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Brahms, Brahms, Brahms

Nur noch 38 Tage dauert es, das Brahms-Gedenkjahr 2008. Zum 175. Geburtstag des Hamburger Komponisten ist eine ganze Flut an Neuerscheinungen auf den Plattenmarkt geschwappt. Hervorragende, gute, mittelmäßige und zu vernachlässigende. Zum Jahresende haben sich auf meinem Schreibtisch zu einem kleinen Stapel noch mal drei Brahms-CDs getürmt, die mir allesamt so gut gefallen haben, dass ich Sie Ihnen nicht vorenthalten kann.

Von Maja Ellmenreich |
    Im Schnellverfahren daher heute zum einen die Klavierquartette 1-3 mit den Gebrüder Capuçon und befreundeten Musikern, zum anderen Kammermusikwerke für bzw. mit Viola – hier steht der Bratscher Maxim Rysanov im Zentrum – und zu Beginn eine Aufnahme des Brahmsschen Horntrios op. 40. Dafür haben sich die drei Musiker auf eine Zeitreise begeben und versucht, dem Klang der Brahms-Zeit so nah wie möglich zu kommen.

    "1.) Johannes Brahms: I. Andante
    aus Trio für Violine, Horn und Klavier Es-dur, op. 40"

    Wohlig-warm, irgendwo zwischen dunkelrot und tiefbraun, mit einem Geruch von altem Holz – diese Neueinspielung des Horntrios von Johannes Brahms setzt sofort eine Lawine synästhetischer Assoziationen in Gang. Musik, die riecht und schmeckt, die Farbe besitzt und Wärme ausstrahlt. Die Geigerin Isabelle Faust, der Hornist Teunis van der Zwart und der Pianist Alexander Melnikov verdienen höchstes Lob – dabei ist ihr Vorhaben fast ein wenig anmaßend gewesen. Sie wollten den Originalklang des Brahms-Trios rekonstruieren. Und dabei tappt man – so wissenschaftlich fundiert man auch vorgehen mag – immer ein bisschen im Dunkeln. Wie nah sie dem Original tatsächlich gekommen sind, lässt sich einfach nicht sagen. Aber mit der Wahl ihres historisch korrekten Instrumentariums haben die drei mit Sicherheit den richtigen Weg eingeschlagen: Isabelle Faust hat ihre "Dornröschen"-Stradivari von 1704 mit Darmsaiten bezogen. Teunis van der Zwart spielt nicht Ventilhorn, sondern Naturhorn – wie von Brahms ausdrücklich gewünscht. Und Alexander Melnikov sitzt nicht am modernen Konzertflügel, sondern an einem Bösendorfer-Flügel von 1875.
    Zu dem eigentümlich-historischen Klang der drei Instrumente gesellt sich eine perfekte Musizierweise, wie sie nur Profimusiker zu Beginn des 21. Jahrhunderts beherrschen. Diese Neueinspielung aus dem Hause harmonia mundi hat zweifelsohne Atmosphäre. Wer das informative Booklet gelesen hat, meint fast, der Uraufführung des Trios im November 1865 durchs Schlüsselloch zu lauschen. Dass der Hornist damals allerdings das ventillose Horn so meisterhaft zu zähmen wusste wie hier Teunis van der Zwart – das kann man sich kaum vorstellen.

    "2.) Johannes Brahms: IV. Finale. Allegro con brio
    aus Trio für Violine, Horn und Klavier Es-dur, op. 40"

    Isabelle Faust, Teunis van der Zwart und Alexander Melnikov – bei harmonia mundi ist ihre neue CD erschienen. Im Mittelpunkt: das Trio, op.40, von Johannes Brahms.

    Das findet sich auch auf einer Doppel-CD, die vor wenigen Wochen das britische Label onyx auf den Markt gebracht hat. Dort allerdings klingt es ganz anders, denn das Horn wurde durch eine Bratsche ersetzt. Johannes Brahms selbst hat diese Fassung eingerichtet, weil er vielleicht ein Herz für die Bratsche, ganz sicher aber ein Herz für die flächendeckende Verbreitung seiner Kompositionen hatte. Auch bei seinen beiden Klarinettensonaten, opus 120, und dem Klarinettentrio, opus 114, hat er das Blasinstrument in einer alternativen Fassung durch die Bratsche ersetzt. All diese Bearbeitungen präsentiert der junge Bratscher Maxim Rysanov auf seiner neuen Doppel-CD. Er gehört neben dem Franzosen Antoine Tamestit und dem Deutschen Nils Mönkemeyer in die erste Liga der jungen Bratscher, die es gar nicht mehr nötig haben, auf die Außenseiterrolle ihres Instrumentes hinzuweisen. Sie befreien als selbstbewusste Virtuosen die Bratsche aus ihrem Schattendasein, nicht zuletzt, weil sie sie wie eine Geige singen lassen können, ihr aber auch die bratschentypischen dunklen Klänge entlocken können.

