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Braunkohle
Wie die Lausitz auf das Garzweiler-Urteil reagiert

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Menschen für den Braunkohle-Abbau enteignet werden können. Das Urteil betrifft den Tagebau Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen - aber es hat auch den Menschen im Osten zu denken gegeben. Denn in der Lausitz sind drei neue Gruben geplant.

Von Manuel Waltz | 19.12.2013
    Bagger fördern am 22.10.2013 bei Jackerath (Nordrhein-Westfalen) im Tagebau Garzweiler II Braunhohle.
    Der Braunkohletagebau Garzweiler - in Schleife in der Lausitz könnte es bald ähnlich aussehen, befürchten die Anwohner. (dpa picture alliance / Oliver Berg)
    Schleife ist eine kleine Gemeinde in der Lausitz. Eine schnurgerade Bahnlinie teilt den Ort in einen südlichen und einen nördlichen Teil. Südlich der Gleise werden Bagger bald alles plattmachen. Der Energiekonzern Vattenfall will mit der Braunkohle, die dort unter der Erde liegt, Strom erzeugen. Ronald Steffek wohnt nördlich der Bahnlinie. Der kräftige Hühnerzüchter kommt gerade von seinen Tieren, in der rechten Hand trägt er den Eimer mit Futter. Ihm graut vor seinem künftigen Ausblick:
    "Das Haus bleibt stehen, mit einem wunderbaren Blick für 50 Jahre, so wie es aussieht, zuerst auf eine Wand, danach auf einen Wall, und wenn dann die Wettersituation stimmt, auf schwarze Wolken, auf Staub vom Tagebau."
    Kommt der Tagebau wirklich, dann werden riesige Schaufelradbagger die Erde bis kurz vor Steffeks Hof zig Meter tief abschaufeln. Noch hat der 50-Jährige nicht resigniert, seit Jahren kämpft er gegen die Tagebau-Pläne. Doch das Karlsruher Urteil nimmt ihm fast alle Hoffnungen. Zwar hat das Verfassungsgericht die Rechte derer gestärkt, die sich gegen Enteignungen juristisch zur Wehr setzen. Doch die Gegner der Braunkohle hatten gehofft, dass Enteignungen für Tagebaue in Zeiten der Energiewende für verfassungswidrig erklärt werden. Denn ihrer Ansicht nach dient diese klimaschädliche Stromerzeugung längst nicht mehr dem Gemeinwohl. Steffek musste seine Mitstreiter trösten:
    "Es gab wirklich viele, Dieter war gestern bei mir, der war gestern so fertig nach dem Urteil, der hat nun wirklich voll da draufgesetzt."
    Die Lausitz - und die Braunkohle darunter - liegt in Brandenburg und in Sachsen. Beide Landesregierungen stehen klar zu diesem Energieträger - gerade in dieser strukturschwachen Region. Tausende Menschen arbeiten bei Vattenfall oder Zulieferern. Und der Konzern will noch weitere Fördergebiete erschließen. Die sächsische Landesregierung hat bereits signalisiert, im Frühjahr grünes Licht für die erste von drei neuen Gruben zu geben. Fünf Dörfer und knapp 1.600 Menschen müssten allein dafür weichen. Während die Gegner den enormen Landschaftsverbrauch, die Umweltschäden in der Umgebung und den hohen CO2-Ausstoß der Braunkohle kritisieren, überwiegen für die schwarz-gelbe Landesregierung ökonomische Gesichtspunkte, insbesondere im FDP-geführten Wirtschaftsministerium. Sprecher Florian Schaefer:
    "Das ist natürlich eine Frage, die letztendlich der Markt entscheidet, ob sich das lohnt. Aber unter den jetzigen Bedingungen, auch unter der Ausgestaltung, zum Beispiel des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, spielt die Braunkohle eine wichtige Rolle, und ist auch als heimischer, subventionsfreier Energieträger unverzichtbar."
    Wie unverzichtbar - darüber teilen sich die Meinungen. Sachsen fällt - auch um die heimische Braunkohleindustrie nicht zu gefährden - immer mehr als Bremser bei den Erneuerbaren Energien auf. 2012 lag ihr Anteil hier bei etwa 20 Prozent, bundesweit war er bereits auf knapp 24 Prozent angestiegen. Und so ist auch trotz Energiewende bei Vattenfall fast so etwas wie Goldgräberstimmung zu spüren. Thoralf Schirmer ist Sprecher des Energieversorgers in Cottbus:
    "Wir erwarten eine doch stabil hohe Auslastung unserer Braunkohlenkraftwerke, also eine weiterhin recht hohe Nachfrage nach Braunkohlenstrom. Und um die Versorgung dann auch aufrechtzuerhalten, ist ab Mitte der 2020er Jahre es zwingend nötig, weitere Braunkohlenfelder zu erschließen."
    Argumente, die Adrian Rinnert aus Schleife anzweifelt. Der junge Mann mit einem zotteligen Bart ist Mitglied von "Strukturwandel jetzt", ein Bündnis aus Bürgern und Umweltverbänden, die für einen Ausstieg der Lausitz aus der Braunkohleförderung kämpfen. Mit dem Auto fährt er seinen Besucher durch das riesige Gebiet, das in einigen Jahren einer Mondlandschaft gleichen wird. Solange nach wie vor Strom aus Deutschland exportiert werden kann, sieht er nicht ein, warum das alles abgebaggert werden soll. Er meint, dass es dabei weniger um Versorgungssicherheit als ums Geld geht.
    "Vattenfall will sich zurückziehen aus dem Geschäft, aber den Preis, den sie jetzt ohne Erweiterung kriegen, ist nicht der Preis, den sie sich wünschen. Also wollen sie noch die Erweiterung schnell durchboxen, dann kriegen sie einen besseren Preis."
    Er erzählt, wie tief die Dorfgemeinschaften in Gegner und Befürworter des Tagebaus gespalten sind - und dabei selbst vor Gewalt nicht zurückschrecken. Erst kürzlich wurden Briefkästen von Gegnern gesprengt. Die Fahrt führt vorbei an vereinzelten alten Bauernhöfen aus rotem und gelbem Klinker, typisch für die sorbische Minderheit hier. Mit der geplanten Umsiedelung fürchten diese den Verlust ihrer kulturellen Identität. Mittlerweile ist Adrian Rinnert auf einen Waldweg gebogen. Am Ende ist der Wald gerodet, die zerhackten Bäume liegen weit verstreut. Am Horizont sieht man ein riesiges Loch, aus dem die Türme der Braunkohlebagger aufragen.
    "Um das geht es hier. Das ist der Weißwasser Urwald. Naturschutzgebiet gewesen. Hier gibt es Leute, die bezeichnen sich selbst noch als Beerensammler von Beruf her. Ha, hier Beeren sammeln? Das ist jetzt Gebiet, das abgebaggert wird. Da ist die Waldkante und die fällt und fällt."
    Alle Beteiligten prüfen derzeit das mehrere Hundert Seiten starke Urteil aus Karlsruhe, vor allem was die erweiterten Klagemöglichkeiten gegen Enteignungen konkret für die Lausitz bedeuten. Bei Vattenfall geht man bereits davon aus, dass es deutlich mehr und frühere Klagen geben wird. Da das Bundesverfassungsgericht aber die Möglichkeit der Enteignung nicht infrage gestellt hat, erwartet der Konzern keinen grundsätzlichen Einfluss auf seine Pläne.