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Braune Schatten

Eine Mordserie an Migranten durch den "Nationalsozialistischen Untergrund" hat eine überfällige Debatte über Rechtsextremismus angestoßen. Im Fußball gehen rechte Hooligans in den Stadien wieder in die Offensive. Sind Vereine und Fanprojekte darauf vorbereitet?

Von Ronny Blaschke | 14.04.2013
    Thilo Danielsmeyer ist seit mehr als zwanzig Jahren Mitarbeiter im Fanprojekt Dortmund.

    "Ich habe sofort einen Schlag ins Gesicht bekommen und war erstmal konsterniert. Und dann habe ich immer weitere Schläge abbekommen. Während auf mich eingeschlagen wurde, kamen Rufe wie: "Wir sind Dortmund und Ihr nicht", "Ihr Schweine wollt uns Ihr raus haben" und "Dortmund bleibt Rechts". Ich habe dann irgendwann versucht zu reden, aber das hat auch nichts genutzt. Dann habe ich um Hilfe geschrien. Und ich habe das Glück gehabt, dass jemand aus der Szene meine Stimme kannte und mich mit Gewalt da rausgeholt hat. Und dann ist mir erst klar geworden, dass ich in dem Moment quasi fürs System gestanden habe."

    Während des Champions-League-Spiels in Donezk Mitte Februar wurde Danielsmeyer von Rechtsextremen überfallen. Dortmund gilt als eine Hochburg der Neonazis, vor allem der Autonomen Nationalisten. Sie sind in losen Strukturen organisiert, kleiden sich unauffällig, sind meist gewaltbereit. In keiner Stadt Nordrhein-Westfalens werden so viele rechtsextrem motivierte Straftaten gemeldet wie in Dortmund. Dieser Einfluss ist auch im Umfeld der Borussia zu spüren. Während der Saisonpremiere bekundeten Fans auf einem Transparent ihre Solidarität zum "Nationalen Widerstand Dortmund", die neonazistische Gruppierung war zuvor verboten worden. Thilo Danielsmeyer:

    "Die wollen im Stadion etwas darstellen, deshalb wollen sie natürlich keine Stadionverbote haben. Sicherlich wollen sie den Raum Stadion auch nutzen. Und deshalb war ich mir sicher, von den Leuten nie – platt gesagt – einen vor den Kopf zu kriegen. Andererseits ist es natürlich so: In ihren Foren und Medien agitieren sie natürlich. Und gerade wir vom Fanprojekt Dortmund arbeiten seit zwanzig Jahren auch mit rechten Jugendlichen. Wir haben uns da viele Ohrfeigen eingehandelt in den letzten Jahren, aber wir haben immer gesagt: Wir sprechen mit den Leuten, wir sind auch für sie da und wir versuchen, sie in die Fanszene zu integrieren. Und das ist uns in den letzten Jahren auch immer wieder gelungen. Natürlich nicht mit 40-Jährigen aus der Naziszene, sondern wir haben viele junge Mitläufer integriert, die ein ganz normales bürgerliches Leben führen und immer noch zum Fußball gehen."

    Seit 2004 sind dutzende Neonazis regelmäßig im Dortmunder Stadion präsent, schreibt der Journalist und Buchautor Olaf Sundermeyer in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". In den Fan-Gruppierungen "Desperados" und "Northside" verschwimmen die Grenzen zwischen Ultras, Kampfsportlern, Rechtsextremen. Die Verstrickungen sollen bis in den Ordnerdienst des BVB gereicht haben, berichtet der Sportkorrespondent Rafael Buschmann für "Spiegel Online". Die Rechtsextremen lehnen sich in Dortmund an die Borussenfront und ihren Kopf Siegfried Borchardt an, genannt SS-Siggi. Die Hooligangruppe hatte in den 80er- und 90er-Jahren für Schlagzeilen gesorgt. Zuletzt sind Kleidungsstücke der Borussenfront wieder häufiger gesichtet worden, doch erst nach dem Angriff auf den Sozialarbeiter Thilo Danielsmeyer in Donezk begann eine breite Debatte über Rechtsextremismus:

    "Und das hat eine Wahnsinns-Resonanz gegeben, es wurde zwei Wochen diskutiert, wir konnten bei den beiden Heimspielen unglaublich viele Diskussionen führen. Wir haben ja ein Büro mitten auf der Südtribüne, einen kleinen Fanpoint, wo sich viele Fans treffen, da stand eine Schlange vor. Die haben alle intensiv diskutiert, was denn fehl gelaufen wäre, was nun zu tun wäre. Und dieser Prozess ist für uns ganz, ganz wichtig. Und dann beim Spiel gegen Hannover gab es Solidaritätsbekundungen im ganzen Stadion. Und zwar nicht nur auf der Südtribüne, sondern von den Rollifahrern bis in den VIP-Bereich haben sich alle etwas einfallen lassen. Das hat einen doch schon den Rücken gestärkt."

