Jule Reimer: Silva gilt als eine der Ikonen der brasilianischen, aber auch der internationalen Umweltbewegung. Ihr Aufstieg zur Ministerin war eng verbunden mit dem von Lula da Silva zum brasilianischen Präsidenten. Dieser soll geschockt und erzürnt auf die Nachricht reagiert haben. Am Telefon aus São Paulo begrüße ich jetzt Thomas Fatheuer, Leiter des Büros der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien. Herr Fatheuer, vor einer Woche hat die brasilianische Regierung ein Nachhaltigkeitsprogramm für die Amazonasregion vorgestellt. Zuständig sein sollte aber der Minister für besondere Strategien und nicht die Umweltministerin. Ist Marina Silva zurückgetreten, weil sie für dieses Programm nicht die Zuständigkeit erhalten hat?
Thomas Fatheuer: Schönen guten Morgen. Es scheint so, zumindest war das der Anlass. Marina Silva konnte immer weniger in den letzten Wochen und Monaten und auch vielleicht schon seit den letzten zwei Jahren Großprojekte der Bundesregierung in Amazonien verhindern. Die Bundesregierung hat das Wachstum auf ihre Fahnen geschrieben - verständlicherweise, aber leider nicht unter Berücksichtigung von Umweltbelangen. Es werden immer neue Großprojekte und Straßen in Amazonien geplant. Und ich glaube, das war der wahre Anlass für den Rücktritt Marina Silvas, die immer größere Marginalisierung ihrer Vorstellung innerhalb der Bundesregierung.
Reimer: Mit welchen Interessengruppen muss sich denn jeder Umweltminister in Brasilien auseinandersetzen, und wie stark sind die?
Fatheuer: Das sind natürlich erst einmal die selben Interessengruppen wie überall in der Welt. Das ist die Großindustrie, das sind aber in Brasilien, und das ist vielleicht anders als in Deutschland, auch die Regierungsprojekte, die Straßenprojekte, die Infrastrukturprojekte, und vor allen Dingen die Wasserkraft, die die große Energiequelle ist für Brasilien und deren größte Potentiale sich im Amazonasgebiet befinden. Das heißt, nach jahrelanger Pause sind jetzt wieder Großstaudämme im Amazonas in Umsetzung und in Planung. Und ich glaube, das ist ein wesentlicher Konflikt hier im Lande. Diese Staudämme müssten umweltverträglich geplant werden, vielleicht in kleineren Dimensionen angelegt werden, aber der Hang zur ganz großen, gigantischen Planung ist nach wie vor vorherrschend.
Reimer: Welche Rolle spielt die Landwirtschaft? Sojaanbau, Zuckerrohranbau, Viehwirtschaft - das sind ja alles Industrien, die in der Hand von Großgrundbesitzern liegen.
Fatheuer: Man hat festgestellt durch jüngste Studien, eine die ‚Friends of the earth' veröffentlicht hat, dass in den letzten Jahren es eine große Verlagerung der Viehzucht nach Amazonien gegeben hat. Das heißt, etwa 70 Prozent der abgeholzten Fläche beruhen jetzt wohl auf dem Vordringen der Viehzucht. Die ist sehr extensiv, also das ist ein Rindvieh pro Hektar. Das ist eine sehr extensive Nutzung, die nur möglich ist aufgrund der großen Flächen, die in Amazonien noch vorhanden sind, aber die nur gewonnen werden können durch übrigens illegale Abholzung.
Reimer: Jetzt steht ja die UN-Konferenz zur Biodiversitätskonvention vor der Tür, hier in Bonn populär auch UN-Naturschutzkonferenz genannt. Da wird es um den Schutz der Regenwälder gehen. Aber Brasilien pocht auf Souveränität über seine Regenwälder. Das heißt, die Aussichten auf eine Einigung, Schutzgebiete im Amazonas einzurichten, sind jetzt ohne Marina Silva noch schlechter?
Fatheuer: Erst einmal muss man sagen, dass Brasilien offiziell auch für den Schutz der Regenwälder eintritt. Eigentlich sind die rechtlichen Bedingungen sehr gut, und seit Jahren ist Schutz des Regenwaldes Teil der Regierungspolitik. Die Probleme sind vielleicht eher in der Praxis. Die großen Abholzungen, die ich eben erwähnt habe durch die Rinderzucht, sind in der Regel illegal. Es fehlt also an Kontrollen, an der Umsetzungsmöglichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen. Marina Silva hat sich dafür eingesetzt, Schutzgebiete zu erweitern, die zumindest den Ausbau, die Ausweitung von nichtnachhaltiger Nutzung bremsen können, einfach weil die rechtlichen Bedingungen zumindest klar sind. Hier darf man nicht investieren. Das hält Großinvestoren ab. Das war nur teilweise erfolgreich, weil eben, wie gesagt, die Umsetzungsmacht fehlt. Aber es fehlt nicht am politischem Willen, der durch Marina Silva verkörpert wurde in der Regierung. Marina Silva kommt ja selbst aus dem Amazonasgebiet, ist im Wald groß geworden. Und ihre große Aufgabe in der Regierung war genau der Regenwaldschutz. Ob das in der Zukunft so weiter bleiben wird, das ist, glaube ich, zu bezweifeln. Vielleicht wird dann ein neuer Minister eher die Realität widerspiegeln, dass nämlich der Regenwaldschutz nicht trotz aller Rhetorik eine prioritäre Politikaufgabe ist in Brasilien.
