Samstag, 20. April 2024

Archiv

Bramantino
Ausstellung über die Renaissance der "französischen" Lombardei

Von Henning Klüver | 04.10.2014
    Als im Jahr 1499 französische Truppen von König Ludwig XII. in Mailand einmarschieren, beginnt eine über zwei Jahrzehnte lange Auseinandersetzung der europäischen Großmächte Frankreich und Spanien um die Kontrolle Norditaliens. Erst 1525 können sich endgültig die spanischen Habsburger unter Karl V. durchsetzen. Das sind kriegerische Jahre und viele Künstler und Intellektuelle verlassen die Lombardei.
    "Bramantino hingegen, der zur Zeit von Lodovico Sforza in Mailand gearbeitet hatte, bleibt trotz des Untergangs des Herrscherhauses im Land. Er wird für die Besatzer, also für die Franzosen unter Ludwig XII., zu einem wirkungsvollen Interpreten. Und malt zum Beispiel für den Heerführer und Statthalter, den Grafen von Ligny, einen Freskenzyklus in dessen Villa bei Voghera."
    Der Kunsthistoriker Mauro Natale, der an der Universität Genf unterrichtet, hat diese Ausstellung über "Bramantino und die neue Kunst der Renaissance in der Lombardei" eingerichtet. Sie zeichnet den Werdegang des Künstlers von seinen Anfängen um 1480 bis Ende 1520 nach, in denen Bartolomeo Suardi vor allem in Mailand und Umgebung tätig ist.
    "In den Dokumenten taucht der Beiname Bramantino von 1498 an auf. Das bedeutet, das Suardi zuvor in enger, intimer, fast brüderlicher Art mit Donato Bramante, den Meister aus den mittelitalienischen Marken, zusammen gearbeitet hatte."
    Bei Bramante, dem großen Erneuerer der Architektur und der Malerei in der Lombardei, bekommt Bartolomeo Suardi seinen letzten Schliff, nachdem er in lokalen Malschulen aufgewachsen war. Das zeigt sich etwa in der Darstellung eines auferstandenen Christus, die eine große Sicherheit im Umgang mit Formen und der perspektivischen Darstellung auszeichnet. Die naturalistische Körperzeichnung, die Muskulatur, der Verlauf der Venen etwa, lassen auch an anatomische Studien eines Leonardo da Vinci denken, der ja wie Bramante am Mailänder Hof tätig gewesen war. Bramantino allerdings tritt weniger am Hof des Herzogs auf, sondern findet seine Auftraggeber eher im Umfeld.
    "Das sind Aristokraten, Intellektuelle und vor allem die Bruderschaften, also Vereinigungen von Laien, in denen jeweils verschiedene Schichten der Gesellschaft zusammen kommen. Sie werden zum wichtigsten Auftraggeber."
    In diesen Schichten macht sich zunehmend eine religiöse und philosophische Unruhe breit, die Ausdruck der Umbruchstimmung der Zeit ist und besonders in der Lombardei von Wanderpredigern geschürt wird. Sie richtet sich auch gegen kirchliche Hierarchien. In Mailand findet sogar um 1512 ein gegen den Papst gerichtetes Konzil statt, das letztlich scheitert, aber zugleich andeutet, was kommende Bewegungen wie der Protestantismus oder die Reformbewegung von Trient aufnehmen werden. Die Arbeiten von Bramantino verändern sich. Frühere Gemälde wie die "Geschichten von Philemon und Baucis", die aus dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum den Weg nach Lugano gefunden haben, zeigen eine Fülle von Details und Gestalten, sie spielen noch mit prächtigen Farben unter einem tiefblauen Himmel. Ab der Jahrhundertwende dann verlieren die Figuren an Individualität. Die Farben verblassen und die Formen vereinfachen sich. Zum Beispiel in einer "Flucht aus Ägypten", die um 1520 für eine Wallfahrtskirche bei Locarno entstand und für die Ausstellung restauriert wurde.
    "Das ist keine naive Vereinfachung, sie ist ethisch begründet und zugleich kunstfertig durchgeführt. Sie interpretiert diese Stimmungslage, diese angstvolle Unruhe, die alle Schichten der Gesellschaft ergriffen hatte."
    Die sehenswerte Ausstellung, die mit herrlichen Leihgaben von Museen aus Boston, Florenz, Madrid, Budapest oder Mailand prominent bestückt ist, zeigt entscheidende Werke aus allen Schaffensphasen Bramantinos von der naturalistischen Frühzeit über die nichtreligiösen Arbeiten bis zu den radikalen Vereinfachungen der Jahre kurz vor seinem Tod 1530.
    Dazu kommen Gemälde und kleinere Kunstobjekte aus seinem Umkreis oder Arbeiten von Nachfolgern wie Bernardino Luini und Gaudenzio Ferrari. In den intimen Räumen des Museo Cantonale d'Arte von Lugano, die ein Ambiente schaffen, in dem die Exponate in jeweils kleinen Gruppen zueinander in Beziehung treten, wirken besonders Bramantinos letzte Werke unglaublich modern.
    Ausstellungsinfos:
    "Bramantino. Die Neue Kunst der lombardischen Renaissance", 27.09.2014 bis 11.01.2015, Museo Cantonale d'Arte, Via Canova 5, 6900 Lugano, Schweiz