    Borussia Dortmund verweist auf Maßnahmen gegen Rechts: Stadionverbote, Arbeitskreise, Solidarität der Spieler. Doch eine Interview-Anfrage für diese Sendung an den Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke lehnte die Pressestelle des BVB ab, ohne Begründung. Ultras der Gruppe "The Unity", die sich gegen Rassismus aussprechen, werden in Dortmund bedroht und angegriffen. In Deutschland ist das ein Beispiel von vielen: Laut der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze gibt es in 16 Fanszenen der drei Profiligen Überschneidungen zwischen gewaltbereiten Fans und Rechtsextremen. In Braunschweig hat eine antirassistische Gruppe Verstrickungen zwischen der Fanszene der Eintracht und Neonazis nachgewiesen. In Cottbus hat der FC Energie Stadionverbote gegen rechte Ultras der Gruppe "Inferno" verhängt. Ist ein Problem, das als gelöst galt, wieder aktuell? Kehren Neonazis in die Kurven zurück? Oder waren sie nie verschwunden?

    "Ich glaube sagen zu können, dass wir uns zu stark mit diesen 50 bis 150 Neonazis und ihren Sympathisierenden beschäftigen. Aber Heitmeyer, und das ist sehr viel wichtiger, analysiert Menschen, die sich nicht als Rassisten oder Neonazis bezeichnen, aber die immer wieder eine Rolle dabei spielen, neue 50 bis 150 Neonazis zu ermöglichen. Weil sie eben einzelne Puzzlestücke von Gedanken spielen und im Notfall mitsingen im Stadion. Und das beobachte ich sehr stark, dass sich Leute wieder trauen, sich in so einem Umfeld wieder offen neonazistisch zu positionieren."

    Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski erforscht seit bald zwanzig Jahren die deutsche Fankultur, an der Universität Hannover gehört er zu den prägenden Köpfen einer neuen Kompetenzgruppe. Dembowski lenkt den Blick auf die Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Darin hat der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer nachgewiesen, dass Abwertungsmuster wie Rassismus, Homophobie oder Sexismus tief in der Gesellschaft verankert sind. So vertreten fast fünfzig Prozent der Bevölkerung die Meinung, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben. Gerd Dembowski betrachtet den Fußball nicht als Spiegelbild, sondern als Brennglas der Gesellschaft, unter dem Abwertungsmuster verdichtet auftreten können.

    "Im Stadion, was passiert da eigentlich? Es treffen sich 85 Prozent weiße, deutsche, junge Männer, die auf der anderen Seite der Fans 85 Prozent weiße, deutsche, junge Männer als Schwule, als Juden, als Zigeuner beschimpfen – in der sichtbaren Abwesenheit genau dieser benannten Gruppen. Das ist ein Stellvertreterkampf, der da stattfindet. Der Fußball besteht im Grunde genommen aus Befehl, Strafe, Gehorsam, es ist ein autoritäres Prinzip. Und nirgendwo wie im Fußball sehen wir auch so plastisch: Wir und die Anderen, Freund und Feind. Nicht nur die einen spielen in Rot, die anderen in Blau, sondern auf der anderen Seite stehen die Fans auch territorial: Wir und die Anderen."

    Dembowski hält den Begriff der "Unterwanderung" für unangebracht, denn er würde eine Strategie von außen vermuten lassen. Die Strukturen des Fußballs können Menschenfeindlichkeit bei Jugendlichen schüren. Durch Fan-Feindschaften, Überlegenheitsdenken, Hierarchien. Und durch die rituelle Überhöhung des eigenen Vereins: als Ausdruck von Patriotismus, Ehre, Loyalität. Aus diesem Gemisch kann Neonazismus entstehen. Nicht nur in der Anonymität des Stadions, sondern vor allem im Umfeld: in Zügen, Kneipen, Internetforen. Dieser Prozess ist für Politik, Funktionäre und Journalisten schwer zu begreifen. Schließlich gibt es keine martialischen Fernsehbilder wie zum Beispiel von pyrotechnischen Gegenständen. Der Politikwissenschaftler Jonas Gabler hat zwei Bücher über die Ultra-Kultur veröffentlicht, jene Bewegung, die in den 90er-Jahren aus Italien nach Deutschland kam. Seither geben die Ultras den Ton in den Kurven an, ihr Ziel: die Unterstützung des Vereins. Dreißig Vorträge hat Jonas Gabler in Fanszenen gehalten. Dass Rechtsextreme in Stadien wieder in Erscheinung treten, ist für ihn keine Überraschung:

