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Brände und Piraten

In der frühen Neuzeit entstanden die ersten Formen von Versicherungen. Damals versicherten Händler den Verlust von Waren beim Transport - die Geburt einer lukrativen Geschäftsidee.

Von Kay Müllges |
    Den Menschen im Mittelalter drohten viele Gefahren: Dürren oder Überschwemmungen lösten Hungersnöte aus. Seuchenzüge, wie die Pest, entvölkerten ganze Regionen. Feuersbrünste verheerten die großenteils aus Holz erbauten Städte. Gegen diese Bedrohungen konnte man wenig machen, außer vielleicht um göttlichen Beistand bitten. Doch langsam, aber stetig, vollzog sich im Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ein Wandel im Denken der Menschen. Gefahren kann man nicht verhindern, aber vielleicht kann man ja ihre Folgen abfedern. Und so, weiß Cornel Zwierlein von der Ruhr Uni Bochum, entstanden die ersten Versicherungen.

    "Das sind zunächst die maritimen Transportversicherungen. Also vor allem die Versicherung gegen den Untergang von Ware, aber vor allem auch gegen Piraten, die Schiffe kapern. Und das entsteht seit dem 14. Jahrhundert etwa vor allem in Italien, also in Florenz, in Genua, in Venedig und transferiert sich von dort aus in den Norden bis ins 16. Jahrhundert hinein in Hamburg."

    Piraterie war im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit ein weitverbreitetes Problem. Insbesondere im Mittelmeer mussten christliche Seefahrer stets damit rechnen von muslimischen Piraten aus Nordafrika, den sogenannten Barbaresken gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft zu werden. Rund eine Million Seeleute aus Europa schätzen Historiker ereilte zwischen 1500 und 1800 dieses Schicksal. Doch Sklaven, das war ein natürlicher Teil des Geschäftes der Piraten, konnten auch wieder freigekauft werden. In den katholischen Seefahrerrepubliken Italiens waren vor allem religiöse Orden für solche Freikäufe zuständig. Sie veranstalteten, ganz mittelalterlich, Bittprozessionen für in muslimische Gefangenschaft geratene Landsleute, in denen sie Gott um Hilfe anflehten. Sie sammelten aber auch, ganz praktisch, Spenden um die Unglücklichen freikaufen zu können. Im Norden Deutschlands und Europas ging man einen anderen Weg. Denn hier gab es – nach der Reformation – keine Orden mehr, die solche Aktionen hätten organisieren können. 1624 wurde in Hamburg die erste Sklavenkasse gegründet.

    "Das ist eine Zwangsversicherung, die darauf ausgeht, das im Grunde jeder Matrose und jeder Kapitän, der mit seinem Schiff gen Süden fährt und das sind die entscheidenden Fahrten, mit denen im Grunde fast 60 Prozent des Hamburger Wirtschaftsaufkommens betrieben wird. Jeder muss sich dort einschreiben, jeder muss eine Prämie bezahlen, aus der im Falle der Versklavung und im Falle der Havarie des Schiffes vor den nordafrikanischen Barbareskenstaaten der jeweilige Matrose wieder freigekauft werden kann. Das heißt also das ist eine Versicherung, die als Geldsumme dann das Lösegeld ergibt, mit dem man dann freikaufen kann."
    Die Versicherungsbeiträge richteten sich nach Rang und Einkommen der Seeleute. 100 Dukaten musste ein Matrose, 300 Dukaten ein Kapitän, in die Sklavenkasse einzahlen. Das waren durchaus erkleckliche Summen, denn 100 Dukaten entsprachen dem Jahresgehalt eines Matrosen.

    "Das ist die erste Sozialversicherung praktisch, die wir damit haben. Weil sie eben staatlich ist und weil wir hier den Transfer des Versicherungsprinzips ins Staatliche haben. Sodass eigentlich alle nachfolgende Sozialversicherungen bis ins 19. Jahrhundert, wo wir mit Bismarck das Entstehen der heutigen Arbeitslosigkeits- und Unfallversicherungen haben, sind eigentlich Abkömmlinge dieses zunächst exotischen, kleinen Falles, der mit den Sklavenversicherungen begonnen hat."

