Archiv


Breakfast on Pluto

"Mein Gott, wie sie dasitzt, in ihrem engen vergammelten Hauskittel, ein Kopftuch bieder umgeschlagen, einen Stapel mit bunten Illustrierten vor sich, lächerlich, erbarmngswürdig, schrill. Aber einen kessen Spruch, der den "Hurensöhnen" der Grafschaften Sligo, Leitrim und Roscommon das Fürchten lehrt, hat sie immer noch auf ihren rot geschminkten Lippen: Mütterchen Riley, die ebenso abgetakelte wie abgezockte Prostituierte, eine Art Königin unter den Huren Irlands, ein ehemaliger Transvestit."

Hajo Steinert | 26.05.2000
    Ihre Karriere war steil und gefährlich, doch jetzt ist alles vorbei. Nur das Mundwerk ist ihr geblieben. Ihr Erinnerungsvermögen ist enorm. Aber manchmal rufen die rotbäckigen Kerle des Dorfes ihr noch hinterher: "Aussicht auf 'ne Nummer heute abend, Mrs. Riley?" Auch wenn heute nichts mehr läuft, derartige Nachfragen sind Balsam für Mütterchen Rileys Selbstbewußtsein. "Aber ja doch! Jederzeit Jungs!" - das denkt sie sich nur.

    Mrs. Riley war einmal Pussy, und Pussy hieß einmal Pat, Patrick Bernard bei Geburt. Er bzw. sie ist das leibhaftige Resultat von zweien, die für eine Nacht vergaßen, was in der Bibel steht. Patrick ist das Kind von einem etwas triebhaften Pater und dessen Haushälterin. Das Unerhörte geschah, als Irland noch katholischer war als heute, noch weiter weg von England und dem übrigen Westeuropa, dafür aber umso bigotter: die frivole, rührende, tragikomische und darüber hinaus sehr rebellische Geschichte dieses Romans nimmt in den fünfziger Jahren ihren bittersüßen Auftakt und endet in einer Gegenwart, die kaum tröstlicher ist als die Vergangenheit.

    Patrick McCabe, dieser geniale Stimmenimitator, der zur Zeit wortmächtigste, sentimentalste, musikalischste, neben Roddy Doyle erfolgreichste irische Erzähler schrieb den Roman aus der Perspektive seines liebenswürdig-schrulligen Desperados. Der wüste Monolog lebt ganz von seinem mündlichen Sound. (Grandios, wie der Übersetzer Hans-Christian Oeser McCabes Slang ins Deutsche übertragen hat.) Pat, alias Pussy, alias Mrs. Riley schreibt für ihren Psychiater ihre Lebensgeschichte auf. Daraus besteht das ganze Buch. Eine solche Erzählkonstruktion kennen McCabes Leser schon aus dem "Schlächterburschen", jenem Roman, mit dem McCabe international berühmt wurde. "Der Schlächterbursch" . im Original "The Burcher Boy" ging auf ein altes irisches Volkslied zurück. "Breakfast on Pluto" - so hieß ein Pop-Song von Don Partidge. 1969 kam er damit in die Hitparade.

    Partrick McCabes Roman "Breakfast on Pluto" ist eine phonstarke Beichte, für die Bühne mindestens so geeignet wie für den Film. Oscar-Preisträger Neil Jordan, der schon den "Schlächterburschen" (Goldene Palme in Cannes) phantastisch verfilmt hat, hat sich die Filmrechte schon gesichert. Pats bzw. Pussys Geschichte ist eine Art Bänkelsang in heutiger Zeit: "Wenn du in der Gosse liegst, bleibt dir nichts anderes übrig als zu singen", sagte Samuel Beckett, auf den sich McCabe ebenso gerne bezieht wie auf Johnny Cash, der für den texanischen "Bible Belt" das ist, was McCabe für das katholische Irland.

    Die Story des neuen Romans ist hart: die saufende leibliche Mutter legt den Säugling eines dunklen Tages in einen Pappkarton und stellt ihn vor die Tür. Das Findelkind wächst folglich bei Pflegeeltern auf. Haltlos. Zu sich kommt er allenfalls heimlich, in Frauenkleidern vor dem Spiegel im Schlafzimmer. Als seine Pflegemutter ihn darin erwischt, wird der Junge, der so gerne ein Mädchen wäre, zu einem bekannten Politiker abgeschoben, den Patrick nur "Schnullermann" nennt. "Schnullermann" wird von der IRA in die Luft gejagt, Pat nennt sich fortan Pussy, geht nach London als Transvestit zum Straßenstrich am Piccadilly Circus. Erst in den Siebzigern kommt Pussy in ihr Dorf zurück, ihre einzige Freundin Charlie ist ein Wrack, der Mann Irwin wurde ebenfalls tödliches Opfer der IRA.

    Es ist diese kunstvolle, ganz bewußte Mischung aus Politik, Sex, Rühstück, Klamotte und Pop ("Breakfast on Pluto" war ein Hit von Don Partridge im Jahre 1969), die McCabes neuen Roman zu einem außergewöhnlichen Leseabenteuer macht. Nichts für schwache Nerven, gewiß. Aber wer sich nicht zu schade ist, in einem Gegenwartsroman nach großen, archaischen Gefühlen zu suchen, wird von einem "Breakfast on Pluto" nicht enttäuscht.

    Patrick McCabe will seine Leser allerdings nicht nur schockieren, sondern bewegen, buchstäblich rühren. Die Suche nach Liebe und Freundschaft, Ausbruch aus Armut und kläglicher Provinz, die Gier nach individueller Freiheit - das sind seine Motive. Daß Patrick McCabe ein unbedingt irischer und keinesfalls ein britischer Schriftsteller ist, zeigt sein erzählerischer Furor, mit dem er kirchliche Heuchelei und politischen Radikalismus an den Pranger stellt - Themen, die zum irischen Gegenwartsroman gehören wie das masochistische Leiden am Luxus in der - vergleichsweise harmlosen - jungen deutschen Literatur. Patrick Mc Cabe bedient nicht die Klischees der irischen Literatur, er hintertreibt sie. Am Ende ist "Breakfast on Pluto" eine einzigartige, herzergreifende Liebeserklärung an seine Heimat: das verruchte Dorf, namens Irland.