    "Meine Interpretation ist schon, dass das zeitlich zusammenfällt mit dieser medialen Debatte. Als ich vor zwei, drei Jahren solche Veranstaltungen gemacht habe, da war es ein Thema für die Ultras, sich kritisch mit Diskriminierung auseinander zu setzen, mit Rassismus, auch mit Gewalt. Und nach der ganzen Debatte um die Sicherheit in den Stadien habe ich einfach erlebt, dass daran kein Interesse mehr besteht. Wenn die Fans sagen, wir diskutieren mit dir darüber, wie wir es schaffen, Leute aus unserer Gruppe, die eine Gewaltneigung bringen, in unsere Gruppe zu integrieren, ohne dass die auf eine Gewaltschiene abrutschen; dann erleben sie aber, dass da eine riesige Lücke ist in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und ihrer Wahrnehmung. Dann realisieren sie, dass sie darüber diskutieren können, aber dass es niemals in der Öffentlichkeit vermittelbar wäre, was sie intern für Anstrengungen unternehmen. Das würde eben trotzdem noch als sehr gewaltgeneigt abgestempelt werden."

    Laut Polizeistatistik ist es wahrscheinlicher, beim Münchner Oktoberfest durch eine Schlägerei verletzt zu werden und nicht in einem Fußballstadion. Trotzdem wurden Ultras pauschal als Randalierer dargestellt. In diesem Diskussionsklima lebt eine Subkultur wieder auf, die vorwiegend an Gewalt interessiert ist: die Hooligans. In den 80-er und frühen 90-er Jahren pflegten sie das Bild der rebellischen Elite, auf der Suche nach Adrenalinstößen. 1998 kam dann der Bruch: Deutsche Hooligans schlugen während der WM in Frankreich den Polizisten Daniel Nivel fast zu Tode. Der öffentliche Druck wuchs, fortan blieben die Hooligans in den Stadien unauffällig: Einige zogen sich ganz zurück, andere verlegten ihre Kämpfe in Waldgebiete und auf stillgelegte Industrieanlagen. Ganz verschwunden waren die Hooligans nie, sagt der Fanforscher Jonas Gabler, in den Fanszenen hatten sie ein subtiles Gewaltmonopol.

    "Und jetzt hat man den Eindruck, dass ist wieder eine Art Rollback, jetzt auch nicht auf breiter Front, aber es gibt jetzt Fälle, die hätte es vor vier, fünf Jahren nicht gegeben. Und das muss man realistisch einschätzen, dass in der Fußballfankultur die physische Seite immer noch eine große Rolle spielt. Dass die Hooligans am Ende der Nahrungskette stehen. Dass am Ende die, die Gewalt ausüben, sehr viel bestimmen können in den Kurven. Es gibt viele Ultraszenen, die sagen, wir würden uns gerne deutlicher positionieren gegen Rassismus, gegen Diskriminierung. Aber wir können das nicht, denn wenn wir das machen würden, dann würden am nächsten Tag bei uns die Hools – die Alten, wie sie immer sagen –auf der Matte stehen und uns weg hauen."

    Nicht alle Hooligans haben ein rechtsextremes Weltbild. Doch nicht erst der Hitlergruß offenbart menschenfeindliche Einstellungen. Für Hooligans zählt das Gesetz des Stärkeren: Männlichkeitskult, autoritäre Werte, die Suche nach Gewalt. Ein Gebräu, das anschlussfähig ist für Neonazismus und junge Ultras beeinflussen kann. An mehreren Standorten werden Hooligan-Gruppen wieder auffällig, berichtet das fanpolitische Magazin "Transparent": Die "Borussenfront" in Dortmund, die "Division" in Duisburg, die "Standarte" in Bremen oder die "Rotfront" in Kaiserslautern.

