Auch Brechts Klassiker-Folien im Stück, die Verssprache eines Goethe oder Schiller, die dem Lehrstück die ironisch gebrochene "faustische" Dimension verschafften, fielen dem dramaturgischen Hackebeil zum Opfer. Peymann und seine Truppe haben den Dichter ans Messer, uns aber eine "Heilige Johanna der Schlachthöfe" geliefert, die die Geschichte des Turbokapitalismus in einer allerdings erst auf den zweiten Blick "frisch" wirkenden Version erzählt.
Denn am Anfang steht eine einsam trommelnde Johanna, rotwangig, unschuldig, trotzig. Die 23-jährige Meike Droste, die Peymann von der Falkenbergschule in München weg engagierte, spielt die christliche Pazifistin, die eigentlich nur ein an Naivität nicht zu überbietendes Mädchen ist, das einen Auftrag hat.
Ihr Weg "zu den Untersten" führt im Brechtschen Stationendrama ins Elend von Ausbeutung und Arbeitslosigkeit der Schlachthöfe von Chicago, ins gewalttätige Chaos der Weltwirtschaftskrise von 1930 und zu einem Schnellkursus in Kapitalismus, dessen vernichtende Wirkung Johanna am eigenen Leib erfährt. Wenn sie am Schluss als Revolutionärin stirbt, hat sie uns, so war's gedacht, zu besseren Menschen gemacht, Gott und ihre Mitstreiter von der Heilsarmee aber verloren. In der Berliner Aufführung bekommen die, in konservatives Blau gekleidet, ihre militante Bigotterie schon in die vergrätzten Gesichter geschminkt.
Leise Ironie auch im Bühnenbild von Achim Freyer, einer nach hinten leicht ansteigenden breitstreifigen roten Rampe, die in den mafiös stilisierten Anzügen der Fleischfabrikanten ihre Fortsetzung findet. Rote Streifen auch dort; blutrot unterlaufene Augen, blutrot das Büro von Pierpont Mauler: "Das ewige Schlachten!", lautet sein künstlicher Seufzer gegen Schluss, das ist Peymanns durchaus ernst gemeintes Thema.
Manfred Karge spielt den müde gewordenen Fleischfabrikanten und König der Spekulanten in Chicago als den großen Kapitalstrombeweger mit philantropischem Anstrich unglaublich präzise und verkörpert mit nicht mal nur vordergründiger Menschlichkeit und großem Willen zur Macht eine Art Bill Gates des Frühkapitalismus. So nach dem Motto: Er ist überall, man kann nichts gegen ihn tun, und den kleinen Schulmädchen, die bei "Attac" mitlaufen, erklärt er, was für die Lohnarbeiter in der so genannten Dritten Welt wirklich gut ist. (Deshalb kommt auch Jean Ziegler im Programmheft so zu Wort.)
Wie alle Mächtigen hat er Leute, die für ihn die Dreckarbeit erledigen – Veit Schubert ist ein wirklich mephistophelischer Gauner, der aus dem Kapitalismus-Spiel eine ebenso überdrehte wie überzeitliche Teufelsnummer macht. Mit der armen Witwe Luckerniddle, deren Mann im Sudkessel der Fleischfabrikanten starb, wird ein Sozialexperiment durchgeführt, das man nicht einmal Florida-Rolf unter Big-Brother-Bedingungen wünschen würde. Und die Kleinanleger jammern im Chor und kapieren nur langsam, wer das Kaninchen und wer die Schlange ist.
Nicht, dass dieser Brecht – so man Peymanns Stück als einen Brecht durchgehen lassen will – weh täte. Diese "Heilige Johanna" ist märchenhaft stilisiert, historisch angehaucht und ironisch aufgehübscht zugleich. Am Schluss ist Johanna zwar desillusioniert und also erwachsen geworden, aber: der Turbokapitalismus hat gesiegt, und die Szene wird in rosa Licht getaucht: Zuerst kommt der gelbe Rettungsengel von der Post, dann die goldenen Suppentöpfe der Heilsarmee. Johanna wird, schon tot am Boden, noch einmal mit dem Kreuz erschlagen – und taucht am oberen Bühnenhimmel, erhoben, wieder auf: als tantige Vignette.