    Und auch bei weiteren Versicherungen war Hamburg der Vorreiter. 1676 wurde auf Beschluss des Rates der Stadt die Hamburger Feuerkasse gegründet,

    "wo die etwa 4200 Häuser der Stadt auch praktisch zwangsversicherungsmäßig dazu angehalten worden sind vom Rat, öffentlich-rechtlich auch wieder organisiert, sich zusammenzuschließen und mit bestimmten Prämieneinzahlungen, mit einem Eigenrisikoanteil von einem Viertel, damit die Leute sozusagen nicht extra ihre Häuser abbrennen, damit sie sie billig wieder aufbauen können, auch daran hat man damals schon gedacht, da konnte man sich und musste man sich in Hamburg eintragen und hat dann im Brandfall sein Geld wieder zurückbekommen."

    Die Hamburger Feuerkasse gibt es übrigens heute noch und sie ist damit die älteste Versicherungsgesellschaft der Welt. Doch zurück zur Sklavenkasse. Das Hamburger Beispiel machte schnell Schule. Schon kurz darauf wurden in Lübeck, Kopenhagen und anderen Nord- und Ostseestädten Sklavenkassen nach Hamburger Muster eingerichtet. Und das, obwohl die Einlösung der Versicherungsleistung in der Praxis durchaus einige Probleme bereitete. Cornel Zwierlein:

    "Der Freikauf war dann durchaus schwierig und das hat dann durchaus Aspekte von Abenteuer. Die Hamburger hatten in den Barbareskenstaaten keine eigenen Vertreter, das heißt, sie mussten über niederländische oder französische Konsuln oder auch über jüdische Kaufleute, die dort wirkten, sich im Grunde um den Freikauf bemühen. Und die Sklaven mussten erst mal die Möglichkeit bekommen mit Briefen in den Norden zu schreiben, was bei den damaligen Transportbedingungen durchaus recht lange dauern konnte. Sodass also ein Sklave natürlich erst mal relativ lange mit hoher Wahrscheinlichkeit dort blieb in Nordafrika, bis also ein Freikauf funktionierte."

    Durchaus modern muten die Versicherungsbedingungen an. So musste die Sklavenkasse zum Beispiel nicht zahlen, wenn Schiffe nicht im Konvoi fuhren oder nicht genügend bewaffnet waren oder sich einfach nicht genug gegen die Piraten gewehrt hatten. Insgesamt aber erwies sich die Sklavenkasse als durchaus segensreiche Einrichtung, die im Laufe der Zeit schätzt Zwierlein, wohl einige Tausend Sklaven freikaufte. In den calvinistischen Staaten England und den Niederlanden ging man übrigens einen anderen Weg als im lutherischen Norddeutschland. Hier schloss man völkerrechtliche Verträge mit den Barbareskenstaaten ab, in denen man sich – gegen Zahlung einer hohen Geldsumme, die praktisch den normalen Lösegeldforderungen entsprach – von Piratenüberfällen freikaufte. Praktisch funktionierten diese sogenannten Türkenpässe so,

    "dass die sogenannte Pässe ausgestellt bekommen haben, die wie ein Puzzle aufgebaut waren. Das heißt, das hatte zwei Teile. Den einen Teil, der in gezackter Wellenlinie ein gemaltes Schiff durchbrochen hat. Diesen einen Teil haben dann die Barbaresken bekommen, die Korsaren. Und jedes Mal wenn die Korsaren dann auf ein niederländisches Schiff gestoßen sind, mussten die Niederländer ihre Hälfte vorzeigen und die Korsaren haben dann ihre Hälfte darangelegt. Und wenn in der gezackten Wellenlinie, mit der das unterbrochen war, das Schiff dann wieder gut sichtbar erschienen war, dann hieß das: Okay, ihr seid frei, wir kapern euch nicht."