Reimer: Die brasilianische Umweltministerin Marina Silva ist zurückgetreten. Sie hörten dazu Thomas Fatheuer, Leiter des Büros der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien. Vielen Dank, Herr Fatheur, nach São Paulo.
Thomas Fatheuer: Schönen guten Morgen. Es scheint so, zumindest war das der Anlass. Marina Silva konnte immer weniger in den letzten Wochen und Monaten und auch vielleicht schon seit den letzten zwei Jahren Großprojekte der Bundesregierung in Amazonien verhindern. Die Bundesregierung hat das Wachstum auf ihre Fahnen geschrieben - verständlicherweise, aber leider nicht unter Berücksichtigung von Umweltbelangen. Es werden immer neue Großprojekte und Straßen in Amazonien geplant. Und ich glaube, das war der wahre Anlass für den Rücktritt Marina Silvas, die immer größere Marginalisierung ihrer Vorstellung innerhalb der Bundesregierung.
Reimer: Mit welchen Interessengruppen muss sich denn jeder Umweltminister in Brasilien auseinandersetzen, und wie stark sind die?
Fatheuer: Das sind natürlich erst einmal die selben Interessengruppen wie überall in der Welt. Das ist die Großindustrie, das sind aber in Brasilien, und das ist vielleicht anders als in Deutschland, auch die Regierungsprojekte, die Straßenprojekte, die Infrastrukturprojekte, und vor allen Dingen die Wasserkraft, die die große Energiequelle ist für Brasilien und deren größte Potentiale sich im Amazonasgebiet befinden. Das heißt, nach jahrelanger Pause sind jetzt wieder Großstaudämme im Amazonas in Umsetzung und in Planung. Und ich glaube, das ist ein wesentlicher Konflikt hier im Lande. Diese Staudämme müssten umweltverträglich geplant werden, vielleicht in kleineren Dimensionen angelegt werden, aber der Hang zur ganz großen, gigantischen Planung ist nach wie vor vorherrschend.
Reimer: Welche Rolle spielt die Landwirtschaft? Sojaanbau, Zuckerrohranbau, Viehwirtschaft - das sind ja alles Industrien, die in der Hand von Großgrundbesitzern liegen.
Fatheuer: Man hat festgestellt durch jüngste Studien, eine die ‚Friends of the earth' veröffentlicht hat, dass in den letzten Jahren es eine große Verlagerung der Viehzucht nach Amazonien gegeben hat. Das heißt, etwa 70 Prozent der abgeholzten Fläche beruhen jetzt wohl auf dem Vordringen der Viehzucht. Die ist sehr extensiv, also das ist ein Rindvieh pro Hektar. Das ist eine sehr extensive Nutzung, die nur möglich ist aufgrund der großen Flächen, die in Amazonien noch vorhanden sind, aber die nur gewonnen werden können durch übrigens illegale Abholzung.
Reimer: Jetzt steht ja die UN-Konferenz zur Biodiversitätskonvention vor der Tür, hier in Bonn populär auch UN-Naturschutzkonferenz genannt. Da wird es um den Schutz der Regenwälder gehen. Aber Brasilien pocht auf Souveränität über seine Regenwälder. Das heißt, die Aussichten auf eine Einigung, Schutzgebiete im Amazonas einzurichten, sind jetzt ohne Marina Silva noch schlechter?
Fatheuer: Erst einmal muss man sagen, dass Brasilien offiziell auch für den Schutz der Regenwälder eintritt. Eigentlich sind die rechtlichen Bedingungen sehr gut, und seit Jahren ist Schutz des Regenwaldes Teil der Regierungspolitik. Die Probleme sind vielleicht eher in der Praxis. Die großen Abholzungen, die ich eben erwähnt habe durch die Rinderzucht, sind in der Regel illegal. Es fehlt also an Kontrollen, an der Umsetzungsmöglichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen. Marina Silva hat sich dafür eingesetzt, Schutzgebiete zu erweitern, die zumindest den Ausbau, die Ausweitung von nichtnachhaltiger Nutzung bremsen können, einfach weil die rechtlichen Bedingungen zumindest klar sind. Hier darf man nicht investieren. Das hält Großinvestoren ab. Das war nur teilweise erfolgreich, weil eben, wie gesagt, die Umsetzungsmacht fehlt. Aber es fehlt nicht am politischem Willen, der durch Marina Silva verkörpert wurde in der Regierung. Marina Silva kommt ja selbst aus dem Amazonasgebiet, ist im Wald groß geworden. Und ihre große Aufgabe in der Regierung war genau der Regenwaldschutz. Ob das in der Zukunft so weiter bleiben wird, das ist, glaube ich, zu bezweifeln. Vielleicht wird dann ein neuer Minister eher die Realität widerspiegeln, dass nämlich der Regenwaldschutz nicht trotz aller Rhetorik eine prioritäre Politikaufgabe ist in Brasilien.
Reimer: Die brasilianische Umweltministerin Marina Silva ist zurückgetreten. Sie hörten dazu Thomas Fatheuer, Leiter des Büros der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien. Vielen Dank, Herr Fatheur, nach São Paulo.