"Theater heute" hat dieses Muster erst kürzlich anhand von Brechts "Mutter" vom selben Regisseur als "Peymannsche Unschärferelation" und "Sentimentalisierung eines antisentimentalen Autors" analysiert. Das Problem aber ist, dass auch Brecht-Bashing heute so billig zu haben ist. Bürstete ihn ein Regisseur gegen den Strich - was nicht ganz einfach ist: zu dicht der dialektische Aufbau, zu deutlich die Thesen, zu kunstvoll die Sprache - bekam er bis vor kurzem Ärger mit den Brecht-Erben. Und signalisierte dem Publikum und der Kritik: Brecht ist out und ich auf eurer Seite. Denn der originale Brecht, darauf scheint sich die Theatergemeinde geeinigt zu haben – nach 1989 auch aus unübersehbaren Motiven der Distanzierung von der eigenen linken Tradition – ist sowieso out. Gelandet auf dem Müllhaufen der Geschichte, die den dialektischen Materialismus, der den Stücken zugrunde liegt, ebenso geschreddert hat wie die darin vorgeschlagene 'Hoffnungsvariante', den Kommunismus.
Was also macht Peymann? Als Hüter des Brecht-Erbes am Berliner Ensemble übt er das Amt des Tempelwächters sowieso glaubhafter aus als das des Klassikerstürmers. Andererseits hat er nicht Brecht und dessen revolutionäres Pathos als Wohlfühlfolie fürs spätkapitalistische Publikum missbraucht, was ja auch zeitgemäß wäre. Da sein eigenes Proleten etwa gegen die Berliner Kulturbürokratie längst nicht mehr als revolutionär durchgehen kann, ist seine Berliner Rolle eben die: Er zeigt uns, wozu der alte Klassenkämpfer heute noch taugt. Ob zum Aufklärer der Aufgeklärten oder zum Verwöhner der Verwöhnten ist wie immer Sache der Interpretation.
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Denn am Anfang steht eine einsam trommelnde Johanna, rotwangig, unschuldig, trotzig. Die 23-jährige Meike Droste, die Peymann von der Falkenbergschule in München weg engagierte, spielt die christliche Pazifistin, die eigentlich nur ein an Naivität nicht zu überbietendes Mädchen ist, das einen Auftrag hat.
Ihr Weg "zu den Untersten" führt im Brechtschen Stationendrama ins Elend von Ausbeutung und Arbeitslosigkeit der Schlachthöfe von Chicago, ins gewalttätige Chaos der Weltwirtschaftskrise von 1930 und zu einem Schnellkursus in Kapitalismus, dessen vernichtende Wirkung Johanna am eigenen Leib erfährt. Wenn sie am Schluss als Revolutionärin stirbt, hat sie uns, so war's gedacht, zu besseren Menschen gemacht, Gott und ihre Mitstreiter von der Heilsarmee aber verloren. In der Berliner Aufführung bekommen die, in konservatives Blau gekleidet, ihre militante Bigotterie schon in die vergrätzten Gesichter geschminkt.
Leise Ironie auch im Bühnenbild von Achim Freyer, einer nach hinten leicht ansteigenden breitstreifigen roten Rampe, die in den mafiös stilisierten Anzügen der Fleischfabrikanten ihre Fortsetzung findet. Rote Streifen auch dort; blutrot unterlaufene Augen, blutrot das Büro von Pierpont Mauler: "Das ewige Schlachten!", lautet sein künstlicher Seufzer gegen Schluss, das ist Peymanns durchaus ernst gemeintes Thema.