    Wie Hooligans mit Neonazis eine antirassistische Gruppe an den Rand drängen können, zeigt das Beispiel Aachen. Für diese Sendung haben wir mit einem Ultra der Alemannia gesprochen, der Anfang zwanzig ist. Er möchte sich nicht zu erkennen geben, deshalb werden seine Aussagen von einem Sprecher wider gegeben. Der Ultra soll an dieser Stelle Hannes heißen:

    "Am Anfang waren es Drohungen, man wollte uns den Mund verbieten. Irgendwann gingen die Drohungen in körperliche Angriffe über. Wir konnten uns in der Stadt nicht mehr frei bewegen, ob auf dem Weg in die Uni oder zur Arbeit. Es ging soweit, dass Leute von uns im eigenen Hausflur attackiert wurden. Wir haben lange auf Unterstützung gewartet, aus der Fanszene, dem Verein, dem Fanprojekt – leider vergeblich. Irgendwann haben wir uns gesagt: es geht nicht mehr, es gibt keine Basis für antirassistisches Engagement im Stadion. Wir wollen nicht vor Eltern stehen müssen, und ihnen sagen, dass ihren Kindern etwas zugestoßen ist."

    Hannes ist Mitglied der Aachen Ultras, der ACU. Die Gruppe tritt für eine Fankultur ohne Diskriminierung ein, sie sammelt Spenden für Obdachlose und Flüchtlinge. Mit diesem gesellschaftspolitischen Selbstverständnis wurden die Aachen Ultras zur Zielscheibe. In einer Region in Nordrhein-Westfalen, in der das Netzwerk aus Neonazis, Hooligans und Rockern eng geknüpft ist. Die Aachen Ultras waren nicht immer antirassistisch: nach ihrer Gründung 1999 duldeten sie Gewalt und Neonazis. Langsam setzte sich eine kritische Selbstreflexion durch, Fraktionen bildeten sich heraus: sie stritten um Stadion-Choreografien, Fan-Gesänge und vor allem die politische Ausrichtung. 2010 dann die Spaltung: Mitglieder verließen die Gruppe und gründeten die Karlsbande. Sie bezeichnen sich als unpolitisch: jeder dürfe teilhaben, so lange er die Alemannia unterstützt, das gilt auch für Neonazis und Schläger.

    "Fußball ist Fußball, Politik ist Politik – diesen Spruch haben wir zu hören bekommen. Für uns ist das der Versuch, sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen. Dieser Spruch ist eine Illusion und zeigt eine unausgesprochene Toleranz gegen Neonazis. Die vermeintlich Unpolitischen haben in sozialen Netzwerken unsere Vertreibung aus dem Stadion geplant. Sie haben verbotene Kleidungsstücke zur Schau getragen und bei der Organisation von Rechtsrockkonzerten geholfen. Der Verein hat sich nie konstruktiv um das Nazi-Problem gekümmert, es blieb bei plakativen Aktionen gegen Rechts. Hilfe von externen Experten wurde ausgeschlagen. So hat sich der Druck gegen uns verstärkt."

    Die Ultras der Karlsbande pflegen Beziehungen zu den Hooligangruppen "Westwall Aachen" und "Alemannia Supporters". Diese rechts unterwanderte Allianz zählt etwas 300 Anhänger. Mehrfach machten ihre Mitglieder Jagd auf die Aachen Ultras, zu denen etwa 100 Fans gehören. Im vergangenen August traten sie beim Auswärtsspiel in Saarbrücken auf Jugendliche ein, die schon am Boden lagen. Wochen später attackierten sie ein Auto der Aachen Ultras auf einer Raststätte in Pforzheim. Die Grenze war erreicht: Mitte Januar beendeten ACU während eines Pokalspiels ihre aktive Unterstützung im Stadion, antirassistische Ultras aus zwanzig Fanszenen bekundeten Solidarität. Die Aachen Ultras wollen sich auf anderen Wegen gegen Diskriminierung einsetzen. In der Wahrnehmung vieler Funktionäre gelten sie als Provokateure und Linksextreme. Eine gängige Stigmatisierung, sagt der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski:

    "Wenn ich mit Funktionsträgern rede, habe ich das Gefühl, die haben eine sehr antiquierte Vorstellung von Links. Da spielt noch dieses alte Bild ,Extremismus rechts, Extremismus links’ historisch eine Rolle. Das man sagt, das sind irgendwelche Kommunisten. Aber niemand dieser Menschen, die sich für Zivilcourage einsetzen, die als Linke bezeichnet werden, wollen Gulags errichten, sind Stalinisten, sind Maoisten. Sondern sie vertreten gesellschaftliche Mindeststandards, die hier gesetzliche Grundlage ist. Und da wundert mich doch, dass sich da eine Art imaginärer Schulterschluss ergibt aus unterschiedlichen Institutionen, die sagen: "Ja diese Zivilcouragierten, diese Linken: die sind das Problem". Dass immer noch alle Fußball als Reservat empfinden und das auch erhalten wollen, als Hort, wo man mal eben über die Strenge schlagen kann, wo alles nicht mehr gilt, wo man sein politisches Gedächtnis an der Eintrittskasse abgeben kann."