    "3.)Johannes Brahms: III. Allegretto grazioso
    aus Sonate für Viola und Klavier f-moll, op. 120 Nr. 1"

    Für ihn scheinen die Gesetze der Schwerkraft nicht zu gelten: Das Bratschenspiel von Maxim Rysanov ist schwerelos, nichts bremst die Beweglichkeit aus, nichts schränkt sie ein.
    Beeindruckend, diese Mühelosigkeit, aber gelegentlich ist sie auch der Gefahr ausgeliefert, in Belanglosigkeit umzuschlagen. Denn Brahms' Musik ist schlicht und kompliziert zugleich, lebt von der großen Geste, dem wirkungsvollen Gefühl, aber auch von der Nuance, der Kleinigkeit, die – wenn sie entdeckt wird – große Bedeutung bekommt. Einen Hauch mehr Innigkeit nur wünsche ich mir von Maxim Rysanov an der einen oder anderen Stelle, aber dennoch verzaubert er schlichtweg mit der Schönheit seines Spiels.

    "4.)Johannes Brahms: II. Allegro appassionata
    aus Sonate für Viola und Klavier Es-dur, op. 120 Nr. 2"

    Gut zwei Stunden Musik, Kammermusik von Johannes Brahms, liefern der Bratscher Maxim Rysanov und vier Musikerkollegen auf der neuen Doppel-CD, die beim britischen Label onyx erschienen ist.
    Zwei Silberlinge füllt auch die jüngste Aufnahme der Gebrüder Capuçon – die dritte Einspielung, die ich Ihnen heute Morgen vorstellen möchte: Der Geiger Renaud und der Cellist Gautier arbeiten sich ja seit Jahren systematisch durch das klassisch-romantische Kammermusikrepertoire. Schuberts Forellenquintett, Brahms' Klaviertrios, Werke von Mendelssohn und Haydn – der Aufnahmefleiß der beiden sucht seinesgleichen, die Diskographien der 32 und 27 Jahre alten Brüder aus Frankreich können sich sehen lassen. Und doch klingen ihre Einspielungen so gar nicht nach Fließbandproduktion! Sie bestechen allesamt durch jugendlich-stürmischen Schwung, durch saftigen Klang und rhythmische Prägnanz. So auch die drei Brahmsschen Klavierquartette, die jetzt bei Virgin Classics erschienen sind. Renaud und Gautier Capuçon haben wieder auf vertraute Partner gesetzt, den Bratscher Gérard Caussé und den Pianisten Nicholas Angelich mit ins Boot geholt. Profis, die natürlich eine kammermusikalische Einheit zu bilden wissen, klanglich kommen sie bei dieser Aufnahme aber geradezu solistisch zu ihrem Recht: Kein Klangbrei, sondern vier ausdifferenzierte Stimmen sind zu hören – passend zur Brahmsschen Komponierweise. Erfreulich ist dabei auch, dass die tiefen Stimmen – Gautier Capuçons Cello, die Bratsche von Gérard Caussé und die linke Hand von Nicholas Angelich – besonders gut herauszuhören sind. Klangbalance, die eine wahre Freude ist!

    "5.)Johannes Brahms: III. Scherzo. Poco allegro - Trio
    aus Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello Nr. 2 A-dur, op. 26"

    Renaud und Gautier Capuçon, Gérard Caussé und Nicholas Angelich haben Brahms' Klavierquartette für Virgin Classics aufgenommen. Davor habe ich Ihnen die Doppel-CD "Brahms Viola" vorgestellt, bei der der Bratscher Maxim Rysanov im Mittelpunkt steht – bei dem britischen Label onyx ist die Aufnahme erschienen. Und zu Beginn dieser Sendung ging's um eine Neuerscheinung aus dem Hause harmonia mundi: um opus 40, das Horntrio von Johannes Brahms, das Isabelle Faust, Teunis van der Zwart und Alexander Melnikov eingespielt haben.
    Zu viele Interpreten, zu viele Opusnummern, zu viele Labelnamen? Unter www.dradio.de finden Sie im Internet alle Angaben noch mal zum Nachlesen. Damit verabschiedet sich am Mikrofon: Maja Ellmenreich.

    "CD 1:
    Johannes Brahms:
    Trio für Violine, Horn und Klavier Es-dur, op. 40
    Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 G-dur, op. 78
    Sieben Fantasien für Klavier, op. 116

    Isabelle Faust, Violine
    Teunis van der Zwart, Horn
    Alexander Melnikov, Klavier
    harmonia mundi 901981, LC 7045

    CD 2:
    Johannes Brahms:
    Sonate für Viola und Klavier f-moll, op. 120 Nr. 1
    Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 G-dur, op. 78
    bearbeitet für Viola und Klavier
    Trio für Viola, Violine und Klavier Es-dur, op. 40
    Sonate für Viola und Klavier Es-dur, op. 120 Nr. 2
    Trio für Viola, Violoncello und Klavier a-moll, op. 114

    Maxim Rysanov, Viola
    Katya Apekisheva, Klavier
    Boris Brovtsyn, Violine
    Jacob Katsnelson, Klavier
    Kristine Blaumane, Violoncello
    onyx 4033, LC 04156

    CD 3:
    Johannes Brahms:
    Klavierquartette Nr. 1-3

    Renaud Capuçon, Violine
    Gérard Caussée, Viola
    Gautier Capuçon, Violoncello
    Nicholas Angelich, Klavier
    Virgin 236 107 2, LC 7873"