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Brasiliens Klima-Krieger
Wie die Surui mit GPS den Wald retten

Im Nordwesten Brasiliens liegt das Reservat der Surui. Das indigene Volk lebte bis in die 1960er-Jahre isoliert von der Außenwelt. Ihr heute offiziell anerkanntes Gebiet wird immer wieder von Holzdieben und Goldgräbern bedroht. Doch dagegen wehren sie sich längst nicht mehr nur mit Pfeil und Bogen.

Von Anne Herrberg | 12.11.2016
    Regenwald am Amazonas in Peru, aufgenommen am 05.10.2005
    Knapp 250.000 Hektar Land hat das Volk der Surui im Nordosten Brasiliens. (Jose Alvarez/dpa)
    Der Wald ist ein großes, grünes Haus und die Surui nur einige von Tausenden Bewohnern dieser Welt aus Wurzeln, Lianen, Blättern. Äffchen hangeln sich von Baum zu Baum, Vögel rascheln im Gestrüpp. Mopiri Surui formt das Blatt einer Schlingpflanze zu einer Pfeife und ahmt ihren Lockruf nach.
    Mopiri Surui ist Kazike, Häuptling des Volkes der Surui. Knapp 250.000 Hektar haben sie im Nordosten Brasiliens, ihr Land haben sie "Siebter September" getauft, benannt nach dem jenem Tag im Jahr 1969 als die Außenwelt, die sogenannte Zivilisation zum ersten Mal in Kontakt mit dem indigenen Volk aufnahm das damals noch 5.000 Mitglieder zählte. "Es gab damals eine Epidemie nach dem ersten Kontakt. Tuberkulose. Fast die gesamte Bevölkerung starb. 80 Prozent unseres Volkes: Kinder, Babys, Jugendliche, Alte - egal. Gerade mal jeder Fünfte überlebte."
    Monokulturen soweit das Auge reicht
    Damals wurde die 'Transoceánica' gebaut, eine Straße vom Atlantik zum Pazifik, einmal quer durch den Kontinent und durch Mato Grosso, den 'dichten Wald' wie der Name des Bundesstaates im Nordwestens Brasiliens übersetzt heißt.
    Heute sieht man dort fast keinen Baum mehr. Stattdessen: Monokulturen soweit das Auge reicht: Mais, Soja, Baumwolle, alle genmanipuliert und produktiv gehalten mit Chemikalien und Unkrautvernichtern von Bayer und Monsanto.
    "1987 gründete ich mein eigenes Unternehmen mit gerade mal 600 Dollar in der Tasche. Dann haben wir Soja angebaut und Biodiesel produziert."
    Marino Franz kam als Sohn armer deutscher Einwanderer hierher – heute leitet er das drittgrößte Agrarkonzern Brasiliens, sein bester Kunde: China.
    "Die Chinesen kaufen bei uns, weil wir viel Platz und Agrarflächen haben. Wir sind ein starkes Produzent, denn die Natur ist ideal für den Anbau. Und wir haben genügend Arbeitsplätze."
    Für die Surui ist der Wald Lebensraum
    Für Marino ist der Boden Kapital, aus dem der maximale Profit herausgeholt werden muss, Bäume stören – für die Surui ist der Wald Lebensraum, doch der schrumpft immer weiter, allein im letzten Jahr wurden in der Amazonasregion wieder 6.200 Quadratkilometer abgeholzt, das ist fast sieben Mal Berlin. Selbst das Reservat der Surui, offiziell von der Indianerbehörde geschützt, ist davon nicht ausgenommen, erzählt der Jäger Ubiratan Surui.
    "Wir müssen kämpfen, damit unser Wald erhalten bleibt und nicht abgeholzt wird. Denn wir leben im Wald, hängen von ihm ab." Unsere traditionelle Medizin wächst im Urwald.
    Sein Kollege Mopidmane zieht sich den Federschmuck zurecht, legt Pfeil und Bogen beiseite und nimmt ein Laptop zur Hand. Wenn man mit Google Earth von oben auf das Reservat blickt, wird es zu einem Quadrat mit Zacke, die Grenzen wie mit dem Lineal gezogen, rundherum liegen Plantagen, alles ist braun – aber auch im Surui-Gebiet gibt es braune Flecken und Schneisen. Immer wieder dringen illegale Holzfäller ein und roden.
    Neben Umweltverbänden half auch Google
    "Früher hatten wir nicht diese Werkzeuge. Jetzt aber können wir damit den Behörden eindeutig nachweisen, dass hier Holzdiebe oder Goldgräber am Werk sind. Eine Umweltorganisation wurde auf unsere Schwierigkeiten aufmerksam – und so brachte man uns bei, wie man GPS und Kamera nutzt."
    Weil die lokalen Behörden kaum etwas gegen die illegale Abholzung tun, sind die Surui selbst aktiv geworden. Zwei Mal im Monat patrouillieren sie durch ihr Gebiet. Mit Pfeil und Bogen, aber auch mit GPS, Kamera und Tracker. So kartografieren sie jeden Winkel, dokumentieren, wo gerodet wurde und wo nicht. Die Ergebnisse werden online gestellt und per Facebook geteilt. Umweltschutz 2.0.
    Neben Umweltverbänden half auch Google. Das Unternehmen aus Kalifornien schickte sogar ein Team nach Brasilien, das den Surui Software-Seminare gab. "Wir haben jetzt weniger Eindringlinge, weniger Kahlschlag. Wir sind wieder Herren unseres Territoriums. Und weil wir den Wald, unseren CO2-Speicher, erhalten, haben wir jetzt sogar Einkünfte."
    Die Surui sind in den globalen Emissionshandel eingestiegen, mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten haben sie insgesamt 1,1 Millionen Euro verdient. Mit dem Geld kaufen sie Setzlinge. Sie forsten ihren Wald wieder auf, einen grünen Schutzwall gegen die immer größer werdenden Mais- und Sojaplantagen rundherum, die sogenannte Zivilisation.