    Funktionäre und Fans verengen den Begriff Politik auf Parteien und Parlament. Doch einige Ultras wollen den Diskurs erweitern. Beispiel Rostock: Die Gruppe "Unique Rebels" sprach sich für eine vielschichtige Unterstützung ihrer Mannschaft aus. Für melodischere Gesänge, ein kreatives Fanzine, eine Kultur ohne Herabwürdigung des Gegners. Vielen Fans des FC Hansa war diese Haltung zu politisch, sie zwangen die "Unique Rebels" im Januar 2011 zur Auflösung. In vielen Städten waren antirassistische Ultras Anfeindungen ausgesetzt: in Essen, Leipzig oder Dresden, in Duisburg, Braunschweig oder Düsseldorf. Jonas Gabler, Experte für die Ultra-Kultur, beobachtet seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts zahlreiche Spaltungen in den Fanszenen:

    "Das ist etwas, das man bei fast allen großen Szenen beobachten konnte. Und es gibt eigentlich eher wenige Szenen, denen es bis heute gelingt, diesen uniformen Block aufrecht zu halten. Ich glaube, dass ist eine ganz natürliche Entwicklung und es ist überhaupt nicht zu vermeiden. Fans gehen zum Fußball, weil sie dort auch Freiheit erleben wollen. Und umso größer eine Gruppe wird, umso mehr entfremden sie sich auch von der Gruppe. Weil sie ihnen zu viele Vorschriften macht. Und dann brechen immer ein paar Leute aus, die ihr eigenes Ding machen wollen. Ich glaube, dass es auch damit zu tun hat, dass sich diese Kultur weiter entwickelt. Dass Leute da früher mal angefangen haben, die werden älter, dann kommen jüngere nach, die auch den Wunsch haben, sich stärker einzubringen. Es muss dann stärker nach ihren Vorstellungen laufen."

    Was wollen die Fans? Eine politische Fankultur, also ein Bekenntnis zum Antirassismus? Oder eine unpolitische Kultur, mit dem Fokus auf Fußball? Die Ausdifferenzierung in der Ultra-Bewegung fällt in eine Zeit, in der Gewalt und Pyrotechnik an der Spitze der öffentlichen Agenda stehen. Viele Medien erzeugen damit einen Handlungsdruck auf Politik, Verbände und Vereine. Im neuen Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga DFL wurden Maßnahmen gegen Rechtsextremismus am Rande erwähnt. Die Fanszene wollte für ihre Proteste gegen die "Kriminalisierung der Ultras" ein breites Bündnis schmieden. So durften auch Gruppen mitmischen, deren Ausdifferenzierung ins rechte Spektrum neigt, zum Beispiel die Karlsbande aus Aachen. Gerd Dembowski glaubt, dass diese "Moralpanik" den Populisten zugute kommen kann. Und dass antirassistische Gruppen auf noch mehr Widerstand der erstarkenden Hooligans stoßen:
    "Dann hat man keine Zeit mehr, um diesen kleinen Kampf gegen Diskriminierung im Alltag durchzusetzen, weil das große Thema ein anderes ist. Denn wenn so eine Gruppe wie die Karlsbande aus Aachen mit am Tisch sitzt, und noch einige andere, dann finde ich das schwierig. Dann kommen Neonazis wieder auf dieses politische Trittbrett, dass sie sagen können: Ok, wir engagieren uns ja gesellschaftlich und wir sind hier in Nadelstreifen unterwegs. Aber das ist natürlich ein Zeichen für die Gruppen, dass sie nicht mehr so marginalisiert sind und dass sie sich auf wieder stärker äußern können – eben auch auf der ganz alltäglichen politischen Bühne."

