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Brainboy statt Gameboy?

Rund drei Prozent der Grundschüler haben eine echte Lese-Rechtschreib-Schwäche, wobei viele der Betroffenen überdurchschnittlich intelligent sind. Niemand kennt die genauen Ursachen der Legasthenie, doch scheinen viele Faktoren dabei eine Rolle zu spielen, von Hirnleistungsstörungen bis zur genetischen Disposition. Die Behandlung ist schwierig - nur wenige Kinder finden einen Weg aus der Lese-Rechtschreib-Schwäche. Seit 1998 gibt es ein kleines, handliches Gerät - den so genannten Brainboy - mit dem offenbar beachtliche Erfolge erzielt werden können. Das jedenfalls haben Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover herausgefunden, die das Gerät im Rahmen einer Studie prüften.

Von Michael Engel |
    Mit seinem richtigen Namen möchte der aufgeweckte Junge nicht genannt werden - aus Angst vor Hänseleien in der Schule. Also einigen wir uns auf "Fabian". Fabian leidet unter Legasthenie – verpatzt alle Diktate - zum Leidwesen seiner Mutter:

    Mein Sohn ist inzwischen 11 Jahre alt, geht in die fünfte Klasse, hatte in der gesamten Grundschulzeit nur geübte Diktate, und jetzt in der fünften Klasse - mit den ungeübten Diktaten - haben wir eine immense Fehlerhäufung gehabt. Er hat schon über ein Jahr in der Schülerhilfe Nachhilfe, was natürlich jeden Monat gutes Geld kostet, aber er hat dort keine Fortschritte gemacht.

    Jetzt sitzt der Schüler bei Fred Warnke in Bissendorf bei Hannover. Der ehemalige Mitarbeiter eines Technikunternehmens entwickelte ein Gerät, um lern- und leseschwachen Kindern wie Fabian zu helfen - den Brainboy! Das handliche Gerät blinkt und es macht Töne, die über einen Kopfhörer eingespielt werden.

    Die erste Übung, die wir machen, sieht folgendermaßen aus. Du siehst hier ein Kreuz mit einem Kreis, und links und rechts daneben siehst Du Löcher, und in diesen beiden Löchern wird es gleich kurz aufblitzen. Du legst bitte Deine Hände auf die Knie, auf Deine Knie, und Du hebst dann die Hand auf der Seite, auf der Du den ersten Blitz gehört hast. Achtung:

    Am Anfang macht Fabian alles richtig. Sind die Intervalle kürzer als 55 Millisekunden, kann der Junge allerdings keinen Unterschied mehr feststellen. Für Fred Warnke ein Zeichen dafür, dass es Probleme mit dem Zentralnervensystem gibt: Fabians Gehirn kann die Licht- und Tonsignale nicht schnell genug verarbeiten. Experten sprechen von Low-Level-Fertigkeiten, die bei Fabian offensichtlich unausgereift sind. Solche Fertigkeiten – so Warnke – sind wichtig für die Kommunikation:

    .... das Richtungshören, die Fähigkeit, unterschiedliche Töne voneinander zu unterscheiden, die Fähigkeit, akustische Muster zu erkennen. Auch wenn sie schnell aufeinander folgen. Alles nicht unmittelbar sprachbezogen, sondern eine Ebene unter der Sprache.

    In diesem Fall – wenn die Low-Level-Fertigkeiten nur mäßig entwickelt sind - kann der Brainboy weiterhelfen. Das Gerät aktiviert die Wahrnehmung und trainiert die Reaktionsgeschwindigkeit. Mit herkömmlicher Nachhilfe stellt sich eine Besserung der Schulleistung frühestens nach zwei Jahren ein, urteilt Prof. Uwe Tewes von der Medizinischen Hochschule Hannover, MHH: der Brainboy hingegen führt schneller zum Ziel.

    Dieses Programm hatte seine maximale Erfolgsquote schon nach einem Vierteljahr und das war noch nach einem halben Jahr stabil. Das Zweite ist, dass die prozentualen Erfolgsquoten bei den Standardprogrammen wesentlich geringer sind.

    18,9 Prozent der Kinder profitierten vom Brainboy, so das Ergebnis der MHH-Studie. Mit traditionellen Methoden sind es dagegen nur 6,8 Prozent. Das Verfahren hilft aber nur bei Hirnleistungsstörungen, nicht aber zum Beispiel bei Schwerhörigkeit infolge einer Mittelohrentzündung. Deshalb die Empfehlung, in jedem Fall eine genaue Diagnose stellen zu lassen. Trainieren die betroffenen Kinder zusätzlich noch mit einem anderen Verfahren – dem sogenannten "lateralen Synchronlesen” – erhöht sich die Erfolgsquote mit dem Brainboy sogar auf 42,6 Prozent.

    Diese Kinder lesen einen Text vom Blatt ab, bekommen aber gleichzeitig den selben Text von einer Stimme im Kopfhörer dargeboten und müssen nun den Text, den sie hören und sehen und den sie selbst sprechen, synchronisieren. Und das wechselt laufend in kurzen Abständen. Mal hören sie die eigene Stimme rechts und die fremde Stimme links, und dann wechselt das laufend. Das soll die so genannten integrierenden Hirnfunktionen trainieren und flexibler machen.

    Sie wurden jedoch ständig unterbrochen, durch ein knallendes Geräusch, nachdem die Hilferufe für einige Sekunden verstummten.

    Was sich im Gehirn genau abspielt, wenn die Kinder synchron lesen und mit dem Brainboy trainieren, soll nun mit einem neuen Forschungsprojekt ausgelotet werden. Prof. Tewes will 200 Kinder computertomographisch untersuchen, während sie therapiert werden. Die Hoffnung dabei: neue Diagnosetechniken zu entwickeln, die eine individuell zugeschnittene Therapie erlauben.

    Mehr Informationen über den Brainboy geben Logopäden, Kinderpsychotherapeuten und HNO-Mediziner. Auch im Internet – unter www.brainboy.de - kann man sich das handliche Geräte schon einmal anschauen.