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Brady Corbets Film "Vox Lux"
Star in der globalen Instagram-Gesellschaft

In "Vox Lux" spielt Nathalie Portman, selbst ein ehemaliger Kinderstar, eine junge Frau, die ebenfalls schon jung zur gefeierten Schauspielerin wird. Von da an muss sie aber zwei Seiten ihrer Persönlichkeit zusammenhalten.

Von Rüdiger Suchsland | 25.07.2019
Natalie Portman als Pop-Ikone Celeste im Film "Vox Lux"
Zwei Seiten des Starseins: Natalie Portman als Pop-Ikone Celeste im Film "Vox Lux" (Kinostar / Atsushi Nishijima)
Eine Passionsgeschichte: Nur knapp überlebt ein junges Mädchen mit einer schweren Wirbelsäulenverletzung ein Highschool-Massaker. Doch zugleich wird sie dadurch über Nacht berühmt. Weil sie das "certain something" hat, das gewisse Etwas, wird Celeste zum Star. Danach suchen sie ihre inneren Dämonen über ihre gesamte Karriere heim. Sie ist schüchtern, aber entschlossen, zu rein für diese Welt - und schon von ihrem Namen her ein himmlisches Geschöpf.
"Hey turn the light on, cause I've got no one to show me the way."
Der amerikanische Regisseur Brady Corbet beschreibt die Geburt der Popkultur aus dem Highschool-Massaker. Genaugenommen sogar die Entstehung unseres ganzen Zeitalters. Er zeigt die Folgen von Radikal-Individualisierung und Reaganomics. Dieser Film ist, wie seinerzeit sein Regie-Debüt "Childhood of a Leader", ein geschichtsphilosophisches Portrait der geistigen Situation der Gegenwart.
Der Film macht die apokalyptische Signatur der Zeit spürbar. Celeste steht in der Öffentlichkeit, im Zentrum der PR-Gesellschaft. Sie gibt Interviews, die aus dem Leim gehen, in denen sie aber auch viele kluge Sachen sagt. Stilistisch ist "Vox Lux" sehr virtuos. Die Einflüsse von Michael Hanekes kühler Rationalität und von Bertrand Bonellos Ästhetizismus sind unübersehbar, von beider faszinierter Verachtung der Popkultur.
Der Star als leblose Hülle
Inhaltlich ist "Vox Lux" zum Teil pure Satire, dann wieder ein Gesellschaftskommentar. Vor allem ist dies auch ein Trip. Wie Corbets erster Film ist dies ein labyrinthisches Konstrukt aus Verweisen, das fiktionale Figuren mit historischen Fakten und Schlüsselereignissen aufs Eleganteste kombiniert, sie zu deren Augenzeugen macht. So kreiert der Film die albtraumhafte Version des gegenwärtigen Star-Zirkus.
"I keep feeling like big moments get stolen away from me."
Im Zentrum als Celeste steht Nathalie Portman, eine Darstellerin die als Kinderstar begann und ihre sehr eigenen, persönlichen Erfahrungen und die entsprechende Glaubwürdigkeit in die Rolle einfließen lässt. "Vox Lux" zeigt, was Starsein bedeutet: Der Starbetrieb ist ein vampirischer Betrieb. Stars wie Celeste sind Täter und Opfer zugleich. Und der Film dringt hinter die Klischees vom kleinen unschuldigen verlorenen Mädchen, das angeblich in den Star-Körper eingeschlossen ist. Nichts wäre weniger wahr. Celeste - und nicht nur sie - ist ein "Little lost girl", aber auch ein hoffnungsloser Fall: In ihr, und nicht nur in ihr, steckt nicht ein anderes, besseres Ich, sondern womöglich nichts.
Abstieg zum Ruhm
Kurz vor Schluss, kurz vor dem großen Konzert, das Celeste in roboterhafter Perfektion in "Vox Lux" gibt, sieht man, wie sich das private Wrack in einen Star verwandelt. Man sieht alles: die Hysterie, den Stress, die Drogen und das Zusammenreißen. Dieses Zusammenreißen in der Öffentlichkeit ist die entscheidende Erfahrung, die "Vox Lux" vermittelt; der Kontrast zwischen dem Auftritt, in der Öffentlichkeit, und dem Abgrund des Privaten - und der hauchdünne Firnis, der das eine vom anderen trennt.
Corbet ist ein Filmemacher voller Ambition und von enormem Selbstvertrauen. Er denkt in Bildern, und er denkt genau. Seine Frage lautet: Was heißt es, ein Star zu sein? Was sind Stars? Die Wege zum Ruhm sind hier das Gegenteil aller idealisierten, religiös grundierten Idee vom Künstler als reinem Helden. Für Corbet ist Kunst korrupt und ein von allen Lastern infizierter Spiegel der Dekadenz unserer Zeit. Die allerdings zeigt er in schillernder Pracht.
"I am so lucky to be with you keepin' me from my shine."