    Diese Atmosphäre will sich auch die Nationaldemokratische Partei Deutschlands zu Nutze machen. Oft ist Fußball für die NPD eine Bühne, auf der sie ihre Botschaften verbreiten kann. Gegen Polizei im Stadion – und damit gegen den Staat. Für heimische Talente – also gegen Migranten. Gegen den Kommerz – also gegen Globalisierung. Immer wieder nutzen Parteikader Schlagworte, die auch zum Vokabular des Fußballs gehören: Heimat, Ehre, Kampfkrampf. Im Februar wandte sich die NPD in Thüringen mit einem Schreiben an die Fanklubs von Carl Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt. Der Titel des Papiers: "Sport frei! Politik raus aus dem Stadion – Für eine lebendige, selbstständige und vielfältige Fankultur im Fußball". Die Vereine distanzierten sich, ebenso wie das bundesweite Fan-Bündnis Pro Fans. Dessen Sprecher ist der Hamburger Philipp Markhardt:

    "Es geht ganz einfach nicht, dass die NPD sich eines Themas annimmt, um daraus Profit zu schlagen. Das ist genauso wie die Kapitalismuskritik, die sie vor Jahren mal adaptiert hat, die ein typisch linkes Feld war. Das ist ja keine ernst gemeinte Kapitalismuskritik gewesen, sondern lediglich versteckter Antisemitismus. Und wenn die NPD fordert, keine Politik in den Stadien Thüringens, dann fordert sie natürlich keine linke Politik in den Stadien Thüringens, während sie natürlich weiter agitieren möchte."

    Wie sollen Vereine und Verbände gegen Rechtsextreme vorgehen? Journalisten des Mitteldeutschen Rundfunks haben einen Versuch unternommen: für das Nachrichtenmagazin "Exakt" haben sie Trikots mit rechten Symbolen wie dem Zahlencode 88 bestellt. Von neun angefragten Fan-Shops hätten sieben solche Trikots anstandslos geliefert. Für Philipp Markhardt ist das keine Überraschung, er sagt, Vereine seien politisch schlecht beraten.

    "Der Verein kann die Fans nicht allein lassen, das darf er auch gar nicht, denn Fans können nicht Recht und Gesetz in die eigene Hand nehmen. Es reicht ganz einfach nicht, wenn ein Verein sagt: wir positionieren uns gegen Rechtsextremismus, oder noch besser gegen Extremismus jeder Art. Das ist ja diese typische Aussage, wenn man es allen recht machen möchte. Ich wüsste jetzt nicht, dass es einen Verein gibt, wo konsequent ein Kurs gegen Rassismus gefahren wird, gemeinsam mit den Fans, in Absprache mit den Fans."

    Das Niveau in den Fan-Betreuungen ist unterschiedlich, Antidiskriminierungs- oder Gleichstellungsbeauftragte lassen sich an einer Hand abzählen. In der Regel sind es kleine ehrenamtliche Initiativen an der Fan-Basis, die Probleme an die Öffentlichkeit bringen: Die Löwen-Fans gegen Rechts in München oder die Schalker Fan-Initiative in Gelsenkirchen. Den Grundstein dafür hatte 1993 das Bündnis Aktiver Fußballfans gelegt, kurz Baff.

    Ein Besuch in Franfurt, in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes. Der DFB hatte unter seinem Präsidenten Theo Zwanziger sein politisches Profil geschärft. Zwanziger schob die historische Aufarbeitung an, erweiterte den Beraterkreis, öffnete den Verband für Initiativen gegen Diskriminierung. Nach seinem Ausscheiden im vergangenen Jahr fragten sich Fans und Medien, ob sein Nachfolger diesen Kurs fortführen würde. Wolfgang Niersbach zeigt im Interview Verständnis für diese Haltung, er sagt, der DFB werde auch unter seiner Führung nicht unpolitisch sein. Etwa eine Stunde äußert er sich differenziert zum Thema, auch zur eigenen Familiengeschichte:

    "Mein Vater war Jahrgang 1915, er ist wie wohl alle Männer dieser Generation als Soldat eingezogen worden. Ich weiß, dass er die Ausbildung in Insterburg, dem damaligen Ostpreußen, in der Kavallerie gemacht hat, danach in Norwegen und anschließend in englischer Kriegsgefangenschaft war – viel mehr weiß ich nicht. Ich bin 1950 geboren, gehöre aber auch zu der Generation, die mit dem Vater, mit den Eltern, wenig bis gar nicht über diese Zeit gesprochen hat. Im Nachhinein bedauere ich es. Also in meiner Schulzeit zwischen 1960 und 1970 ist dieses Thema bei weitem nicht so in der Öffentlichkeit gewesen, auch nicht so diskutiert worden, wie das gerade aktuell der Fall ist."

