Am Eingang zur Ausstellung hängen drei Fotos der Künstlerin. Sie spielt mit ihrer Skulptur "Das kleine Nichts" - ineinander verschlungene und verstrickte Schläuche aus gerolltem Reispapier, fast wie ein Darm aussehend. Auf dem einen Foto setzt sie sich das weiße Gebilde wie einen Hut auf den Kopf, auf den beiden anderen verdeckt sie damit ihr Gesicht, nur ihre schwarze Hornbrille bleibt sichtbar.
Das war 1966, die Brasilianerin hatte in der Londoner Galerie Signals ihre erste Schau in Europa. Auf dieser Reise knüpfte sie auch enge Bande mit europäischen Intellektuellen, etwa mit dem Linguisten Umberto Ecco in Mailand, und dem Philosophen Max Bense in Stuttgart, der ihr dort im folgenden Jahr auch eine Ausstellung einrichtete.
Das Spielerische der Fotos sucht man in der Ausstellung der Tate Modern mit 270 Arbeiten vergeblich. Mira Schendel war eine ernste, intellektuelle Künstlerin, die, als katholisch erzogene Jüdin, aus den verschiedensten Quellen schöpfte - aus der Bibel ebenso wie aus antiken Schriften, aus Werken von Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein ebenso wie aus populären Songs. Immer geht es um große Themen - Glaube und Gewissheit, Sein und Nichts.
Die ersten Räume sind ein Spaziergang durch ihre Entwicklung als abstrakte Malerin. Geometrische Farbflächen, immer leicht asymmetrisch, Erdfarben wie Braun und Ocker. Daneben aber auch figurative Arbeiten, an Giorgio Morandi geschulte Stillleben, und der Hang zum Dreidimensionalen zeigt sich schon früh. Elemente des Reliefs werden verwendet und 1954 hängte sie in einer Schau in Sao Paulo die Bilder im rechten Winkel zur Wand.
Ihre Wandlung von einer abstrakten Malerin zur mehr konzeptorientierten Künstlerin erfolgte in den 60er Jahren mit der Entdeckung von Reispapier. Dieses zarte Material benutzte sie nicht nur als Bildträger für Monotypien, sondern formte es auch zu Skulpturen wie in den Serien "Das kleine Nichts" oder "Kleine Züge" - an Fäden in den Raum gehängte weiße Blätter, filigran und verletzlich. Für ihren Beitrag zur Biennale in Venedig im Jahr 1968 zog sie Reispapier auf durchsichtige Acrylplatten auf und hängte sie von der Decke.
Sprache spielt in ihrem Werk eine bedeutende Rolle, überall tauchen Buchstaben auf, Worte, ganze Sätze und Zitate, wie bei ihrer 1965 entstandenen Serie von Arbeiten auf Reispapier, die auf Karl-Heinz Stockhausens Komposition für Elektronik und Stimme 'Gesang der Jünglinge' zurückgeht. Diese enge Beziehung zu Sprache, wo Worte allerdings nicht immer wegen ihrer Bedeutung eingesetzt werden, sondern oft auch wegen ihrer grafischen Form, das ist wohl verständlich bei einer Emigrantin, die mit mehreren Sprachen groß wurde, aber keine akzentfrei sprach, und sich im Exil weder ganz Zuhause noch ganz in der Fremde fühlte. Diese 'Spannung zwischen Heimat und Heimatlosigkeit', wie es ein mit ihr befreundeter Philosoph ausdrückte, durchzieht ihr gesamtes Werk.
Mit ihrer letzten vollendeten Serie "Leisten", die 1987 entstand, ein Jahr vor ihrem Tod im Alter von 69 Jahren, kehrte sie der Farbe wieder gänzlich den Rücken. Auf großformatigen weißen Holzplatten befestigte sie jeweils eine schwarze Leiste, horizontal, vertikal, diagonal. Diese wuchtigen und gleichzeitig filigranen Gebilde, die sie als dezidiert politisch verstanden wissen wollte, sind im letzten Raum der Schau zu sehen, zusammen mit zwei früheren monochromen Serien - Landschaftszeichnungen, die in die völlige Abstraktion übergehen.
