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Brecht macht es möglich

Der restaurierte Admiralspalast, die legendäre Berliner Kultur- und Vergnügungsstätte der 20er Jahre, hat mit einer Wiederaufführung der "Dreigroschenoper" eröffnet. Nach fast zehn Jahren des Leerstands war Klaus Maria Brandauers Version des Brecht-Klassikers zu sehen.

Von Florian Felix Weyh | 12.08.2006
    Bert Brecht liebte das Theater, Frauen, Zigarren, Geld, Autos und – Boxkämpfe! Der Boxring galt ihm im ersten Drittel seines Lebens als Sinnbild gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Vorbild für dramatische Konstellationen. So, frühbrechtisch gesehen, vollzog sich gestern Abend im Berliner Admiralspalast der imaginäre Fight zweier ungleicher Konkurrenten. Es trat an ein junger, agiler, von Privatinvestoren auf Idealgewicht gebrachter Herausforderer, um dem braven, deutschen Stadttheater den Titel in der Kategorie "Pflege des Brecht-Erbes" abzunehmen. Schauen wir uns den Verlauf des Wettkampfs an:

    1. Runde, Stichwort: Physis

    Der Herausforderer um den Schweizer Theaterproduzenten Lukas Leuenberger hat alles: ein Ensemble aus Medienstars, einen berühmten Regisseur, der freilich nicht als Regisseur berühmt ist, eine glänzend geschmierte PR-Maschine, und sogar die Sympathie der Lordsiegelbewahrer des Brecht-Erbes. Auf dem Papier: klarer Sieg für den Herausforderer. Man muss eigentlich gar nicht hingehen. Doch dann? Stehen auf der großen Bühne des Admiralspalastes verlorene Gestalten herum, die nicht zusammenfinden, ja mit der Ausnahme von Birgit Minichmayr und partiell Katrin Sass nicht einmal spielen, sondern den Text aufsagen, als stünde ihr Deutschlehrer aus der mündlichen Abiprüfung im Dunkel des Zuschauerraums und drohe mit dem Schlagstock. Das Bühnenbild von Ronald Zechner, ein paar variable, kastenförmige Großmöbel, könnte auch die Landesbühne Niedersachsen aus ihrem Fundus bestücken, und so verpufft die Papierform des Herausforderers im Nichts.

    2. Runde, Stichwort: Kampftechnik

    Im braven, deutschen Stadttheater kann man für gewöhnlich ganz gut singen. Schon beim Vorsprechen wird darauf Wert gelegt, während Klaus Maria Brandauer sein Ensemble danach ausgesucht hat, dass möglichst niemand singen kann, damit derjenige, der für seinen Gesang eingekauft wurde – der Punkrocker Campino – nicht allzu alt aussieht. Tatsächlich kann Campino auch nicht singen, jedenfalls nicht ohne Mikrophon und schon gar nicht die synkopierten Weillschen Melodien. Das können nur der Moritatensänger und Maria Happel als Spelunken-Jenny, die als Einzige rechtfertigen, dass ein frisch und schräg aufspielendes Deutsches Filmorchester Babelsberg überhaupt anwesend ist und nicht durch eine Konserve ersetzt wird. Seine Künste darf es nur in den Zwischenmusiken ungebremst zu Gehör bringen. Übrigens kann Campino gar nicht so schlecht spielen; jedenfalls nicht schlechter als die anderen, die freilich nicht spielen. So nimmt jeder auf jeden Rücksicht, als befände man sich in einer therapeutischen WG, statt in einer öffentlichen Arena.

    3. Runde, Stichwort: Psychologische Stärke

    Wie macht man einen Gegner fertig? Ganz klar: Indem man ihm vorab seine Verliererposition zuweist. Die Admiralspalast - "Dreigroschenoper" rief sich schon vor Monaten zum Champion aller Brecht-Inszenierer aus. Von dieser Stärke ist am Abend nichts mehr zu spüren. Über dem Saal liegt von Anbeginn eine nervöse Hauptprobenstimmung, nicht einmal springt der Funke zwischen Bühne und Parkett über. Die Veranstalter fühlen sich derart in der Defensive, dass sie das ganze langatmige, höhepunktlose Spektakel über zweieinhalb Stunden hinweg ohne Pause durchexerzieren: Es könnte sonst ja das Publikum weglaufen.

    4. Runde, Stichwort: Kampfintelligenz

    Hier nun entscheidet sich alles: Wie kann Klaus Maria Brandauer dem braven, deutschen Stadttheater zeigen, dass es seit 50 Jahren in die falsche Richtung marschiert? Wir erwarten den genialen Einfall, der im Businessplan der Lukas Leuenberger Produktionen GmbH die Investoren zu Jubelschreien verlockte. Es gibt ihn nicht. Brandauer hat keine Idee zum Stück, keine Konzeption, keine Regieeinfälle, die über magerste Theaterkonventionen hinausgingen. Er lässt den Text gegenwartsfrei in der muffigen Machart des späten Brechtschen Inszenierungsstils spielen und entwickelt als Regisseur keinerlei Haltung dazu. Ironie ist ebenso abwesend wie Ideologie, Lust an Unterhaltung sucht man so vergeblich wie das anarchische Element, das einstmals das Stück besessen haben muss, in grauer Vorzeit. Wir sitzen im Brecht-Museum für Brecht-Erben, und überall rieselt der Staub.

    Obwohl gar nicht anwesend, hat das brave, deutsche Stadttheater gestern Abend den Fight haushoch gewonnen. Selten sah man eine steifere Sprechtheaterinszenierung dieses Singspiels, das doch wegen seiner Schmissigkeit in die Annalen der Unterhaltungskultur eingegangen ist, nicht um seiner Textqualität willen. Dass die paar antikapitalistischen Sottisen in ihrer Simplizität längst nicht mehr die herrschenden Verhältnisse vor der Theatertür treffen, weiß man im Stadttheater schon seit geraumer Zeit. Und dort sollte das Brechterbe auch weiterhin gepflegt werden, mit dem Enthusiasmus und dem Mut der Provinz. Nach strapaziös durchgesessener Zeit buhte ein Drittel des Publikums Klaus Maria Brandauer aus. Es hätten auch zwei Drittel sein dürfen.