    1976 war Wolfgang Niersbach zum ersten Mal in Auschwitz, er hatte damals als Journalist von der Eishockey-Weltmeisterschaft in Kattowitz berichtet. Auch an 1996 kann er sich gut erinnern: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bestritt ihr erstes Spiel nach dem Gewinn der Europameisterschaft in Zabrze gegen Polen, nicht weit von Auschwitz entfernt. Deutsche Hooligans entrollten ein Transparent mit dem Schriftzug: "Schindler-Juden – wir grüßen Euch!" Niersbach war Pressesprecher des DFB, er war fassungslos und konnte erahnen, wie begrenzt die Macht des Verbandes gegen Neonazis ist:
    "Bei der Aufarbeitung haben wir als DFB zunächst keine aktive Rolle im Sinne von Sanktionen. Wir können als Verband, und werden das auch tun, unsere Grundhaltung deutlich machen. Dass wir nicht nur über die Satzung, sondern aus voller Überzeugung gegen jede Überzeugung nach rechts sind, dass dieser Fußball bunt, offen sein soll für alle. Und wir haben jetzt ganz konkret unsere Vereine über die Landesverbände aufgefordert, ihre Satzungen möglichst so zu ändern, dass man mit diesem Argument, der Fußball ist per Satzung offen für alle, auch für Ausländer und Migranten in diesem Land, dass man da die Andersdenkenden auch ausschließen kann."

    Wolfgang Niersbach weiß, dass der Ausschluss von rechtsextremen Mitgliedern nicht deren Gesinnung schwinden lässt. Am Mittwoch hat er in einem Offenen Brief an die 26000 Vereine des DFB noch einmal seine Positionen gegen Rechts bestärkt. Immer wieder rückt er die Prävention in den Fokus: die Reisen der DFB-Nachwuchsteams nach Israel, die Vergabe des Julius-Hirsch-Preises an antirassistische Initiativen und vor allem: die finanzielle Unterstützung der fünfzig Fanprojekte.

    Seit mehr als drei Jahrzehnten nutzen Sozialarbeiter das Medium Fußball, um Fans für Jugendhilfe zu gewinnen. Sie fördern Kreativität, in der Hoffnung, dass rechte Einstellungen gar nicht erst entstehen. Die Fanprojekte werden durch eine Drittelfinanzierung getragen: DFB beziehungsweise DFL sind ebenso beteiligt wie die jeweilige Kommune und das Bundesland. Der angestrebte Jahresetat eines Projekts liegt bei 180000 Euro, für drei Sozialarbeiter und eine Verwaltungskraft. Diesen Mindeststandard weisen allerdings nur fünf von fünfzig Fanprojekten auf. Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte in Frankfurt, der KOS:

    "Was ich gerne anführen würde, ist, dass wir große Sorge haben, weil wir im Moment spüren, dass diese gestiegene Erwartungshaltung des Fußballs, der Politik, der Polizei, auch der Fanszene, mit den Konfliktlagen, die es gibt, Thema Rechtsextremismus, Rassismus, aber auch das Thema Sicherheit, das Thema Pyrotechnik: dass das so einen hohen Erwartungsdruck auf die Kolleginnen und Kollegen in den Fanprojekten ausübt, die in der Regel schlecht bezahlt sind, wahnsinnige Arbeitszeiten haben, viel zu schlecht ausgestattet sind. Uns sind in den letzten anderthalb Jahren 25 Leute weggebrochen, aufgrund von Krankheit, aber auch weil sie sich für andere Stellen beworben haben."

    Das Erscheinungsbild der Rechtsextremen hat sich gewandelt, weg von martialischen Springerstiefeln, hin zu einem unauffälligen und sportlichen Lifestyle. Die Sozialarbeiter klären auf: über Codierungen, Internethetze, Kleidermarken. Und sie leisten Akzeptierende Sozialarbeit: Integration statt Ausgrenzung – auch von Jugendlichen mit einem diffusen rechten Weltbild.

