Samstag, 20. April 2024

Archiv

BPA-freie Produkte
Auch Bisphenol-A-Ersatzstoffe könnten Nebenwirkungen haben

Die EU hat den Einsatz von Bisphinol-A (BPA) in Plastikflaschen für Babynahrung verboten. BPA steht in Verdacht, die Entwicklung von Samen- und Eizellen hormonell beeinflussen zu können. Eine Studie schürt jetzt den Verdacht: Auch von als BPA-frei gekennzeichneten Produkten könnte Gefahr ausgehen.

Von Lucian Haas | 14.09.2018
    Auch Babyflaschen sind mit Bisphenol A versetzt.
    Auch der Bisphenol-A-Ersatzstoff Bisphenol-S könnte hormonell im Körper wirken (picture alliance / dpa/ Weng lei - Imaginechina)
    Vor 20 Jahren beobachtete Patricia Hunt von der Washington State University etwas Unerwartetes: Die Entwicklung der Ei- und Samenzellen ihrer Versuchsmäuse war gestört. Auf der Suche nach der Ursache stieß die Forscherin auf Bisphenol-A, einem Bestandteil vieler Kunststoffe. In den Mäusen wirkte der kurz BPA genannte Stoff wie ein Hormon. Aus diesem Fund wurde über die Jahre eine große Kontroverse, die bis heute anhält. Ist der Kontakt mit Bisphenol-A aus Plastikprodukten auch für den Menschen ein Risiko? Patricia Hunt:
    "Für viele Verbraucher ist Bisphenol-A ein Grund zur Besorgnis geworden. Das hat zum Aufkommen neuer Kunststoffe geführt, die als BPA-frei gelten. Die Hersteller ersetzen darin das Bisphenol-A aber nur einfach durch Strukturanaloga - also Stoffe, deren Aufbau dem von BPA stark ähnelt."
    Unregelmäßigkeiten auch bei Bisphenol-A-Ersatzstoffen
    Bisphenol-S, kurz: BPS, ist ein solcher Ersatzstoff. Und auf den ist Patricia Hunt durch einen Zufall aufmerksam geworden. Bei allgemeinen Versuchen zur Sexualentwicklung von Mäusen, die in ihrem Labor extra in BPA-freien Käfigen aus dem Kunststoff Polysulfon gehalten wurden, entdeckte sie seltsame Unregelmäßigkeiten in den Ergebnissen. Und zwar eine erhöhte Anzahl abnormer Keimbahnzellen. Ganz so wie sie es schon vor 20 Jahren erstmals im Zusammenhang mit Bisphenol-A beobachtet hatte.
    Wie ein Deja-vu sei das für sie gewesen, erzählt Patricia Hunt. Damals hatte sich BPA aus dem Plastik der Käfige gelöst, sodass die Versuchstiere es aufnehmen konnten. Im aktuellen Fall war die Quelle der Verunreinigung erst einmal ein Rätsel. Doch weitere Versuche zeigten: Aus dem Polysulfon der Käfige kann unter Umständen Bisphenol-S freigesetzt werden. Daraufhin testete das Forscherteam um Patricia Hunt nochmals gezielt, welche Effekte kleinste Mengen von BPS auf die Mäuse haben.

    "Wir haben sowohl die Entwicklung der Eizellen als auch der Samenzellen untersucht. Und dabei sahen wir mit BPS die gleichen Veränderungen wie bei BPA."
    BPA-freie Produkte sind weniger harmlos als gedacht
    Als Quintessenz steht für Patricia Hunt die Erkenntnis: Auch die Ersatzstoffe für Bisphenol-A stellen sogenannte endokrine Disruptoren dar. Im Körper wirken sie wie körpereigene Hormone und stören hormonell gesteuerte Prozesse. BPA-freie Produkte wären demnach nicht harmlos. Zugleich erwächst daraus ihrer Ansicht nach ein grundsätzliches Problem, und zwar für die Wissenschaft. Da im Labor ständig Kunststoffprodukte im Einsatz sind, könnten viele Studien mit Tierversuchen, gerade über die Wirkung hormonähnlicher Substanzen, verfälscht sein.
    "Ich mache mir Sorgen um die Wissenschaft. Können wir aktuell wirklich noch gut kontrollierte biologische Studien durchführen, wenn wir ständig mit so vielen störenden Stoffen zu kämpfen haben?"
    Kritik an der Forschungsmethode
    Dass Patricia Hunt mit solchen Aussagen in Fachkreisen für Diskussionen sorgt, ist abzusehen. In ersten Reaktionen hagelt es schon Kritik, auch an den Methoden. Zum Beispiel liefert die Studie keine Belege, dass die im Versuch verwendeten Plastikkäfige tatsächlich die Quelle für die anfängliche BPS-Kontamination waren. Das räumt Patricia Hunt auch ein. Der Toxikologe Daniel Dietrich von der Universität Konstanz nennt die Arbeit angesichts der dünnen Beweislage gar ein klassisches Beispiel dafür...
    "... dass mit wenig Daten aus dem Kontext heraus ein Riesenwirbel gemacht wird. In diesem Artikel wird vieles extrapoliert und behauptet, ohne dass eigentlich Daten dazu geliefert werden."

    Dennoch: Der Zweifel an den Bisphenol-A Ersatzstoffen ist erst einmal gesät. Und wie bei BPA ist nicht auszuschließen, dass sich die Kontroversen darüber einmal mehr über viele Jahre hinziehen könnten.