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Brain-Computer-Interface Neuralink
Elon Musks Hirngespinst

2016 gründete Elon Musk das Neurotechnologie-Unternehmen Neuralink. Seine Vision: Implantate mit denen sich Gehirne direkt mit Computern verbinden lassen. Derzeit wird ein Brain-Computer-Interface an einem Schwein getestet. Von einem Durchbruch will außer Elon Musk aber keiner sprechen.

Von Volkart Wildermuth | 02.09.2020
Graphische Illustration eines Brain-Computer-Interfaces
Graphische Illustration einer direkten Schnittstelle zwischen menschlichem Gehirn und Computer (xagsandrewx / Imago)
Auf einer Pressekonferenz hat Elon Musk jüngst die neuesten Fortschritte seiner Firma Neuralink präsentiert: Ein Gehirnchip mit über 1000 Elektroden, der die Aktivität der grauen Zellen eines Hausschweins registriert und beeinflusst. Laut Elon Musk könnten solche Neuroimplantate künftig Blinde wieder sehen und Lahme wieder gehen lassen - und außerdem bei Depressionen, chronischem Schmerz und Sucht helfen. Langfristig will Elon Musk sogar menschliche Gedanken direkt in den Rechner übertragen - ohne den Umweg über Tastatur, Maus oder Sprachbefehle.

Was halten Fachleute von Elon Musks Versprechen?

Bei einer Pressekonferenz, die das Science-Media-Center Deutschland am 2. September zum Thema veranstaltet hat, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Von einem Durchbruch wollte keiner der beteiligten Forscher sprechen. Denn Neuralink ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das an Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer arbeitet. Es gibt bereits etablierte Anwendungen: Etwa wenn Elektroden im Gehirn von Parkinsonpatienten das Zittern dämpfen oder Cochleaimplante Menschen, die von Geburt an taub sind, etwas hören lässt. Die Einpflanzung solcher Neuroimplantate ist inzwischen Alltag in den Klinken. Versuche, Signale aus dem Gehirn auszulesen, um etwa komplett gelähmten Personen die Steuerung eines Computers oder ihres Rollstuhls zu ermöglichen, sind dagegen noch in der Forschungsphase. Ganz neu ist der Ansatz von Neuralink nicht. Prof. Thomas Stieglitz vom Exzellenzcluster 'BrainLinks - Brain-Tools' der Universität Freiburg räumte aber ein: Was Elon Musks Firma da präsentiert habe, sei technisch schon sehr gut und vor allem auch sehr schnell umgesetzt worden.
Technologieunternehmer Elon Musk präsentiert am Rande der Vorstands-Klausur der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen RNA Printer, ein Gerät zur Herstellung von Impfstoff-Kandidaten. 
Elon Musk besucht die Vorstands-Klausur der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (dpa /picture alliance/ Tobias Schwarz)

Wie funktioniert Neuralink?

Das System besteht aus drei Elementen. Da sind erst einmal sehr feine flexible Kunststofffäden, die die Elektroden enthalten. An 1024 Punkten können diese Elektroden die elektrischen Signale der Nerven belauschen - oder umgekehrt selbst elektrische Impulse abgeben, um Nervenzellen anzuregen. Das haben bislang nur wenige andere Gruppen erreicht. Element zwei ist ein Alleinstellungsmerkmal: Die Elektroden werden von einem OP-Roboter im Gehirn der Schweine platziert. Ob diese erhöhte Präzision wirklich relevant ist, lässt sich derzeit nicht sagen. Das dritte Element von Neuralink ist technisch der Clou. Während die Signale aus dem Gehirn normalerweise meist über Kabel weitergemeldet werden oder über relativ große implantierte Funkeinheiten, übernimmt das bei Neuralink ein münzgroßer Funkchip, der ein Stück Schädeldecke ersetzt. Der Chip wertet erst einmal die Signale der Elektroden aus, konkret sucht er nach sogenannten Spikes, also den Nervenimpulsen. Und nur diese Spikes sendet er dann per Bluetooth-Verbindung an ein Handy, wo man sie hörbar machen und auswerten kann.

Was lässt sich mit so einem Hirnchip anfangen?

Derzeit noch gar nichts - und das finden die Experten dann doch etwas enttäuschend. Man kann zwar hören, wenn die Nerven im Gehirn des Schweins Gertrud feuern. Aber die entscheidende Hürde ist die Auswertung der Signale aus dem Gehirn: Wie lassen sich die Spikes, die Nervenimpulse sinnvoll interpretieren? Dazu hat Elon Musk bisher nichts gesagt und da sind andere schon deutlich weiter. Der Hirnforscher Prof. Pascal Fries aus Frankfurt am Main ist überzeugt: Systeme wie Neuralink haben in Zukunft viel Potenzial, um Menschen zu helfen, die nach einem Unfall oder einem Schlaganfall gelähmt sind. Auf diesem Feld will Neuralink auch bald eine erste klinische Studie starten, die auch von der amerikanischen Behörde FDA schon genehmigt wurde. Dabei wird es aber wohl erstmal um die Sicherheit des operativen Eingriffs gehen. Perspektivisch sollen dann die Hirnsignale genutzt werden, um etwa einen Rollstuhl zu steuern. Dazu braucht man noch keine Gedanken zu lesen, da geht es um grobe Informationen: Will der Patient nach rechts oder links? Aber Elon Musk möchte auch deutlich komplexere Krankheiten des Gehirns angehen. Er sagte: "Nerven sind wie elektronische Schaltungen. Man braucht Elektronik, um ein elektronisches Problem zu lösen." Das ist die Perspektive des Ingenieurs. Allerdings hatten die Experten hier doch den Eindruck, dass die biologische Realität des Gehirns deutlich komplexer ist, als Elon Musk sich das vorstellt. Und die Vorstellung per Neuralink künftig das Gedächtnis herunterzuladen oder auch nur einen Text zu diktieren, hielten sie eher für Science Fiction. Zumal es sich hier ja um einen Eingriff ins Gehirn handelt, der immer auch Gefahren birgt. Also sicher nichts, was Konsumenten einfach mal so zum Spaß machen sollten.

Also viel Lärm um nichts?

Nein, dieses Urteil wäre zu scharf. Neuralink zeigt, was möglich ist, wenn man viel Geld und kluge Menschen auf ein konkretes Ziel ansetzt. Mittelfristig könnte sich diese Technologie zu einem sehr nützlichen Werkzeug entwickeln. Wofür man dieses Werkzeug dann einsetzt, steht auf einem anderen Blatt - und da braucht es dann eben auch ein tiefes Verständnis des Gehirns. Prof. Alireza Gharabaghi vom Universitätsklinikum Tübingen meinte, dass wir jetzt überlegen müssen: Was sind denn wichtige Ziele? Welche Krankheitsbilder sollen angegangen werden? Und was wollen wir dann auch investieren? Es wäre jedenfalls wichtig, dass auch in Europa hier weiter auf hohem Niveau geforscht wird, und da könnte die Konkurrenz aus den USA vielleicht sogar hilfreich sein. Denn nur wenn wir in Europa die Technologie aktiv mitgestalten, können auch europäische Vorstellungen zum Beispiel zum Schutz von Gehirndaten umgesetzt werden. Momentan sind diese Daten nur einzelne Nervenimpulse und erlauben noch keine tieferen Einblicke in die Persönlichkeit. Aber das könnte sich künftig durchaus ändern - und darauf sollte man vorbereitet sein.