine Universität der Weltkulturen.

    Als kulturelles Vermächtnis an die Nachwelt gilt ein Text, den Rabindranath Tagore unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs zu seinem 80. Geburtstag 1941 veröffentlichte, wenige Wochen vor seinem Tod.

    "Es gab eine Zeit, in der ich glaubte, dass die Entstehung einer wahren Kultur aus dem Herzen Europas kommen könnte. Heute, da ich dabei bin, mit der Welt abzuschließen, ist dieser Glaube ruiniert. [..] Und dennoch werde ich nicht die schwere Sünde begehen, das Vertrauen an die Menschheit zu verlieren und ihre gegenwärtige Niederlage als endgültig zu akzeptieren. [..] Vielleicht wird der neue Morgen in unserem Lande hereinbrechen, im Osten, wo die Sonne aufgeht."