Wohin Mira Schendel ihr bis dahin so weit verzweigter Weg geführt hätte, ist schwer zu sagen. Sie schrieb in ihren letzten Jahren, sie experimentiere mit Film, vielleicht wäre sie dabei geblieben.
Mira Schendel, Tate Modern. 25. September 2013 - 19. Januar 2014. Internet: www.tate.org.uk
Das war 1966, die Brasilianerin hatte in der Londoner Galerie Signals ihre erste Schau in Europa. Auf dieser Reise knüpfte sie auch enge Bande mit europäischen Intellektuellen, etwa mit dem Linguisten Umberto Ecco in Mailand, und dem Philosophen Max Bense in Stuttgart, der ihr dort im folgenden Jahr auch eine Ausstellung einrichtete.
Das Spielerische der Fotos sucht man in der Ausstellung der Tate Modern mit 270 Arbeiten vergeblich. Mira Schendel war eine ernste, intellektuelle Künstlerin, die, als katholisch erzogene Jüdin, aus den verschiedensten Quellen schöpfte - aus der Bibel ebenso wie aus antiken Schriften, aus Werken von Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein ebenso wie aus populären Songs. Immer geht es um große Themen - Glaube und Gewissheit, Sein und Nichts.
Die ersten Räume sind ein Spaziergang durch ihre Entwicklung als abstrakte Malerin. Geometrische Farbflächen, immer leicht asymmetrisch, Erdfarben wie Braun und Ocker. Daneben aber auch figurative Arbeiten, an Giorgio Morandi geschulte Stillleben, und der Hang zum Dreidimensionalen zeigt sich schon früh. Elemente des Reliefs werden verwendet und 1954 hängte sie in einer Schau in Sao Paulo die Bilder im rechten Winkel zur Wand.
Ihre Wandlung von einer abstrakten Malerin zur mehr konzeptorientierten Künstlerin erfolgte in den 60er Jahren mit der Entdeckung von Reispapier. Dieses zarte Material benutzte sie nicht nur als Bildträger für Monotypien, sondern formte es auch zu Skulpturen wie in den Serien "Das kleine Nichts" oder "Kleine Züge" - an Fäden in den Raum gehängte weiße Blätter, filigran und verletzlich. Für ihren Beitrag zur Biennale in Venedig im Jahr 1968 zog sie Reispapier auf durchsichtige Acrylplatten auf und hängte sie von der Decke.
Sprache spielt in ihrem Werk eine bedeutende Rolle, überall tauchen Buchstaben auf, Worte, ganze Sätze und Zitate, wie bei ihrer 1965 entstandenen Serie von Arbeiten auf Reispapier, die auf Karl-Heinz Stockhausens Komposition für Elektronik und Stimme 'Gesang der Jünglinge' zurückgeht. Diese enge Beziehung zu Sprache, wo Worte allerdings nicht immer wegen ihrer Bedeutung eingesetzt werden, sondern oft auch wegen ihrer grafischen Form, das ist wohl verständlich bei einer Emigrantin, die mit mehreren Sprachen groß wurde, aber keine akzentfrei sprach, und sich im Exil weder ganz Zuhause noch ganz in der Fremde fühlte. Diese 'Spannung zwischen Heimat und Heimatlosigkeit', wie es ein mit ihr befreundeter Philosoph ausdrückte, durchzieht ihr gesamtes Werk.
Mit ihrer letzten vollendeten Serie "Leisten", die 1987 entstand, ein Jahr vor ihrem Tod im Alter von 69 Jahren, kehrte sie der Farbe wieder gänzlich den Rücken. Auf großformatigen weißen Holzplatten befestigte sie jeweils eine schwarze Leiste, horizontal, vertikal, diagonal. Diese wuchtigen und gleichzeitig filigranen Gebilde, die sie als dezidiert politisch verstanden wissen wollte, sind im letzten Raum der Schau zu sehen, zusammen mit zwei früheren monochromen Serien - Landschaftszeichnungen, die in die völlige Abstraktion übergehen.
Wohin Mira Schendel ihr bis dahin so weit verzweigter Weg geführt hätte, ist schwer zu sagen. Sie schrieb in ihren letzten Jahren, sie experimentiere mit Film, vielleicht wäre sie dabei geblieben.
Mira Schendel, Tate Modern. 25. September 2013 - 19. Januar 2014. Internet: www.tate.org.uk