    "Viele Kollegen in den Fanprojekten, aber auch bei den Fanbeauftragten haben Gewalt-Erfahrungen gemacht, in Ausübung ihres Berufs, meist wo es Konflikte gegeben hat zwischen Fans und Polizei. Dass eine politische Konnotation jetzt dazu kommt, also dass Kolleginnen und Kollegen von Rechtsextremen angegriffen werden, das tritt verstärkt auf. Es ist nicht nur in Dortmund der Kollege, der massiv zusammengeschlagen wurde von Neonazis, sondern auch die Kollegin in Aachen ist offensiv bedroht worden, Kollegen in anderen Standorten auch. Wir würden nie mehr ein Fanprojekt mit eineinhalb Stellen genehmigen. Aachen macht es deutlich, auch andere Standorte machen es deutlich: Wenn es zu einem Konflikt kommt, hält das eine solche Struktur nicht aus."

    Wie geht die Entwicklung weiter? Der Fußball wird bei den Präsentationsformen der Neonazis weiter eine Rolle spielen, schreibt der Autor Florian Schubert im Debattenportal Publikative.org:

    "Sie wollen ihren Raum. Der an manchen Orten auch dadurch wichtiger wird, da Nazis auf der Straße gesellschaftlich gerade in der Defensive sind. Großaufmärsche wie in Wunsiedel zum Heß-Gedenken oder zum Jahrestag der Bombardierung von Dresden sind derzeit nicht mehr durchzuführen. Die Debatte um die NSU bringt die Naziszene weiter in die politische Defensive. Es gab immer wieder Zeiten, in denen sich Nazis umorientieren mussten, weil sie gerade nicht weiterkamen. So war ein Effekt aus den Erfahrungen ab Mitte der 1990er-Jahre die Entwicklung von Kameradschaftsstrukturen, die in die Gründung von Autonomen Nationalisten mündete. Genau in diesem Kreis finden wir viele der Nazis, die sich beim Fußball tummeln."

    Am 17. April beginnt in München der Gerichtsprozess gegen die mutmaßliche Terroristin des Nationalsozialistischen Untergrunds, Beate Zschäpe. Seit Monaten wird darüber diskutiert. Der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski plädiert dafür, auch auf andere Stimmungen zu achten: Auf Islamfeindlichkeit, soziale Entsicherung und antisemitische Klischees, die als Kritik an Israel getarnt sind. Das sei der Nährboden für Neonazismus, und doch dominiert der Streit um ein mögliches Verbot der NPD. Doch was können Verbote bewirken?

    "Verbote bedeuten erst mal Verunsicherung, aber die Leute sind ja nicht auf den Mond geschossen, sondern sie existieren weiter, diese Neonazis und ihre Sympathisierenden. Die müssen sich jetzt konsolidieren und in einer Konsolidierungsphase neigen dann vielleicht auch einige, weiter über die Strenge zu schlagen. Und der Fußball ist auch immer ein Kontakthof gewesen. Ist halt auch ein Interimsort: wenn man irgendwo anders verboten ist, kann man im Bereich Fußball immer wieder unterkriechen. Weil man eben auch eine zweite Identität als Fan seines Vereins hat."
    Ob Rechtsextreme ihre Bewegung in diesem Gemisch modernisieren können? Der Fußball, so sind sich die Experten sicher, wird für Neonazis weiter eine wichtige Rolle spielen.



    Vertiefung im Internet:

    Lifestyle, Symbole und Codes von rechtsextremen Gruppen: (www.dasversteckspiel.de)

    Amadeo Antonio Stiftung: Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur: (www.amadeu-antonio-stiftung.de)

    Am Ball bleiben: Archiv der 2010 eingestellten Anlaufstelle gegen Rechtsextremismus im Sport: (www.amballbleiben.org)
    Bündnis aktiver Fußballfans: Kritisches Netzwerk von über 200 Einzelmitgliedern und Fan-Institutionen: (www.aktive-fans.de)

    Exit Deutschland: Aufklärung und Ausstiegshilfe für Rechtsextreme: (www.exit-deutschland.de)
    Football Against Racism In Europe: Europäisches Netzwerk von Initiativen gegen Rassismus und Diskriminierung: (www.farenet.org)
    Koordinationsstelle Fanprojekte: Dachverband der sozialpädagogischen Fanprojekte in Deutschland: (www.kos-fanprojekte.de)

    Fußball gegen Nazis: Umfangreiches Informationsportal gegen Rechtsextremismus: (www.fussball-gegen-nazis.de)

    Publikative.org: Kritische Dokumentation über menschenfeindliche Einstellungen: (www.publikative.org)

    Tatort Station: Wanderausstellung zur Aufklärung über rechtsextreme Erscheinungsformen im Fußball: (www.tatort-stadion.de)