Manfred Karge spielt den müde gewordenen Fleischfabrikanten und König der Spekulanten in Chicago als den großen Kapitalstrombeweger mit philantropischem Anstrich unglaublich präzise und verkörpert mit nicht mal nur vordergründiger Menschlichkeit und großem Willen zur Macht eine Art Bill Gates des Frühkapitalismus. So nach dem Motto: Er ist überall, man kann nichts gegen ihn tun, und den kleinen Schulmädchen, die bei "Attac" mitlaufen, erklärt er, was für die Lohnarbeiter in der so genannten Dritten Welt wirklich gut ist. (Deshalb kommt auch Jean Ziegler im Programmheft so zu Wort.)
Wie alle Mächtigen hat er Leute, die für ihn die Dreckarbeit erledigen – Veit Schubert ist ein wirklich mephistophelischer Gauner, der aus dem Kapitalismus-Spiel eine ebenso überdrehte wie überzeitliche Teufelsnummer macht. Mit der armen Witwe Luckerniddle, deren Mann im Sudkessel der Fleischfabrikanten starb, wird ein Sozialexperiment durchgeführt, das man nicht einmal Florida-Rolf unter Big-Brother-Bedingungen wünschen würde. Und die Kleinanleger jammern im Chor und kapieren nur langsam, wer das Kaninchen und wer die Schlange ist.
Nicht, dass dieser Brecht – so man Peymanns Stück als einen Brecht durchgehen lassen will – weh täte. Diese "Heilige Johanna" ist märchenhaft stilisiert, historisch angehaucht und ironisch aufgehübscht zugleich. Am Schluss ist Johanna zwar desillusioniert und also erwachsen geworden, aber: der Turbokapitalismus hat gesiegt, und die Szene wird in rosa Licht getaucht: Zuerst kommt der gelbe Rettungsengel von der Post, dann die goldenen Suppentöpfe der Heilsarmee. Johanna wird, schon tot am Boden, noch einmal mit dem Kreuz erschlagen – und taucht am oberen Bühnenhimmel, erhoben, wieder auf: als tantige Vignette.
"Theater heute" hat dieses Muster erst kürzlich anhand von Brechts "Mutter" vom selben Regisseur als "Peymannsche Unschärferelation" und "Sentimentalisierung eines antisentimentalen Autors" analysiert. Das Problem aber ist, dass auch Brecht-Bashing heute so billig zu haben ist. Bürstete ihn ein Regisseur gegen den Strich - was nicht ganz einfach ist: zu dicht der dialektische Aufbau, zu deutlich die Thesen, zu kunstvoll die Sprache - bekam er bis vor kurzem Ärger mit den Brecht-Erben. Und signalisierte dem Publikum und der Kritik: Brecht ist out und ich auf eurer Seite. Denn der originale Brecht, darauf scheint sich die Theatergemeinde geeinigt zu haben – nach 1989 auch aus unübersehbaren Motiven der Distanzierung von der eigenen linken Tradition – ist sowieso out. Gelandet auf dem Müllhaufen der Geschichte, die den dialektischen Materialismus, der den Stücken zugrunde liegt, ebenso geschreddert hat wie die darin vorgeschlagene 'Hoffnungsvariante', den Kommunismus.
Was also macht Peymann? Als Hüter des Brecht-Erbes am Berliner Ensemble übt er das Amt des Tempelwächters sowieso glaubhafter aus als das des Klassikerstürmers. Andererseits hat er nicht Brecht und dessen revolutionäres Pathos als Wohlfühlfolie fürs spätkapitalistische Publikum missbraucht, was ja auch zeitgemäß wäre. Da sein eigenes Proleten etwa gegen die Berliner Kulturbürokratie längst nicht mehr als revolutionär durchgehen kann, ist seine Berliner Rolle eben die: Er zeigt uns, wozu der alte Klassenkämpfer heute noch taugt. Ob zum Aufklärer der Aufgeklärten oder zum Verwöhner der Verwöhnten ist wie immer Sache der Interpretation.
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